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Den Feind unter der Bettdecke

erschienen am 1.1.2008 in "Datum"

Eine neue Doku enthüllt eine bizarre Episode in der Popkulturgeschichte Israels: In den Sechzigern prägten als "Stalags" bekannte Dreigroschenromane voll mit sadistischen Naziwärterinnen die sexuellen Fantasien zehntausender Jugendlicher..

Als Bursch hatte der Israeli nur einen Traum, wenn er abends im Bett lag. Er wollte ins Stammlager 217. In ein sogenanntes Stalag der Nazis, wo diese während des Zweiten Weltkriegs ihre Kriegsgefangenen inhaftiert hatten. "Ich wäre nie von dort geflohen. Wozu denn auch", sagt der kleine Mann mit Halbglatze und rahmenloser Brille. Die Kamera lässt sein Gesicht im Halbdunkeln. Der Mann will nicht erkannt werden. Er könnte Mitte 50 sein, vielleicht auch älter. Er schämt sich für seinen Jugendtraum. Wieso sollte sich ausgerechnet ein junger Israeli wünschen, während des Zweiten Weltkriegs von Nazis gefangen genommen zu werden? "Ich wollte mit den Frauen schlafen. Sie fühlen", sagt er. Auf dem Tisch vor ihm liegen ein paar Stapel Taschenbücher. Dreigroschenromane aus den Sechzigern, benannt nach den deutschen Nazi-Stammlagern: die "Stalags". Er hat sie alle gesammelt. Auf den Covers prangen die Traumfrauen seiner Jugend: Blondinen mit kirschroten Lippen, schwarzen Lederstiefeln und engen Blusen, aus denen ihre Brüste fast herausfallen. Manchmal haben sie eine Peitsche in der Hand, manchmal führen sie eine Dogge an der Leine. Und immer tragen sie die Armbinde mit dem Hakenkreuz. "Aber die Offiziere waren doch Nazifrauen?", fragt eine Stimme aus dem Off. "Das ist egal. Für mich waren es Frauen, keine Nazis", antwortet der Mann fast trotzig.

Er weiß, dass er mit seinem Empfinden nicht alleine ist. Eine ganze Generation ist in seinem Land mit den Bildern der deutschen Dominas aufgewachsen. Im Israel der Sechzigerjahre gab es außer der älteren Schwester des Freundes oder der Lehrerin mit dem tiefen Ausschnitt nicht viel, was die Fantasie pubertierender Burschen stimulieren hätte können. Stalags boten eine willkommen Alternative. Nazifrauen als Onaniervorlage israelischer Buben? Makaber, aber wahr. Der israelische Regisseur Ari Libsker widmet sich in seinem Dokumentarfilm "Stalags: Holocaust and Pornography in Israel" erstmals dem Popkulturphänomen der Dreigroschenromane made in Israel. Seit kurzem läuft der Film in Kinos von Tel Aviv bis Jerusalem. Bei der Berlinale im Februar soll er erstmals in Europa gezeigt werden. "Wir haben nicht Victor Hugo gelesen, sondern die Stalags. Es war eine Revolution gegen die Eltern. Ein Akt der Unabhängigkeit", erzählt Hanna Yablonka und lacht. Die Historikerin der Ben-Gurion-Universität im südisraelischen Beerscheba hat als akademische Beraterin an Libskers Film mitgearbeitet. Als Jugendliche hat die heute 56-Jährige mit ihren Freunden die erotischen Taschenbücher gelesen - heimlich. Der Plot war meist derselbe. Schauplatz: Deutschland während des Zweiten Weltkriegs.

Ein alliierter Pilot, entweder Brite oder Amerikaner, wird festgenommen und in ein deutsches Stammlager gebracht. Die Aufseher sind weibliche SS-Offiziere: sadistische Frauen mit makellosen Körpern und einem ausgeprägten Sexualtrieb. Sie peitschen den Gefangenen aus, ritzen Hakenkreuze auf seine Brust und vergewaltigen ihn. Doch der Protagonist kann sich befreien und nimmt Rache. Er missbraucht seine Peinigerinnen, danach tötet er sie. Trash vom Feinsten. Der Clou: Die Autoren waren ausschließlich Israelis, zum Teil sogar Nachkommen von Holocaust-Überlebenden. Sie nannten sich Mike Baden, Ralph Butcher oder Mike Longshot. Ihr Ziel war es, den Lesern das Gefühl zu vermitteln, dass die Taschenbücher tatsächlich von britischen und amerikanischen Piloten geschrieben worden waren. Wer sich hinter den Pseudonymen verbarg, ist bis heute zum Großteil ungeklärt. Mit Ausnahmen: zum Beispiel Eli Keidar, der mit "Stalag 13" das Genre begründete. 15 Stalags sollen allein auf sein Konto gehen. Als der erste Roman 1961 erschien, war er binnen weniger Tage ausverkauft. 80.000 Exemplare fanden ihre Käufer, und die deutsche Frau mit dem aggressiven Blick und den schwarzen Stiefeln fand erstmals Eingang in die Fantasien zahlreicher Jugendlicher. "Es ist dämonisch, aber deutsche Frauen üben eine gewisse Anziehungskraft auf uns aus", sagt der Autor und freie Journalist Eli Eshed, der sich in zahlreichen Artikeln mit den Stalags auseinandergesetzt hat. Als reale Vorlage für die sadistischen SS-Frauen in den Pornoromanen dienten KZ-Aufseherinnen wie Ilse Koch und Irma Grese.

Koch, der "Hexe von Buchenwald", wurde nachgesagt, mit ihrem Pferd durchs Lager geritten zu sein und dabei Häftlinge mit ihrer Peitsche gejagt zu haben. Grese, Aufseherin in den Konzentrationslagern Ravensbrück, Auschwitz und Bergen-Belsen, war bekannt für ihre schweren schwarzen Stiefel, die sie Gefangenen, die am Boden lagen, in den Bauch rammte. Ständige Begleiter waren ihre Peitsche und ihre Hunde, die sie je nach Bedarf gegen die KZ-Häftlinge einsetzte. Rund 100 Stalags wurden im Laufe der Sechziger veröffentlicht. Die meisten spielten in Lagern auf Kuba, Japan oder Korea. Doch am meisten Aufsehen erregten jene rund 30 Romane, die Anfang der Sechziger erschienen und in Deutschland spielten. Im Mittelpunkt stehen Nippel und Hoden - vom Holocaust ist kaum die Rede. "Wenn man in Israel über Nazis und Lager spricht, assoziiert man damit sofort den Holocaust und die Konzentrationslager. Der Massenmord war permanent präsent. Man sah jeden Tag Holocaust-Überlebende auf der Straße, die mit ihren langärmligen Hemden versuchten, die KZ-Nummern auf ihren Armen zu verbergen", erzählt Omer Bartov. Der 53-jährige Universitätsprofessor für europäische Geschichte an der amerikanischen Brown University in Providence, Rhode Island, hat sich in seinen Büchern mit dem Phänomen der Stalags beschäftigt.

"Die Jugendlichen wussten, dass ihre Eltern oder Großeltern von den Nazis getötet worden waren. Aber trotzdem waren sie fasziniert von ihnen. Die Nazis waren tödlich, stark und attraktiv in ihren Lederjacken und Lederstiefeln. Sie waren das Gegenteil des jüdischen Opfers, mit dem sich niemand identifizieren wollte." Opfer zu sein beziehungsweise seinen Opferstatus hervorzukehren brachte im Israel der Fünfzigerjahre keine Sympathiepunkte. Jeder zweite Bürger des 1948 gegründeten Staates war ein Holocaust-Überlebender; in der öffentlichen Meinung warf man ihnen nicht selten vor, sie hätten sich "wie die Lämmer zur Schlachtbank führen lassen, ohne sich zu wehren". Erst der Prozess gegen Adolf Eichmann im Jahr 1961 veränderte die Wahrnehmung. Ziel des Prozesses war nicht nur, den Kriegsverbrecher Eichmann als Hauptverantwortlichen für die Deportation und Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden zur Rechenschaft zu ziehen, sondern den Holocaust für alle Israelis begreifbar zu machen: eine Gruppentherapie fürs ganze Land. Mehr als 100 Holocaust-Überlebende wurden in den Zeugenstand gerufen, um über die Deportation, die Lager und die Gaskammern zu berichten. Neun Monate lang überlagerte die Berichterstattung über den Prozess alle anderen Nachrichten. Der Großteil wurde live im Radio übertragen, viele Schulen sagten sogar den Unterricht ab, damit die Schüler die Übertragungen mithören konnten. Zeitgleich erschien der erste Stalag.

Dass der Nazismus sexy sein kann, hatten die Israelis aber schon viel früher entdeckt. Regisseur Ari Libsker sieht in den Romanen des Auschwitz-Überlebenden Jehiel Feiner alias K.Zetnik den Vorläufer der Stalags. Prominentestes Beispiel: K.Zetniks Roman "Das Puppenhaus", der bereits im Jahr 1953 erschien. Darin beschreibt er den sogenannten "Block 24" im Konzentrationslager Auschwitz. Einem Bordellblock, in dem hübsche Jüdinnen täglich 24 Stunden für die KZ-Aufseher auf Abruf bereitstehen mussten. Auf ihre Brust hatten sie die Buchstaben FH tätowiert: Feldhure. "Diese Bücher haben die sexuellen Bedürfnisse befriedigt. Der Leser hat sich mit dem Vergewaltiger identifiziert. Niemand ist gerne Opfer", erklärt der Psychologe Nathan Durst, Direktor der AMCHA, des Nationalen Zentrums für Psychosoziale Unterstützung von Holocaust-Überlebenden in Jerusalem. Die pornografischen Bücher wurden in manchen israelischen Schulen sogar in den Lehrplan aufgenommen.

So wurde K.Zetnik nach und nach beliebt und anerkannt - und spätestens nach dem Eichmann-Prozess so gut wie unantastbar. Als Zeuge ließ er die ganze Nation an seiner Auschwitz-Vergangenheit teilhaben. Seinen Ohnmachtsanfall nach der Befragung im Zeugenstand sehen tausende Israelis bis heute zu jedem Jahrestag des Eichmann-Prozesses im israelischen Fernsehen. Während seine Romane als Beschreibungen der Realität verkauft wurden und werden, galten die Stalags hingegen als pietätlose Schundromane. Den Höhepunkt erreichte der Stalag-Boom mit der Veröffentlichung des Romans "Ich war Oberst Schultzes Hündin". Dieser stellte alle anderen bis dahin erschienenen Stalags in den Schatten. Sein Inhalt: Ein SS-Offizier foltert und vergewaltigt auf brutalste Weise eine französische Inhaftierte. Die Rollenverteilung hat sich dabei geändert: Der Mann ist nun der Täter, die Frau das Opfer. "Es wurde nicht erwähnt, dass die Frau eine Jüdin war, doch wurde es von allen so interpretiert. Problematisch bei diesem Buch war, dass der Verleger den Inhalt als Wahrheit und nicht als Fiktion verkaufen wollte", sagt der Buchautor und Stalag-Spezialist Eli Eshed. "Ich war Oberst Schultzes Hündin" wurde 1963 wegen seines angeblich antisemitischen und pornografischen Inhalts verboten. Der Autor ist bis heute unbekannt. Der Verleger Isaac Guttmann wurde verklagt, alle veröffentlichten Exemplare eingezogen und vernichtet. Nicht einmal in der israelischen Nationalbibliothek findet sich noch eine Ausgabe des sadistischen Taschenbuchs. Damit war das Ende der Stalag-Ära eingeläutet. Verkauft wurden die Hefte bis Ende der Sechziger. Heute findet man sie höchstens noch auf Flohmärkten und in Secondhand-Buchläden. An Wirkung haben sie jedoch nichts eingebüßt.

Die deutsche Frau ist immer noch Bestandteil von israelischen Männerfantasien, wenn auch mit einer anderen Rollenverteilung. Das zeigt zumindest Regisseur Libsker in den ersten zehn Minuten seiner Dokumentation. Zu sehen ist Eyal Liani, ein Anwalt in den Vierzigern. Sein Großvater kam während des Zweiten Weltkriegs in einem KZ um. Liani pflegt nach eigenem Bekunden trotzdem eine besondere Vorliebe für deutsche Frauen. "Es macht mich an, wenn ich diese deutsche Frau im Namen der sechs Millionen jüdischen Opfer in den Arsch ficke. Wenn ich ihr Gesicht sehe, denke ich an ihren Großvater, den SS-Offizier, und sage: Du hast Juden getötet, und jetzt schau dir an, was dieser Jude deiner Enkelin antut." Dann hält er kurz inne und fügt schulterzuckend hinzu: "Aber ich bin nicht pervers. Nur ein Israeli, der sein Leben genießt."