Zofia Malecka wollte niemals eine dieser älteren Damen werden, die den ganzen Tag nur aus dem Fenster schauen und andere Menschen beobachten. "Das ist kein Leben für mich", sagt die 67-jährige Polin und schüttelt energisch den Kopf. Deswegen hat sie ihre Warschauer Wohnung untervermietet, einen großen Koffer gepackt und ist Richtung Flughafen gefahren. Das war vor elf Monaten. Seitdem reist sie quer durch Süd- und Nordamerika.
Wenn Malecka von den Ländern spricht, die sie bisher gesehen hat, leuchten ihre Augen. Guatemala, Belize, Mexiko, Costa Rica, Panama. An einigen Orten war sie nur wenige Wochen, an anderen drei Monate. Nun ist sie in New Orleans, in der Jazzbar Oak.
Mit dem blauen Sommerkleid, der grauen Kurzhaarfrisur und ihren Flipflops fällt sie auf. Die anderen Besucher, vorwiegend Mittzwanziger, haben es sich mit Cocktailgläsern in der Hand an der Bar bequem gemacht. Malecka sitzt abseits vom Treiben, direkt an der Bühne, und wartet auf die Jazzband. Verstehen kann sie hier sowieso niemanden: Die Rentnerin spricht nur Polnisch.
Das hat sie nicht davon abgehalten, Amerika zu bereisen. "Ich kann mich mit Gesten verständigen", sagt sie. In schwierigen Fällen greift sie zum Notebook und macht den Google Translator an. "Das dauert vielleicht ein bisschen, aber viele Menschen nehmen sich Zeit."
Drei Männer betreten die Bühne. Sie setzen sich an Klavier und Schlagzeug und stimmen einen Blues an. Die jungen Pärchen im hinteren Teil des Clubs reden weiter, Malecka aber hört gebannt zu. "Ich wollte schon immer diese Musik live hören", sagt sie erfreut. Jazz und Blues waren verboten im sozialistischen Polen, als Zofia Malecka aufwuchs. Nur heimlich konnte sie die Musik im Radio "Freies Europa" empfangen.
Sparen für die Fernweh-Träume
Genauso verboten war es, Urlaub im Westen zu machen. "Ich hab mir immer gesagt, dass ich das nachhole, wenn ich in Rente gehe." 37 Jahre lang hat Malecka gearbeitet, erst als Försterin, dann als Beamtin. Ohne Auszeit, wie sie betont. Als Sohn und Tochter alt genug waren, trennte sie sich von ihrem Mann. Dann zogen die Kinder nach Warschau, und Malecka kam mit. Nachdem sie mit 55 Jahren in Ruhestand gehen durfte, nahm sie eine Halbtagsstelle bei einer Gewerkschaft an. Sie wollte Geld zur Seite legen, um später in fremde Länder aufzubrechen.
Malecka greift in ihren Rucksack und holt eine Digitalkamera heraus. "Eine Erinnerung für meine Kinder", sagt sie, bevor sie die Band fotografiert. Die Bilder wird sie später auf ihrem Blog veröffentlichen. Eigentlich wollte sie ihn "Rentnerin auf Reisen" nennen. Aber ihre Tochter hätte ihr davon abgeraten. "In Polen interessiert sich niemand für alte Menschen", sagt Zofia Malecka. "Wer hätte so einen Reisebericht gelesen?" Deswegen trägt der Blog nun den Titel "Auf der Verbindung zwischen beiden Amerikas".
Malecka verlässt den Oak Club und läuft zur Straßenbahn, um in ihre Jugendherberge zu gelangen. Auf teure Hotels verzichtet sie bewusst. Die Reise finanziert sie von ihrer Rente und dem ersparten Geld. Viel kann sie nicht ausgeben. "Meine Kinder haben mir zwar gesagt, dass sie mich unterstützen, wenn ich etwas Geld benötige", sagt sie. "Aber ich mag es nicht, andere darum zu bitten."
In Südamerika konnte sie auch mit ihrer Rente schöne Zimmer mieten, kam bei Familien unter. "Ältere Menschen haben dort einen viel höheren Stellenwert als in Polen", sagt Malecka. "Man hält ihnen die Tür auf, gibt ihnen einen Platz im Bus, hilft bei der Wohnungssuche."
Nur einmal hatte sie bisher eine schlechte Erfahrung gemacht: In Mexiko wurde ihr Laptop aus der Reisetasche gestohlen. Gemeinsam mit ihren Vermietern suchte sie alle Stockwerke des Hauses ab - mit Erfolg. Ein Nachbarjunge hatte das Gerät entwendet. Weil er es sofort zurückgab, schaltete die Polin nicht die Polizei ein.
Vorbereitet auf den Ernstfall
Als Malecka in ihrem Hostel ankommt, fährt sie als Erstes den Laptop hoch. Sie möchte ihre Bilder speichern. Auf dem Desktop-Bild ist ein kleiner blonder Junge zu sehen. "Krzysztof, mein einziger Enkel", sagt sie. Kurz vor seiner Geburt vor vier Jahren hatte Malecka ihre erste große Reise unternommen. Damals ist sie sieben Monate durch Asien getourt. Um Krzysztofs Geburt nicht zu verpassen, verkürzte sie den Trip.
Wie lange sie diesmal unterwegs sein wird, weiß sie nicht. "Ich habe dieses Hostel für zwei Wochen gemietet, dann schauen wir weiter." Die Dominikanische Republik möchte sie noch sehen, danach Kolumbien. Ob sie sich Gedanken gemacht hat, wenn ihr unterwegs etwas passiert? Malecka lacht und deutet auf ihre silberne Halskette. Dort hängt ein Medaillon mit ihrem Namen, der polnischen Anschrift und einer Nummer. "Damit meine Kinder informiert werden. In meinem Alter muss man vorbereitet sein."
Die Tür öffnet sich, und eine junge Frau mit Wanderrucksack kommt herein. "Eine neue Mitbewohnerin", ruft Malecka auf Polnisch. Die Touristin stellt sich als Tiffany aus New York vor. Als die ältere Dame mehrfach nachfragt, schreibt die Frau den Namen auf. Malecka greift in ihre Handtasche und holt eine Visitenkarte heraus. Unter ihrem Namen steht nur ein Wort: Podrózniczka. Weltenbummlerin.