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Reportage

Die Rebellen vom Lammertal

  • erschienen am 26.03.2009 in "Die Zeit"
Eine Diplomatengattin aus Rio mobilisiert Bauern in Salzburg, den Bau einer Gaspipeline durch die Hohen Tauern zu verhindern

So sieht ein Goliath also aus: Mitte vierzig, Halbglatze, rundlich, altrosa Hemd und braune Stoffhose. Eigentlich recht harmlos. Doch als Vertreter der Gaslobby muss sich Thomas Kettl dieser Tage viel gefallen lassen. Wenn es sein muss, auch den Vergleich mit einem biblischen Riesen, der mit einer Steinschleuder zur Strecke gebracht wurde. Das grämt den Ingenieur sichtlich.

Erschöpft sitzt er in seinem Büro in Wals-Siezenheim, einem abgeschiedenen Gewerbegebiet nahe des Salzburger Flughafens. Er versteht die ganze Aufregung nicht. »Unser Ziel ist es doch nur, Erdgas aus Nordafrika und dem arabischen Raum nach Mitteleuropa zu bringen«, beteuert er. »Die Gaskrise hat ja gezeigt, wie notwendig das Ganze ist.« Sein Plädoyer klingt ein wenig hilflos.

Kettl ist Geschäftsführer der Tauerngasleitungsgesellschaft. Seit zwei Jahren plant das Konsortium aus österreichischen und deutschen Energieversorgern, eine Pipeline von Italien über Österreich bis nach Deutschland zu bauen. Eine 290 Kilometer lange Energieader, die weder vor Stock und Stein noch dem Alpenhauptkamm haltmachen soll. Es könnte die lang ersehnte Alternative zu den bestehenden Routen sein, ein Weg, der Europa endlich von den Launen der russischen Gaslieferanten unabhängig machte. Eigentlich müssten nur noch ein paar formale Kleinigkeit geregelt werden, um im nächsten Jahr mit dem Bau des Großprojektes beginnen zu können.

Bilder von explodierenden Pipelines sollen den Bauern Schrecken einjagen

Gäbe es nicht Scheffau im Lammertal. Ein verschlafener Ort im Schatten der Felswände des Tennengebirges, wo man auf schmalen Wanderwegen spazieren und auf Biobauernhöfen entspannen kann. Die Gemeinde zählt gerade einmal 1300 Einwohner. Viele von ihnen sind Landwirte, meist im Nebenerwerb. Für den Lebensunterhalt reichen Milchkühe und ein paar Hektar Wald schon lange nicht mehr.

Rund neun Kilometer der neuen Tauerngasleitung sollen im Gemeindegebiet von Scheffau verlegt werden. So sieht es die geplante Trasse vor. Bloß: Niemand hat mit den Querköpfen aus dem tiefschwarzen Scheffau gerechnet. Seit Monaten trotzt eine Handvoll Bauern dem Gaskonsortium. Die Entschädigungsgebühr von 65 Euro, die pro verlegten Laufmeter Rohrleitung angeboten wird, interessiert sie nicht. »Nein zur Tauerngasleitung«, skandieren die Alpenrebellen bei ihren Informationsveranstaltungen und verteilen in allen Ortschaften entlang der geplanten Trasse, von Kärnten über Salzburg bis nach Oberösterreich, ihre orangenfarbenen Protestplakate an betroffene Grundbesitzer. Kein Meter Boden soll für den unterirdischen Rohrwurm herhalten müssen.

«Die glauben, sie können die Bauern für dumm verkaufen«, sagt Sirikit Reuchlin verärgert, während sie das Tal inspiziert. Sie zeigt auf die schmalen Straßen, wo demnächst Bagger und schwere Lkw den Weg versperren könnten, um eine Pipeline von knapp einem Meter Durchmesser in der Salzburger Erde zu verscharren. Spätestens dann ist es vorbei mit der Alpenidylle. Besorgt blickt sie zu den steilen Felswänden und verschneiten Wäldern hoch, als habe sie das Wundmal einer breiten Schneise bereits vor Augen.

Reuchlin ist die Jeanne d?Arc des Lammertals. Wie eine Rebellin sieht die schlanke 57-Jährige nicht aus. Zu gepflegt sind die roten Locken, zu echt die Perlenohrringe, zu gepflegt der Ton ihrer Konversation. Eigentlich lebt die gebürtige Scheffauerin in Rio, wo ihr Mann als holländischer Diplomat stationiert ist. Seit zwei Jahren pendelt sie aber wieder regelmäßig von der Copacabana in ihren Heimatort, kümmert sich um die 20 Hektar Familiengrund und renoviert den ererbten Hof zu ihrem künftigen Alterssitz. Ausgerechnet sie, die Diplomatengattin mit thailändischem Vornamen, ist aber die Rädelsführerin der wehrhaften Bauern.

Schuld daran ist Al Gore. Seine Dokumentation
Eine unangenehme Wahrheit
habe der konservativen Stammwählerin die Augen geöffnet. »Zum ersten Mal habe ich mir Gedanken über alternative Energien gemacht«, erzählt sie. Prompt ließ sie in ihrem mittelalterlichen Gutshaus eine Wärmepumpe installieren. »Damit ich von Öl und Gas unabhängig bin«, erklärt sie. Der Kampf gegen einen allmächtigen Gaskonzern kam der Ökonovizin wie gelegen.

Vor knapp einem Jahr tauchten Männer der Tauerngasleitungsgesellschaft bei ihr auf. Sie wollten Probebohrungen auf ihrem Besitz durchführen. Weil Reuchlin keine Details über den Bau der Pipeline erfuhr, die 900 Meter in ihrem Grund verlaufen soll, wurde sie misstrauisch. Sie begann zu recherchieren. Der Plan einer Transitleitung, die durch ihr enges Tal und das Tennengebirge knapp oberhalb der Wasserreservoirs des Landes führen soll, beunruhigte sie. Sie nahm mit Nachbarn Kontakt auf, mit Wissenschaftlern und Politikern. Im Wochenrhythmus veröffentlichte die ÖVP-Anhängerin Leserbriefe in der Lokalpresse, ließ eine eigene Protestseite im Internet einrichten und rekrutierte Mitstreiter. Die kleine Rebellion entwickelte sich rasch zu einem regelrechten Kreuzzug.

Entlang der geplanten Trasse erzählen sich die Leute bereits ehrfürchtige Geschichten über die Frau aus Rio, die auszog, Politik und Gaslobby das Fürchten zu lehren. Überall hört man, wie sie Thomas Kettl und seine Männer in Verlegenheit brachte, als sie den Scheffauern Videos vorführte, auf denen Gasleitungen explodieren und Feuerbälle zum Himmel steigen. Oder wie sie im eleganten Kostüm und mit Aktentasche durch Kärntner Gasthäuser tingelte, um wortkarge Bauern im Einmaleins des zivilen Ungehorsams zu unterweisen. Mittlerweile kämpft südlich der Hohen Tauern eine merkwürdige Allianz aus BZÖ und Grünen gegen das ehrgeizige Projekt.

»Es geht einzig um die Sache«, meint Reuchlin pragmatisch. In der Lammerklause, einem urigen Wirtshaus in Scheffau, hat sie ihre Taskforce versammelt, sieben Männer aus Salzburg und Kärnten. Da ist der junge Biobauer mit der braunen Mähne, der keine Gelegenheit auslässt, um für Biomassekraftwerke zu werben; der Ingenieur im Tweedjackett, der im Habitus eines Landgrafen über die ominösen Drahtzieher des Gaskonsortiums, natürlich finstere Russen, referiert. Und schließlich ist da noch der knorrige BZÖ-Gemeinderat in seiner Kärntner Joppe, der polternd zum Aufruhr ruft.

»Die Männer der Gasgesellschaft tarnen und täuschen«, zischt einer. »Das ist einfach bösartig.« Er erzählt von einem Bauern, bei dem Vertreter der Gasgesellschaft unangemeldet am Hof aufgetaucht seien und behauptet hätten, der Mann sei der Einzige, der noch keinen Pipelinevertrag unterschrieben habe. Und dass ihre Gesellschaft die Unterschrift eigentlich gar nicht brauchte, weil man den Bauern ja jederzeit enteignen könnte ? schließlich liege die Transitleitung im öffentlichen Interesse, zumindest im europäischen.

Viel Geld ist jetzt im Spiel, und die Dorfbewohner wittern Verrat

Immer wieder fällt ein Name: Otto Lapuch. In der Lammerklause nennen sie ihn den Mann fürs Grobe. Ein bulliger Salzburger, der schon einmal laut wird, wenn es ihm gegen den Strich geht. Bei der Pipelinegesellschaft ist er dafür zuständig, die Unterschriften der insgesamt 1800 betroffenen Grundbesitzer einzusammeln. »Ich bin für das Projekt immer bei den Leuten, quasi an der Front, aber grob bin ich nicht«, behauptet Lapuch. Er lacht verlegen. Es heißt, er habe Reuchlin gedroht, dass das kürzeste Enteignungsverfahren, ein Fall in Oberösterreich, lediglich zwei Monate gedauert habe. Lapuch dementiert: In seiner 30-jährigen Tätigkeit habe er »noch niemanden in Salzburg enteignen lassen«. Er suche Kompromisse. Im schlimmsten Fall müsse man eben die Pipelinetrasse umplanen, wie in einigen anderen Ortschaften, wo der Widerstand zu groß gewesen sei.

»Erst wenn wir es schwarz auf weiß haben, dass die Bauern nicht enteignet werden, hören wir auf«, sagt Reuchlin. »Nicht früher.« Den Kampf schulde sie ihren Gefolgsleuten. »Hätte diese Frau nicht im Tennegau umgerührt, hätten wir gar nicht gewusst, dass wir uns wehren können«, meint Christa Kurz. Dankbar strahlt sie Reuchlin an. Die Frauen sitzen in der Küchenstube der Milchbäuerin aus der Ortschaft Hinterschroffenau. Frau Kurz hat aus der Zeitung von der streitbaren Diplomatengattin erfahren. Seither zählt die 55-Jährige zu Reuchlins engsten Mitstreitern.

Voll Respekt mustert Ehemann Ottmar die beiden Aufrührerinnen. Der Mann mit den rauen Händen ist stolz auf seine Frau. Darauf, dass sie E-Mails verschickt. Sie, die früher ihre Kinder bitten musste, Informationen aus dem Internet zu fischen, informiert sich nun online über die Machenschaften des Gaskonzerns Gasprom, den sie hinter der Tauerngasleitung vermutet. »Damit sind wir erst recht wieder abhängig von den Russen«, meint sie und zupft an ihrem rosa Pullover. Wie viel von ihrem 13 Hektar großen Grund betroffen ist, weiß sie nicht. Wehren will sie sich trotzdem, für ihre Kinder, ihre Gemeinde, ihr Land. An den Wochenenden klappert sie mit ihrem Mann im Kleinwagen der Familie Bauernhöfe von Oberösterreich bis Kärnten ab, um zu verhindern, dass andere Landwirte irgendwelche Verträge unterschreiben. »In Seekirchen wollte uns ein Bauer fortjagen, der dachte, dass wir von der Tauerngasgesellschaft sind«, erzählt die Alpenrebellin.

Die Pipelinegesellschaft möchte bis Ende des Jahres die meisten Verträge unter Dach und Fach haben, rechtzeitig vor der Umweltverträglichkeitsprüfung. Das lässt sie sich auch einiges kosten. Jeder Betroffene erhält jetzt einen Zuschlag von bis zu 80 Euro pro Laufmeter, wenn er noch in diesem Jahr zustimmt. Eine »Beschleunigungsgebühr«, sagt die Gesellschaft. Bestechung nennen es einige Bauern. Seit mehr Geld im Spiel ist, beschimpfen einander die Grundbesitzer als Verräter: jene, die unterschreiben, meist weil sie Schulden haben, und jene, die sich weigern, der Gaslobby aus der Patsche zu helfen.

»Der soziale Friede ist in vielen Gemeinden gestört«, sagt Gerhard Margreiter und blickt bekümmert in die Runde der wehrhaften Männer in der Gaststube der Lammerklause. Der pensionierte Heizungsinstallateur ist die graue Eminenz des Lammertaler Widerstands. Seit der ersten Stunde kämpft der vollbärtige Mann mit dem gütigen Lächeln an der Seite der Dame aus Rio in vorderster Front. Wenn die Politiker nicht bald einlenkten, dann sei der »Kampf gegen den Goliath der Konzerne«, wie die Scheffauer ihren Widerstand nennen, wohl demnächst verloren. Bedrückt murmelt Margreiter: »Wir sind eben nur David.«