Sina Wollgramm

Journalistin, Musikmanagerin

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Justiz spart durch britisches Gericht

Hier wird den britischen Soldaten der Prozess gemacht: Ian Mosedale ist Leiter des britischen Militärgerichts in Sennelager. Auch Fälle bei denen Deutsche die Opfer sind werden zum Teil hier verhandelt. | © Sina Wollgramm


Deutsche haben nicht immer ein Recht auf die deutsche Rechtssprechung


Paderborn-Sennelager. 133 Fälle wurden 2014 vor dem britischen "Military Court Centre BFG" in Sennelager verhandelt. In 20 bis 25 Prozent der Fälle klagten Deutsche gegen britische Soldaten. Die Entscheidung, ob ein Fall vor deutschem oder britischem Gericht verhandelt wird, liegt bei der deutschen Staatsanwaltschaft. Wird der Prozess von dem britischen Gericht durchgeführt, gilt die britische Rechtssprechung. Die Kosten trägt dann ebenfalls die britische Justiz. Hier spart die deutsche Justiz Kapazitäten. Wie das britische Gericht funktioniert und nach welchen Kriterien die deutsche Staatsanwaltschaft über das zuständige Gericht entscheidet, hat NW-Volontärin Sina Wollgramm nachgefragt.


"Die Entscheidung, ob ein Fall vor unserem Gericht landet, liegt ausschließlich bei der deutschen Justiz. Wenn ein Vorfall auf einem Kasernengelände passiert, steht es beinahe schon fest, dass der Fall hier landen wird. Wenn etwas draußen auf den Straßen passiert, geht es automatisch an die deutsche Justiz. Die Entscheidung, wo der Fall letztlich landet, liegt bei der deutschen Staatsanwaltschaft", erklärt Ian Mosedale im Interview. Mosedale ist Leiter des britischen Militärgerichts in Sennelager und kein Jurist. Darin liegt schon der erste Unterschied zum deutschen Rechtssystem, wo an der Spitze Juristen als Gerichtspräsidenten stehen. Auch inhaltlich funktioniert die britische Justiz ganz anders. "Es gibt zwei Seiten im Militärgericht. Es gibt das Court Martial und das Service Civilian Court. Court Martial behandelt Soldatenfälle. Das Service Civilian Court behandelt Fälle von Zivilisten, die Mitglieder der Streitmacht sind, die zu uns gehören, aber nicht im Militär sind."


Vor Gericht treffe dann nicht etwa der Richter die Entscheidung schuldig oder unschuldig, sondern in Soldatenfällen eine Jury aus Soldaten, die keinen praktischen juristischen Hintergrund und keine Berührungspunkte mit dem Angeklagten haben dürfen. "Der Richter ist dafür zuständig, den Prozess zu managen und sicherzustellen, dass alles im legalen Rahmen verläuft."


Warum entscheiden Soldaten über Fälle anderer Soldaten? "Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass eine Jury, die aus Soldaten besteht, die Bedingungen in Afghanistan kennen und verstehen", erklärt Mosedale. Das genaue Abstimmungsergebnis werde nicht bekannt gegeben. "Es zählt die Mehrheit unter den Jurymitgliedern, daher besteht die Jury immer aus 3, 5 oder 7 Leuten. Der Präsident der Jury wird gefragt, ob eine Entscheidung getroffen wurde und dieser sagt ,ja und schuldig' oder ,nein, nicht schuldig'."


Von 133 Prozessen im vergangenen Jahr wurden die Angeklagten in 78 Fällen für schuldig befunden. Im Gefängnis landen allerdings die wenigsten Verurteilten. "Es gibt ein Militär-Trainingscenter. Das ist kein Gefängnis. Es ist nur möglich, jemanden in das Trainingscenter zu schicken, wenn derjenige zu maximal zwei Jahren verurteilt wurde. Wie im Gefängnis wird in dieser Zeit jedoch niemand bezahlt. Man geht in dieses Camp, um dort zu einem besseren Soldaten zu werden, als Vorbereitung darauf, wieder zurück in die Armee zu kommen", beschreibt Mosedale. Verliert ein Kläger vor dem Court Martial, gibt es keine höhere Instanz. Für den Verurteilten gibt es die Möglichkeit sich an das "UK's court of appeal" zu wenden.

Mehrere Fälle aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass auch Fälle vor dem Court Martial gelandet sind, die auf deutschem Boden mit deutschen Opfern stattgefunden haben. Hat ein deutscher Staatsbürger, der hierzulande von einem britischen Soldaten zusammengeschlagen wird, denn kein Recht auf die deutsche Rechtssprechung? Nein, nicht immer.


Die Staatsanwaltschaft verweist hier auf das NATO-Truppenstatut, welches auf die Besatzungszeit zurück geht und seit 1951 Bestand hat. Hinzu kommen die Zusatzvereinbarungen zum NATO-Truppenstatut von 1959. In Artikel 7 des Truppenstatuts ist in mehreren Absätzen geregelt, dass für Fälle, in denen britische Soldaten im Dienst und für Fällen, in denen sie auf britischem Gelände agieren, das britische Militärgericht zuständig ist.

Für das, was ein britischer Soldat in seiner Freizeit auf deutschem Boden tut, gilt ein Vorrecht des Aufnahmestaates. Dies bedeutet, dass die deutsche Justiz das Vorrecht auf die Prozessbehandlung hätte.


Dieses Vorrecht hat Deutschland jedoch generell abgetreten. Das geht aus Artikel 7, Absatz 3b des Truppenstatuts und Artikel 19 des Zusatzabkommens hervor. Im Einzelfall besteht die Möglichkeit, dieses Vorrecht innerhalb von 21 Tagen zurückzuholen, was jedoch selten praktiziert werde. Ein Recht auf die deutsche Rechtssprechung haben deutsche Staatsangehörige, als Folge des Zweiten Weltkrieges, auf deutschem Boden also nicht immer.



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