Zwischen Tod und Beerdigung können bei den Toraja Jahre liegen. Das Volk in Indonesien pflegt enorm aufwendige Begräbnisrituale. Die Angehörigen kostet das viel Zeit und Geld, Besucher brauchen gute Nerven.
Nach ihrem Tod lag Adolphine Datuan Bandaso noch drei Jahre lang in ihrem Schlafzimmer. Mumifiziert, mit dem Kopf Richtung Paradies im Süden und inmitten eines Meeres aus Blumen. Erst dann wurde die Verstorbene in einen roten Sarg gelegt und auf einen eigens gebauten Turm aus Bambusrohr gebracht. Hier wird sie fast zehn Tage verbringen - so lange dauert ihre Begräbniszeremonie.
Das Gemälde, das an der Kopfseite des Sarges steht, zeigt eine braunhäutige Frau mit weißen Haaren, einem eingefallenen Mund und einem Blick, als beobachte sie das Geschehen auf dem Festplatz. Sie wurde 84 Jahre alt. Im Gras hocken Männer in schwarzen Sarongs und Hemden, einige Frauen stehen im Kreis und singen. Darüber hinweg schnarrt aus Lautsprechern eine Männerstimme, die über die nächsten Programmpunkte informiert.
Rund um den Festplatz stehen 70 rot gestrichene und reich verzierte Bambushütten, die den angereisten Gästen als Unterkünfte dienen und danach wieder abgerissen werden. "400 Menschen haben zwei Monate lang jeden Tag gebaut und gekocht", sagt Alex Bandaso, einer der Söhne der Verstorbenen, über die Ausmaße der Feier.
Dirapai nennen die Toraja eine Beerdigung dieser Größenordnung, die beim Adel, der höchsten der drei gesellschaftlichen Klassen, üblich ist. Trotz niederländischer Kolonialisierung und christlicher Missionierung konnte der Volksstamm im Hochland der indonesischen Insel Sulawesi seine Traditionen weitgehend erhalten. Noch heute leben viele Menschen in den für die Region typischen Holzhäusern mit den sattelförmigen Dächern, bauen überwiegend Reis an und setzen ihre Toten in Felsgräbern bei.
Ferienzeit ist Beerdigungszeit
Dass die Toraja mit ihren Beerdigungen lange warten, ist Tradition - und zunehmend ein Resultat der schwierigen Terminabstimmung. "Die ganze Familie muss teilnehmen können", sagt Bandaso. Der 64-Jährige ist mit seiner Frau, vier Kindern und etlichen Enkeln aus Westsulawesi in die alte Heimat gekommen.
Die Urlaubszeit ist daher Beerdigungshochsaison in Tanah Toraja. Von Juli bis September und im Dezember können Reisende, die die beschwerliche Busfahrt in die Region um Rantepao auf sich genommen haben, in fast jedem zweiten Dorf Festplätze im Auf- oder Abbau sehen. Auch ausländische Gäste sind willkommen, wenn sie sich in gedeckten Farben kleiden und ein Geschenk mitbringen.
Für die Toraja ist es keineswegs befremdlich, mit einer Beerdigung mehrere Jahre zu warten. Die Verstorbenen sind nach ihrer Vorstellung nur krank. Erst wenn sie beerdigt werden, sind sie tot. Und auch das ist nur der Übergang ins nächste Leben.
Vier Tage Begrüßung
Die Trauerfeier kostet so viel, dass Alex Bandaso mit dem Aufschreiben der Nullen nicht klarkommt. Wenn die mittlere seiner Angaben stimmt, wäre das ein sechsstelliger Euro-Betrag. "Jeder Angehörige gibt, was er kann." Nun wird gefeiert, mit Musik und Tanz, viel Essen und Alkohol, nach einem auf weißen Tafeln detailliert notierten Programm. Allein die Begrüßung der Kondolierenden dauert vier Tage.
Schon an Tag drei sieht Alex Bandaso mitgenommen aus. Seine schwarzen Haare hängen in Strähnen ins Gesicht, die Augen sind blutunterlaufen, der weiße Sarong sitzt schief. Er hat bis tief in die Nacht getanzt, selbstgebrannten Palmwein getrunken und ab 6 Uhr den Festplatz gereinigt. Gegen Mittag hat er bereits Hunderte Gäste begrüßt und dabei irgendwann seine Stimme verloren.
Ein Gongschlag verkündet die Ankunft neuer Gäste. Diese Gruppe hat 20 Schweine als Geschenke dabei. Männer tragen sie auf den Schultern, die Füße nach unten, mit je einem Bambusstab am Rücken und am Bauch bewegungsunfähig gemacht. Eines der Schweine stößt schrille Schreie aus. Bandaso hält sich die Ohren zu.
Büffel und Schweine für den Verstorbenen
Wenige Kilometer von den Bandasos entfernt verabschieden sich in diesen Tagen Freunde und Verwandte von Maria Namunu. Sie musste knapp zwei Jahre auf ihre Beerdigung warten. Eine lebensgroße Holzkopie der Dame - im pinkfarbenen Kleid, mit Goldschmuck und Bambushut - sitzt mit etwas grimmiger Miene im Zentrum des Festplatzes und wacht über das siebentägige Spektakel.
An diesem Morgen sind die Schlächter im Einsatz. "Damit es den Verstorbenen an nichts mangelt, werden zur Beerdigung Wasserbüffel und Schweine geopfert. Die Zahl variiert je nach sozialem Status", erklärt Salvinus Banne, ein Mitglied des Dorfkomitees.
Auf der Flanke eines rosafarbenen und damit sehr teuren Büffels steht in Sprühschrift der Name des Spenders. "Das wird alles ganz genau festgehalten, damit die Familie weiß, was sie wem bei einer künftigen Beerdigung zurückgeben muss", sagt Banne. "Außerdem müssen für jeden getöteten Büffel und jedes Schwein Steuern gezahlt werden."
Fast lautloses Massaker
Mit einem schnellen und kraftvollen Schnitt durchtrennt ein Büffeltöter die Kehle des ersten Tieres. Der Puls pumpt das Blut im Takt heraus, nach wenigen Sekunden sinkt das Tier zusammen. Die Männer lassen es zum Sterben liegen und führen die nächsten Büffel heran. Tiere stolpern übereinander, sinken nebeneinander nieder, mal den Kopf auf der Flanke eines Artgenossen, mal in einer Blutlache.
In der Luft hängt ein Geruch von Eisen. Es riecht, wie es schmeckt, wenn man sich auf die Lippe oder die Zunge gebissen hat. Zu hören ist von dem Massaker fast nichts. Die Büffel wirken, als hätten sie keine Angst und keine Ahnung, was eigentlich mit ihnen geschieht.
Für ungeübte Beobachter ist der Anblick dennoch schwer zu ertragen. Die wachsenden roten Lachen scheinen das Sandbraun des Festplatzes aufzusaugen, ein Tier bäumt sich noch einmal auf, versucht zu fliehen. Blut spritzt, Menschen johlen. Vor allem Männer und Jungen stehen dicht gedrängt um den Platz, auf dem die Tiere später zerlegt werden, damit die Gäste zum Abschied Fleisch mitnehmen können.
Zuletzt werden die Särge in einer großen Prozession zu ihren Ruhestätten getragen. Die Felsgräber der Toraja sind schon von weitem zu erkennen - an den Nischen, in denen Platz für die Abbilder der Verstorbenen ist. Auch die Figur von Maria Namunu wird dort Wind, Regen und Sonne trotzen. Ihre Holzversion wird noch an sie erinnern, wenn das Pink des Kleides schon lange nicht mehr zu erkennen ist.