Wer weiß, was passiert wäre, hätte sein Hund ihm nicht geholfen. Dass die Auseinandersetzung an der Nidda für ihn glimpflich ausgegangen sei, wird trotzdem niemand behaupten. Denn irgendwann zückte einer seiner Widersacher einen Schraubenzieher und fügte ihm mehrere Stichverletzungen zu: Eine Woche Krankenhaus, zwei Operationen, sieben Monate Arbeitsunfähigkeit waren die Folge. Trotzdem sagt der Dreiundvierzigjährige heute, er habe Glück gehabt. Denn sein Hund apportierte ihm während des Tumults jene Waffe, mit der er sich verteidigen konnte - einen Holzpfosten von etwa einem Meter Länge und knapp zehn Zentimeter Durchmesser, schätzt der Mann auf dem Zeugenstuhl. Sein Hund sei klein, sagt er, und manchmal spiele er zwar mit einem Stöckchen. „Aber so 'ne Situation habe ich nicht mit dem trainiert."
Die zwei mutmaßlichen Haupttäter, 17 und 19 Jahre alt, müssen sich nun vor dem Jugendschöffengericht in Frankfurt verantworten. Sie bezichtigen den Mann, angefangen zu haben. Doch über den wesentlichen Tathergang sind sich Staatsanwaltschaft, Geschädigter und die beiden Angeklagten einig: An einem Sonntagnachmittag im Juli 2019 führt der Dreiundvierzigjährige seinen Hund auf einem Spazierweg an der Nidda in Bad Vilbel aus. Als der Siebzehnjährige mit hoher Geschwindigkeit auf einem Motorroller an ihm vorbeifährt, ermahnt der Mann ihn lautstark. Der Jugendliche steigt ab, schnell kommt es zu Handgreiflichkeiten, bei denen der Teenager zu Boden geht. Sein 19 Jahre alter Freund kommt hinzu und beginnt, mit einem Motorradhelm auf den Mann einzuschlagen. Dann reißt er ein paar Meter weiter einen Holzpfosten aus dem Boden.
Der Siebzehnjährige zieht den Ermittlungen zufolge einen Schraubenzieher aus seiner Bauchtasche. Er ruft dem Mann zu, er werde ihn jetzt abstechen. Dann sticht er zu und trifft sein Gegenüber am Unterarm. Wohl vor Schreck lässt der Neunzehnjährige den Pfosten fallen. Der Hund greift ihn auf und bringt ihn zu seinem Herrchen. Der nimmt ihn und schlägt damit um sich. Der Siebzehnjährige sticht abermals zu, der Neunzehnjährige schlägt dem Mann mit einer Holzlatte gegen die Rippen. Schließlich flüchten die Täter.
„So, die jungen Herren dahinten, bitte die Mützen absetzen und die Mobiltelefone aus", sagt die Richterin. Im Saal ist eine ganze Jugendgruppe erschienen. Drei Teenager hat sie zu diesem Zeitpunkt schon aus dem Saal geschickt, weil sie später noch als Zeugen befragt werden sollen. Überhaupt ist es eine Verhandlung, die viel Langmut verlangt. Da sind die Angeklagten, die sich ihre Aussagen aus der Nase ziehen lassen, sich aber vorher und nachher nicht einkriegen vor Lachen. Da ist der Nebenklagevertreter, der einen Brief vorliest, den der Neunzehnjährige in der JVA geschrieben hat. Darin entschuldigt sich der junge Mann beim damaligen Widersacher mit warmen Worten. Der Anwalt findet das scheinheilig und beginnt zu schreien: „Wofür, frag ich Sie!" Da fährt der Siebzehnjährige aus seiner Haut und ruft: „Schrei nicht so rum, Junge!" Die Richterin hält sich zunächst zurück. „Ich fand das jetzt eigentlich ganz schön", sagt sie. Denn das habe gezeigt, wie der Angeklagte reagiere. „Deswegen hab ich's laufen lassen."
Dem Opfer geht es inzwischen besser. Vor zwei Wochen habe er wieder angefangen zu arbeiten, sagt er. Sieben Monate lang war der selbständige Handwerker krankgeschrieben, vor Gericht schätzt er die Umsatzeinbußen auf 150.000 bis 200.000 Euro. Zwischendurch zeigt er der Richterin seine zentimeterbreite Narbe. Dann läuft er zur Anklagebank und fragt: „Willst du auch mal sehen?" Der Siebzehnjährige sagt: „Super gemacht." Der Prozess wird fortgesetzt.