Wien. Gelegentlich bricht es aus den Frauen heraus. Sie entschuldigen sich sofort für ihre Kritik. Sie wollen keinen Clinch. Dass vor Fremden der Eindruck von einem "Wir" gegen ein "Die" entsteht. Denn eigentlich ist man doch ein Team, "wir" die Krankenschwestern und "sie" die Ärzte. Am Ende würde es doch allen nur um das Wohl der Patienten gehen.
Doch spätestens seit dem Wiener Ärztestreik im Herbst ist nichts mehr, wie es war. Es rumort an der Basis. Die Pflege hat genug. Zu oft hat sie in den vergangenen Jahren den Mund gehalten, wenn Gesetze novelliert wurden, wenn sich ihr Arbeitsaufwand erhöht hat und ihr Alltag längst nichts mehr mit dem zu tun hat, warum sie sich für diesen Beruf entschieden haben.
Seit knapp zwei Jahren hat sich das Tätigkeitsfeld der Krankenschwestern - der überwiegende Teil der Pflege ist nach wie vor weiblich - erheblich verändert. Der Hintergrund: das neue Ärzteausbildungsgesetz. Angehende Ärzte sollen sich nicht länger mit Hilfstätigkeiten - wie Blutabnehmen - aufhalten. Sie sollen sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das Unwesentliche kann eine andere Berufsgruppe übernehmen: die Pflege. Schließlich ist sie dafür ausgebildet worden. Sie kann Blut abnehmen, EKGS schreiben, Harnkatheder und Infusionen legen. Bloß: Sie hat keine Routine darin, weil es der Dienstgeber bisher nie von ihr verlangt hatte.
Seit 1. Jänner 2015 ist das anders. Nun sollen sie diese Aufgaben übernehmen. Auffrischkurse hat ihnen dafür der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) - mit 11 Krankenhäusern der größte Dienstgeber für knapp 12.000 Pflegekräfte - angeboten.
Als Aufwertung wurde die neue Umverteilung verkauft. Endlich kann sich das diplomierte Pflegpersonal mit medizinischen Dingen beschäftigen. Für die bisherigen Aufgaben sollen andere Gruppen eingesetzt werden. Die Körperpflege der Patienten übernehmen die Pflegehelfer, das Essen teilen die Serviceassistenten aus und das Administrative managen die Stationssekretäre.
Auch der Wunsch nach einem Streik
Das war der Plan. Doch die Praxis sieht anders aus. Wie sehr die Vorstellung von der Realität abweicht, berichten sieben Krankenschwestern der "Wiener Zeitung". Sie sind zwischen 20 und 60 Jahre alt und arbeiten sowohl in öffentlichen als auch in privaten Spitälern. Aus Angst vor beruflichen Konsequenzen wollen sie anonym bleiben. Zu oft wurde ihnen in Rundmails und in Vier-Augen Gesprächen mit Vorgesetzten eingebläut, keine Interna weiterzuerzählen. Doch mittlerweile dominiert der Frust, die Angst. Sie haben genug von den Arbeitsbedingungen, die sie an ihre Grenzen treiben. Der Tenor: Sie sind überfordert. Von der versprochenen Entlastung ist keine Spur. Und angesichts des Ärztestreiks wurde ihnen einmal mehr der Stellenwert ihrer Berufsgruppe, der größten in den Wiener Gemeindespitälern, in der Krankenhaushierarchie bewusst: "Da ist der Gott in Weiß und irgendwo unten ist die Krankenschwester, die den Popsch abputzt."
Während monatelang von den Spitalsärzten die Rede war, über ihre potenziellen Gehaltseinbußen und verkürzte Arbeitszeiten gestritten wurde, ist die Pflege unbeachtet geblieben. Sie hat sich nicht zu Wort gemeldet. Nur einen Brief hat es seitens der Pflegedirektoren unmittelbar vor dem Ärztestreik gegeben, in dem sinngemäß die Forderungen der Ärzte nicht goutiert wurden.
Einige an der Basis hat das irritiert. "Wir wollten auch streiken", sagt eine Schwester, "aber es wurden uns verboten." Auch sie wollten aufzeigen, dass es für sie im Gesundheitssystem so nicht länger weitergeht. Sie hätten es satt, Menschen in Legebatterie-Manier abzufertigen. Vor allem, weil die Krankenschwestern auch diejenigen seien, welche die Patienten den gesamten Krankenhausaufenthalt über begleiten. Von der Aufnahme bis zur Entlassung. Von früh morgens bis spät in die Nacht. Sie wissen, wer welches Essen verträgt, warum der Patient die Nacht nicht durchgeschlafen hat und wann welche Wunde wieder zu bluten begonnen hat. Denn sie sind permanent anwesend und für die Patienten der erste Ansprechpartner.
Der Arzt sieht den Patienten nur zur Visite. Und durch die Umverteilung einiger Aufgaben an die Pflege hat sich sein Kontakt weiter verringert. "Die Ärzte kennen die Patienten gar nicht. Die schauen dann nur in die Akte, bestimmen die Therapie und ordnen an, was wir tun sollen", sagt eine junge Schwester.
Seit der "mitverantwortliche Tätigkeitsbereich" auf den regulären Stationen ausgeweitet wurde, sind viele Krankenschwestern verunsichert. "Wir haben alle Angst, dass was passiert, und deswegen sichern wir uns die ganze Zeit ab. Das heißt, dass wir dem Arzt ständig hinterherrennen und ihn die ganze Zeit fragen", so eine andere junge Schwester.
Lediglich 140 Stationssekretäre zusätzlich
Gründe für die Verunsicherung gibt es viele. Einerseits die fehlende Routine. Andererseits die fehlende Zeit und Ressourcen, um diese Routine zu erlangen. Denn anders als vorgesehen, wurden die befragten Schwestern auf ihren Abteilungen nicht entlastet. Das heißt: Sie erfüllen ihr herkömmliches Pensum zusätzlich zu den neuen Aufgaben. "Wenn einer ausfällt, müssen wir alle Löcher stopfen. Da gebe ich als diplomierte Schwester das Essen aus und mache das Bett sauber. Ich kann den Patienten ja schlecht verhungern lassen oder auf den Boden legen", erklärt eine Schwester.