Simon Hauck

Freier Filmkritiker, TV-Journalist, Online-Redakteur, Amberg

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Sexy Biester

Männermordendes Alien: Scarlett Johannsson in »Under The Skin« | © Reverse Angle Pictures

Von SIMON HAUCK 


Kotztüten braucht heute keiner mehr, wenn er sich zum Fantasy Filmfest aufmacht, eher schon scharfe Brillengläser angesichts der Flut an außergewöhnlichen Bildern und bizarren Genrewerken. Von abstrakt bis okkult, von triefendem Kunstblut bis hin zu schwarzem Humor: Alles ist dabei, bei dieser irren Filmauswahl. Schon längst ist das von Rainer Stefan gegründete, deutschland-weit stattfindende Genrefestival herausgetreten aus dem Schatten etablierter Filmfeste. 27 Jahrgänge und 100000 Zuschauer pro Jahr sprechen eine klare Sprache - alles ohne staatliche Förderung. 


Über 70 Filme touren dabei quer durch die Republik - mitten hinein in die Herzen der Filmfreaks. Unter ihnen auch der ein oder andere Cineast. Denn eine Reihe wirklich innovativer Arthouse-Streifen wie "Hell" (Tim Fehlbaum), "Ex Drummer" von Koen Mortier oder wie im Vorjahr "Blancanieves" von Pablo Berger wurden hier erstmals einem breiteren Publikum präsentiert und gewannen prompt auch den "Fresh Blood Award" des Festivals für den besten Nachwuchs- oder Zweitfilm einen jungen Regisseurs. 


Anfang September macht das Festival des schrägen, blutigen und absonderlichen Films nun erneut Station in München. Ein Blick ins diesjährige Programm unterstreicht den eingeschlagenen Weg der Veranstalter: Raus aus der Horror-Nische, stattdessen lieber eine Plattform bieten für bewusst "andere" Filme wie zum Beispiel "Under the Skin", der schon beim Filmfest München für reichlich Aufsehen und volle Kinos sorgte. Jonathan Glazers ("Sexy Beast", "Birth") exzentrisches Werk, das so gar nicht in eine Schublade passt, spaltete bereits im vergangenen Jahr in Venedig die Gemüter und wird in Deutschland, trotz zahlreicher Unkenrufe aus der Netzgemeinde, weiterhin keinen Kinostart erleben, sondern lediglich als DVD veröffentlicht, umso mehr ein Grund, diesen visuell vielleicht eindrucksvollsten Film der letzten Jahre unbedingt in einem Kinosaal zu erleben,und dabei zuzusehen, wie Scarlett Johansson als männermordendes Alien auf Beutezug geht. 


Mit rotem Schmollmund und in sexy Dessous lässt sie die Leinwand vibrieren. Ihrem sogartigen, lustvollen Blick des Begehrens kann so leicht keiner widerstehen. Die jungen Loverboys, die eigentlich nur ein schnelles Abenteuer suchen, versinken in Glazers enigmatischem Science-Fiction-Thriller reihenweise im Boden - wortwörtlich. Ein Tanz auf dem Rasiermesser mit wenig Dialog. Unterlegt nur mit verzerrtem Streicherscore, unterbrochen durch neonfarbene Lichtkegel und unterbelichtete Bilder: einfach ein süßlich-schwarzer Alptraum. Unauflösbar, wunderbar geheimnisvoll. 


Doch auch Splatter-, Horror- und Trashverehrer werden bedient: Werwölfe ("Wolfcop") geistern durchs Programm, Profikiller ("Killers" der indonesischen Mo-Brüder) nehmen ihre Arbeit auf und natürlich bekommt auch ein Menschenfresser seinen großen Auftritt (Manuel Martín Cuencas "Cannibal"). Daneben eine ganze Reihe ungestümer, auch brutaler, aber in jedem Falle ungewöhnlicher Endzeitfilme wie zum Beispiel "The Rover" von David Michôd, mit dem das Fantasy Filmfest auch eröffnet wird, oder Zak Hilditchs "These Final Hours", beide aus Australien. Im ersten Fall stromert ein offensichtlich gegen sein Rollenimage gebürsteter Robert Pattinson durch ein postapokalyptisches Outback, durchaus sehenswert, gerade auch weil der Twilight-Darling hier so ungekünstelt-rau daherkommt und Michôd mutig einen Art Neo-Western inszeniert hat. Im zweiten Fall wird eine geradezu mythische Frage filmisch verhandelt: Was würdest du in den letzten Stunden vor dem Weltuntergang tun? 


Es ist vor allem der abwechslungsreiche Querschnitt aus Science-Fiction, Fantasy, Horror, Thriller und Animation, der das Programm des Festivals auszeichnet. Scheinbar nichts ist zu abwegig, alles bekommt seine Chance. Sogar Jean Epsteins frisch restaurierter Stummfilmklassiker "La chute de la maisonUsher" (1928) nach Edgar Allen Poe ist ins Programm gerutscht und wird bei der Münchner Wiederaufführung durch ein Live-DJ-Set von Shahaf Thaler ergänzt. Mit Spannung wird auch der neue Filme der "Amer"-Macher Hélène Cattet und Bruno Forzani erwartet. "The Strange Colour of Your Body's Tears" liefert erneut den Beweis, dass der italienische "Giallo"-Film der 1970er Jahre im europäischen Film gerade eine Renaissance erfährt. Alles ist hier bewusst übertrieben: der Plot, die Farben, die Figuren - und sogar die Spannung. Unter dem Mantel des Kriminalfilms versteckt sich ein blutiger, hyperstilisierter Fetischfilm. Laut, lustvoll und inbrünstig feiert sich dieser Schocker in erster Linie selbst. Ein erotisches Aperçu in stählernen Farben, ein absoluter Hingucker.


Einen anderen Hauptstrang des Programms bilden die wunderbar abgedrehten Horror-Buddy-Movies (u. a. der indische Zombiefilm "Go Goa Gone" als Südsee-Alptraum), von denen besonders "What We Do in the Shadows" hervorsticht. Die neuseeländische Komikertruppe um Jemaine Clement und Taika Waititi, die auch selbst Regie geführt haben, haben sich mit ihrer pseudo-dokumentarischen Vampir-Daily schon jetzt einen festen Platz im "Mockumentary"-Genre verdient: So saukomisch-skurril und selbstironisch ("Vampires don't do the bloody dishes!") hat man die Blutsauger selten auf der Leinwand gesehen. Schon jetzt ein sicherer Festivalhit, der zudem unterstreicht, dass das Fantasy Filmfest auch weiterhin für Überraschungen gut ist. Darauf eine Bloody Mary! 


||  FANTASY FILMFEST 8.-19. September | Festivalkinos: Cinema und Gabriel Vollständiges Programm unter: www.fantasyfilmfest.com

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