Am gestrigen Sonnabend vor genau 30 Jahren hat Herbert Stender (77) den Laden übernommen. Seine Tätowierung sagt eigentlich schon alles. Vor drei Jahren hat sich Wirt Herbert ein neues Bild stechen lassen, ein Geschenk zum 75. Geburtstag. Das Motiv auf seinem Unterarm zeigt eine barbusige Meerjungfrau mit schwarzer Lederkappe - und damit zwei Dinge, die Herbert Stender sehr am Herzen liegen: Die Seefahrt und die Turbojugend. So nennen sich die Anhänger der norwegischen Punk'n'Roll-Band Turbonegro, deren Erkennungszeichen die blaue Jacke mit Käppi auf dem Rücken ist.
Vor knapp 20 Jahren wurde die Bewegung im „Schlemmer-Eck" gegründet, seitdem ist auch Herbert ein Teil davon. Er ist ein Mann mit kurzem Schnauzer, der langsam und ruhig spricht. Aber wenn einer den Larry macht, wie er es nennt, dann kann er auch klare Ansagen machen. Danach ist Ruhe. Sein Humor ist kiezig-rustikal. Wenn jemand ein Bier bestellt, sagt er manchmal: „Dein Problem". Da lachen die Gäste.
Sein halbes Leben war Herbert Stender Seemann, er reiste in die Karibik, nach Grönland, nach Südamerika. Er kann die dollsten Geschichten erzählen. Wie er mal in Guatemala in einer Kneipe saß und Soldaten einfielen und die Kasse plünderten. „Da hat man lieber die Klappe gehalten", sagt er. Oder wie er mal in Salvador in einer Kneipe versackte, morgens von einem Schwein auf einer Wiese geweckt wurde und sein Schiff schon ohne ihn aufgebrochen war. „Hatte ich halt vier Wochen Strandurlaub, bis das nächste Schiff kam", sagt er trocken.
Die Liebe zum Meer ist auch im „Schlemmer-Eck" zu sehen. Den kleinen Laden mit schlichtem Holzmobiliar hat er mit Seefahrer-Gedöns vollgestopft. Bilder, Modellschiffe, Knoten. Am 27. Mai 1987 hat er die Kneipe übernommen. Anfangs kamen die Hafenarbeiter, ab Ende der 90er die Musikleute. Bei den Weltturbojugendtagen pilgern jedes Jahr 2000 Fans aus allen Winkeln der Welt nach Hamburg. Für sie alle ist ein Besuch im „Schlemmer-Eck" so etwas wie eine heilige Pflicht.
Kutte an Kutte stehen sie dann vor der Tür, in der Hand ein Astra oder einen Plastikbecher mit Fanta-Korn. Oder sie essen eine Portion seiner legendären Bratkartoffeln. Ärger gibt es mit den Turbojüngern nie. „Die sind alle friedlich. Ihr oberstes Gebot, wenn sie die Kutte anhaben: Keinen Stress!", sagt Wirt Herbert. Fällt mal eine Flasche runter, holen sie brav einen Besen.
Nur einmal gab es Zoff, aber das ist schon mehr als 20 Jahre her. Ein besoffener Gast geriet in Rage, kam mit einer Axt zurück und drosch damit auf den Tresen ein. Herbert und zwei Gäste drängten ihn mit Kneipenstühlen ab. Die Kerbe, wo die Axt den Tresen traf, ist heute noch zu sehen.
Warum seine Gäste ihn so lieben? „Er ist jemand, der immer ein offenes Ohr hat. Menschlich eine Eins plus", sagt Stammgast Axel (43). Und Addy (47) schwärmt: „Er ist ein Unikat. Eine Ehre, ihn zu kennen." Gestern gratulierten sie alle zusammen, die Seemanns-Kollegen von früher und die Turbojugend von heute. Und zur Feier des Tages zog Wirt Herbert seine Kutte an. Er ist weltweit der Einzige, der eine mit goldener Schrift besitzt. Weil er eben etwas Besonderes ist.