Wien. Lampenfieber hat Milo keines. Unzählige Male hat er diesen Auftritt absolviert. Mit breitem Grinsen schlendert der 21-Jährige durch die Bar. Es ist Samstagabend. Mau ist es heute. Die Gäste lassen auf sich warten. Der Kater vom Vorabend sitzt offenbar noch tief. Milo scheint das nicht zu stören. Wie jeden Abend hat er sich auch heute zurechtgemacht. Baseballkappe, schwarzes Shirt, enge Jeans. Er weiß, was seinem Publikum gefällt. Jugend. Und je jugendlicher er aussieht, umso besser. In wenigen Minuten ist es so weit. Dann muss Milo in seine Arbeitskluft. Die Musik wird lauter. Und Milos Grinsen immer breiter. Es ist Showtime. Wie ein kleiner Junge, der es kaum erwarten kann, steht der junge Mann mit dem dunklen Teint nun in seiner Badehose auf der Bühne: einer Duschkabine. Zehn Minuten lang wird er sich hier vor den Anwesenden einseifen, mit Wasser abspritzen und seinen Penis im Rhythmus der Musik mal nach links und mal nach rechts schwenken.
So sieht die Mitternachtseinlage in Wiens einzigem Stricherlokal aus. Nur an diesem Ort, mitten im 5. Bezirk, ist Sexarbeit von und für Männer erlaubt. Wie dieser Ort heißt und wo er genau liegt, wollen die Betreiber nicht in der Zeitung lesen. Aufmerksamkeit tue der Szene nicht gut. Wer aktiv sucht, wird das Erdgeschoßlokal mit den heruntergelassenen schwarzen Rollläden schon finden.
66 Männer sind in Wien als Sexarbeiter offiziell registriert, bei den Frauen sind es 3442. Auf ihnen liegt der Fokus. Von der Politik, der Polizei, den NGOs. Für die Männer interessiert sich außer ihren Kunden kaum jemand. Hie und da ein Sozialarbeiter, der Kondome verteilt. Hie und da ein Regisseur, der die Kamera auf sie hält. Ansonsten bleibt die Szene im Verborgenen. Zwei Mal wurden in den vergangenen 20 Jahren Konzepte für niederschwellige Anlaufstellen nach Münchner ("Marikas) und Berliner ("Subway") Vorbild speziell für diese Männer entwickelt. Und zweimal verschwanden sie in den Schubladen der Beamten der Stadt Wien. Zu heikel ist das Thema. Politisch lässt sich damit nichts gewinnen. Das weiß jeder.
Außerdem sind die Männer unauffällig. Nicht so die Frauen. Sie rufen Bürgerinitiativen auf den Plan und lassen Anrainer Sturm laufen bei Bezirkspolitikern, sobald ein Laufhaus den Wert ihrer Immobilie in der Nachbarschaft empfindlich gefährden könnte. Bei den Männern ist das anders. Sie sind weit weg von den Nachbarn, Teil einer schwulen Subkultur, die dem Mainstream trotz Lifeballfolklore, Conchita und Ampelpärchen noch nicht ganz geheuer ist.
"Das sind stolze osteuropäische Machos" Laut Schätzungen arbeiten zwischen 500 und 700 junge Männer in Wien als Sexarbeiter. Zumeist stammen sie aus Ost -und Südeuropa, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien. Viele gehören den Volksgruppen der Roma und Sinti an. Sie arbeiten einige Monate in Wien und ziehen dann weiter nach Zürich, Prag, München oder Berlin. Es ist eine volatile Gruppe. Nicht sichtbar. Nicht greifbar. Nicht störend. Nicht fordernd. Und deswegen auch umso mehr gefährdet. "Im Unterschied zur weiblichen Prostitution gibt es in der männlichen keine Transparenz. Doch geht es da genauso gewaltsam zu. Und es gibt auch Menschenhandel", sagt ein Sozialarbeiter. Wegen seiner Tätigkeit bei der Stadt Wien darf er offiziell kein Statement zu der Thematik abgeben. Über 17 Jahre hat er sich mit der Szene beschäftigt. Er weiß um die prekäre Situation der jungen Männer, die sich im Internet, in Lokalen, aber auch auf Toiletten von U-Bahnstationen und Einkaufszentren, Parks und Saunen jedem anbieten, der bereit ist zu zahlen. Und sei es noch so wenig. "Es geht den Männern nicht besser als den Frauen", sagt er.
Vergleiche mit der weiblichen Prostitution werden in der Szene ungern gesehen. Zu sehr klingt es nach Opfern und Täter. Nach Ausbeutung. Nach "Endstation Babystrich".
Auch im Lokal im 5. Bezirk, weist man die Parallele mit der weiblichen Prostitution von der Hand. "Die Männer sind Ich-AGs. Sie haben keine Zuhälter wie die Frauen im Hintergrund. Das sind stolze osteuropäische Machos", erklärt einer der Betreiber.
Vor sieben Jahren hat er gemeinsam mit seinem Partner das Lokal eröffnet. Einen Lebenstraum haben sie sich erfüllt, mit der Bar mit den rotsamtenen Sitzgarnituren, den holzvertäfelten Wänden, der Showdusche und dem Hinterzimmer, wo sich junge Männer Anfang 20 mit alten Österreichern jenseits der 50 für 10 Euro die Stunde zurückziehen können.
Sugar Daddys mit Helfersyndrom Sicher sei es hier, nicht so wie auf den Toiletten und in den Parks, wo der eine oder andere schon einmal verprügelt und ausgeraubt wurde. Nicht jeder kommt hier rein, nur jene, die sauber und adrett sind und sich zu benehmen wissen. Man kümmere sich um die Burschen, animiere sie dazu, sich alle 12 Wochen in der Ambulanz für sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen, so wie es die Vorschriften für Sexarbeiter eben vorsehen. Gelegentlich halten die Stammgäste sogar Deutschkurse ab, damit sich die bulgarischen Burschen am Markt besser bewähren können.