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Artikel

Mit Schirm, Charme und Turban

erschienen am 1.10.2007 in "Datum" 

Was passiert, wenn ein fanatischer Gotteskrieger seinen Schlagstock gegen eine Filmkamera tauscht? Er schreibt iranische Kinogeschichte.


Es ist neun Uhr abends: Zeit für die "Gläserne Nacht", Teherans täglichen Live-Talk auf Kanal 5 im iranischen Staatsfernsehen. Routiniert begrüßt der Moderator, ein aufgeweckter Mittdreißiger mit breitem Grinsen, seine Zuschauer. Mit seinem gestreiften Hemd in diversen Violetttönen, der eckigen Brille Marke Dolce&Gabbana und dem glatt rasierten Gesicht passt er in jede ORF-Kultursendung. Diesen Montag will er mit Masoud Dehnamaki sprechen. "Man hat mir gesagt: Stell keine zu schwierigen Fragen, da wird er schnell böse. Stimmt das?", beginnt er das Gespräch und lacht. Ihm gegenüber sitzt Dehnamaki. Groß und ein wenig schlaksig wirkt der Regisseur in seinem dunkelgrauen Sakko, das den schmaler Oberkörper nicht ganz auszufüllen vermag. Schicke Kleidung und modische Accessoires trägt er keine, dafür einen Vollbart Marke Ahmadinejad.

Seine Antwort kommt leise: "Bei den Schwachen werde ich nicht böse. Nur bei den Mächtigen rege ich mich auf." Soll heißen: Nur wer in meiner Liga spielt, den nehme ich ernst. Und gesellschaftlich spielt der 38-Jährige heute in der höchsten des Landes. Ein Umstand, der in seiner Vergangenheit wurzelt: Masoud Dehnamaki war einst der Chefideologe der Ansare Hesbollah, der "Freunde der Partei Gottes" - islamistischen Fanatikern, die im 68-Millionen-Staat mit Schlagstöcken und Eisenketten die Gesetze des Koran verteidigen. Heute ist er Filmregisseur und schreibt Kinogeschichte.

Mit seinem Spielfilmdebüt "Ekhrajiha" ("Die Außenseiter") bricht Dehnamaki an den iranischen Kinokassen alle Rekorde: In den ersten zwei Wochen spielte die Kriegskomödie mehr als 500.000 Euro ein - viel Geld in einem Land, in dem eine Kinokarte weniger als einen Euro kostet. Bis in die Morgenstunden stehen die Iraner Schlange, um die Kriegsabenteuer des Kleinkriminellen Majid Suzuki (gespielt von Jungstar Kabiz Dirbaz) und seiner tollpatschigen Versagerfreunde zu bewundern, die während des Iran-Irak-Krieges (1980-88) den Einsatz an der Front zu überleben versuchen. Der Erfolg des Films, in dem nahezu die gesamte A-Klasse des iranischen Kinos mitspielt, schlägt alles bisher Dagewesene: In Teheran bieten Kinobesitzer sogar Vorstellungen zwischen drei und fünf Uhr in der Früh an, um der Nachfrage Herr zu werden. Wie ist so etwas möglich? "Dehnamaki hatte Möglichkeiten, die andere Regisseure nicht hatten", sagt Mostafa Mahmoudi, der Vizepräsident und Sprecher der Vereinigung iranischer Filmkritiker. Dehnamaki habe viele Unterstützer gefunden, angefangen beim Kulturministerium über die Armee und die zivilen Revolutionsgarden Pasdaran bis hin zum Fernsehen, das billig Werbung für den Film machte.

Kurz: Das Establishment stand hinter ihm. "Ich bin unabhängig. Ich habe weder eine Partei unterstützt, noch wurde ich unterstützt", behauptet hingegen Dehnamaki. Er nennt es nicht Unterstützung, sondern "Zusammenarbeit". Lieber positioniert sich der Neo-Regisseur als Enfant terrible: "Manchmal meidet man die rote Grenze, und manchmal stellt man sich ihr. Ich habe mit ihr gespielt." Und er hat tatsächlich eine Grenze überschritten, als er in seinem Film Majid Suzuki und seine Gang an die Front schickte: Sein Held ist ein Schlägertyp und Ex-Sträfling, der aussieht wie ein persischer Marlon Brando mit Schnauzer. Um der Dorfschönheit Narges zu beweisen, dass er sich geändert hat und durchaus ehetauglich ist, zieht er im Iran-Irak-Konflikt als Freiwilliger gegen Saddam Hussein in den Krieg.

Und wie jeder Held hat er Gefährten, die ihm folgen. Ein pummeliger Feigling, der vom Koran gerade einmal den Buchdeckel kennt, ein geschwätziger Dieb und ein Drogensüchtiger, mit dem er einst die Zelle geteilt hat: klassische Außenseiter, die zu Sonnenaufgang nicht zum Gebet aufstehen, sondern weiterschlafen, die ihre Vorgesetzten mit vulgären Fragen belästigen und dabei nie die Zigarette aus dem Mund nehmen. Der Krieg, inszeniert als großer Schulausflug. Hier beginnt Dehnamakis Spiel mit der roten Linie. Der Krieg gegen den Irak gilt im Iran bis heute als nationaler Mythos. Nicht umsonst nennt ihn das Regime "Defaye Moghaddas" - heilige Verteidigung. Als im September 1980, ein Jahr nach der islamischen Revolution, Saddams Truppen im Süden des Landes einmarschierten, mobilisierte Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ein Heer gottesfürchtiger Freiwilliger - die Basij -, die für die Ideale der Revolution kämpfen und sterben sollten. Von Junkies und liebestollen Ex-Häftlingen war dabei nicht die Rede. "Die bisherigen Kriegsfilme haben gezeigt, dass die Soldaten von früh bis spät nur gebetet, geweint und Gott angefleht haben, Märtyrer zu werden. Aber so war das nicht", sagt Amir Farshad Ebrahimi, einer jener Freiwilligen, die damals Khomeinis Ruf folgten. Im Alter von zwölf Jahren hatte er sich von zu Hause davongeschlichen, seinen Ausweis gefälscht und war zum Basij geworden. Zehn Monate hat der heute 31-Jährige Jurist, der seit einem Jahr in Berlin lebt, gekämpft, bis der Krieg 1988 vorbei war. In Dokuhe, einer Militärbasis im Südwesten des Iran an der Grenze zum Irak, machte er Bekanntschaft mit Masoud Dehnamaki. "Er war ein aufgeweckter Bursche, wie wir alle in dem Alter", erinnert sich Ebrahimi. Dehnamaki hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre an der Front gekämpft. Mit seinen 19 Jahren war er dafür zuständig, die Neuankömmlinge einzuschulen. "Ich bin glücklich, dass Masoud diesen Film gemacht hat", sagt Ebrahimi.

Auch wenn er ihn beim Vornamen nennt - zu seinen Freunden zählt Dehnamaki längst nicht mehr. Ebrahimi gilt heute als Verräter, Dehnamaki als Verratener. Vor acht Jahren hatte Ebrahimi ausgepackt. Auf einem Videoband, das er nach dem brutalen Überfall auf ein Studentenheim aufgenommen hatte, sprach er zweieinhalb Stunden über die Ansare Hesbollah, die er gemeinsam mit Dehnamaki und einigen Mitstreitern 1992 gegründet hatte: einen Haufen frommer Hitzköpfe, die glaubten, im Krieg zu Männern geworden zu sein und für die nach der Rückkehr aus dem Krieg zu Hause kein Platz mehr war.

"Die Ideale der Revolution, die wir damals im Krieg hatten, sollten auch in der Gesellschaft umgesetzt werden", beschreibt Dehnamaki heute die Absicht der gefürchteten Gruppe. Die Gesellschaft wollte den Krieg vergessen, das Beten hatte sie satt, lieber suchte sie Trost im Kauf japanischer Fernseher und französischer Kühlschränke. "Die Ansare Hesbollah war eine radikale religiöse Gruppe, die ab einem bestimmten Zeitpunkt von der Regierung für ihre Zwecke missbraucht wurde", sagt Ebrahimi, der bis zu seinem Verrat zur Führungsspitze der Organisation gehörte. Bis heute verprügeln die Mitglieder der Ansare Hesbollah - Ebrahimi zufolge zwischen 5.000 und 10.000 Mann - "ketzerische" Studenten, pöbeln Mädchen an, deren Haare unter dem Kopftuch hervorscheinen, und sabotieren regierungskritische Versammlungen. Das alles auf Weisung von oberster Stelle: dem Büro des Religionsführers Ali Khamenei. Ein offenes Geheimnis, das Ebrahimi in seinem Video ausplauderte. Die Folge: zwei Jahre Haft. Seine Anwältin, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, wurde wegen Beihilfe zur Produktion des Bandes mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt. Dehnamaki war einer der Hauptkläger. Er nahm Ebrahimi, der, nachdem er die Haft abgesessen hatte, über die Türkei nach Deutschland flüchtete, den Verrat übel.

"Wofür ich Dehnamaki angeklagt habe, war der Angriff auf das Teheraner Studentenheim. Er war einer derjenigen, die den Angriff geplant hatten": Ebrahimi erzählt von der Nacht des 9. Juli 1999. Tagsüber hatten Studenten im Vorfeld der Parlamentswahl gegen das restriktive Pressegesetz demonstriert. Der Reformer Mohammed Khatami war zwei Jahre zuvor zum Präsidenten gewählt worden, und es sah ganz danach aus, dass die Reformer auch diese Wahl für sich entscheiden würden. In der Nacht kam es zum Angriff der reaktionären Kräfte: Mit Schlagstöcken und Eisenketten bewaffnet drangen Mitglieder der Ansare Hesbollah in die Studentenheime der Teheraner Universität ein und verprügelten die schlafenden Studenten. Mindestens ein Student wurde dabei getötet, zahlreiche verletzt. In den darauf folgenden Tagen kam es in mehreren Städten zu den größten Demonstrationen und Straßenschlachten, die der Iran seit der islamischen Revolution 1979 erlebt hatte.

Jamshid Barzegar hatte die Nacht des 9. Juli ebenfalls aus nächster Nähe erlebt. Einen Tag nach dem Angriff fuhr der Journalist der mittlerweile verbotenen liberalen Tageszeitung Enthekab zu jenem Studentenheim, in dem er selbst jahrelang als Politikwissenschaftsstudent gelebt hatte. "Ich hatte eine gute Sicht auf Dehnamaki. Er stand bei denen, die Steine gegen die Studenten geworfen haben. Er hat Parolen gerufen, die anderen aufgehetzt und sogar die Polizisten animiert, anzugreifen", erzählt Barzegar. Der 36-Jährige lebt heute in Prag und arbeitet als Chefredakteur des Online-Portals des persischsprachigen Senders Radio Farda.

Wenn der Regisseur Dehnamaki heute zu seiner Zeit bei der Ansare Hesbollah befragt wird, gibt er sich wortkarg. "Das ist alles eine Lüge, eine Verleumdungskampagne von Leuten, gegen die ich damals geschrieben habe. Ich war als Journalist bei den Protesten vor dem Studentenheim", verteidigt er sich. Nur zwei Jahre, von 1992 bis 1994, sei er Mitglied bei den fanatischen Glaubensbrüdern gewesen. Danach habe der studierte Politikwissenschaftler nur mehr für ihre Kampfblätter geschrieben, in denen er zur Sitte und Moral aufrief und Andersdenkende als Gottlose verteufelte.

Bis er 2002 das Kino für sich entdeckte - und seine erste Dokumentation über den Zusammenhang von zwei Tabuthemen drehte: Armut und Prostitution. Es ist ein moralisierender Film, der nicht den Prostituierten die Schuld an ihrer unislamischen Tätigkeit gibt, sondern der Armut und der Imitation der schändlichen westlichen Lebensweise. Öffentlich gezeigt wurde der Film bis heute nicht - die Zensoren des Regimes störten sich am Inhalt. Dehnamaki fühlte sich indes in seiner Rolle als Outlaw bestätigt.

Den Ankläger gegen gesellschaftliche Missstände kehrt er immer noch gerne hervor, so auch Anfang des Jahres bei der Verleihung der wichtigsten Preise der iranischen Filmindustrie, die im Rahmen des Fajr-Festivals stattfindet. "Ekhrajiha" war in zahlreichen Kategorien nominiert, gewann aber lediglich den Publikumspreis. Als Dehnamaki neben dem Produzenten auf der Bühne stand, entschuldigte er sich theatralisch bei den Schauspielern, die in seinem Film mitgespielt haben: "Sie alle würden jetzt hier stehen, wenn ein anderer Regisseur diesen Film gemacht hätte", brüllte er ins Mikrofon. Das ist der Dehnamaki, den man kennt: mit erhobenen Händen, wild gestikulierend und als Ankläger, der den Jurymitgliedern politische Motive für ihre Entscheidung vorwirft.

Dabei stellt sich gerade die umgekehrte Frage: Warum hat der Regimeliebling den Preis nicht gewonnen? Schließlich wird das Festival vom Kulturministerium organisiert. Der Minister persönlich hatte Dehnamaki bei den Dreharbeiten besucht. Eine derartige Geste war bis dahin noch keinem anderen Regisseur zuteil geworden. "Der Film hatte massive technische Probleme. Da war kein politischer Druck. Das haben mir die Jurymitglieder versichert", sagt Mostafa Mahmoudi von der Vereinigung iranischer Filmkritiker. Der Film sei fachlich gesehen einfach zu schlecht gewesen, von der Tonqualität bis zum Schnitt - Mängel, über die auch die Superstars und die provokanten Witze nicht hinwegtäuschen konnten. Argumente, die Dehnamaki trotzig von sich weist. Ihn überzeugen die Hunderttausenden Iraner, von denen sich manche seinen Film sogar spätnachts anschauen. "Vom Volksschüler bis zum Studenten, Gläubige und weniger Gläubige, sie alle haben eine Beziehung zu meinem Film aufgebaut. Es ist eine Art Versöhnung zwischen den Leuten eingetreten, weil, Ekhrajiha' auch gezeigt hat, dass jeder Mensch fähig ist, sich zu ändern", sagt Dehnamaki, und es klingt wie ein Plädoyer für sich selbst.

Sein Filmheld Majid beginnt zwar weder zu beten noch sich einen Bart wachsen zu lassen, opfert sich aber letzten Endes für seine Freunde und stirbt in deren Armen: eine Wandlung vom kriminellen Egoisten zum selbstlosen Märtyrer. Hat sich Dehnamaki also geändert oder gibt er statt des prügelnden Fanatikers nur den angepassten Kunstliebhaber? Die Hesbollah-Arbeitskleidung mit der schwarzen Hose und dem kragenlosen Hemd darüber hat er jedenfalls schon abgelegt. Im Fernsehtalk "Gläserne Nacht" steckt sein Hemd in der Hose, und es hat einen Kragen. Darüber das Sakko. "Geändert? Zurzeit habe ich einmal dieses eine Sakko." Er zupft daran. So recht sitzen will es noch nicht.