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Großes Theater im kleinen Format

Detailansicht öffnen Auf dem Bühnenboden sind leichte Rillen eingelassen, über die der sogenannte "Schieber" die Papierfiguren auf die Bühne gleiten lassen kann. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Von Shafia Khawaja, Markt Indersdorf

Fanfaren ertönen. Die Ouvertüre spielt. Der Vorhang geht auf. Die 15 Zentimeter hohen Papierfiguren schieben sich auf die Bühne. Die Show beginnt.

Im Kellerraum der Familie von Beust gibt es an diesem Freitagnachmittag eine Privataufführung. Überall im Raum verteilt sind hölzerne Boxen mit den Kulissen und Papierfiguren der jeweiligen Theaterstücke - darunter "Die Zauberflöte", "Der dritte Mann" und "Der Kalif von Bagdad".

Willkommen beim Indersdorfer Papiertheater, wo es hinter der Bühne schon mal eng wird: Damit ein Stück aufgeführt werden kann, braucht es mehrere Personen, die mithelfen. Tontechnik, Licht, Texte und Kulissen - alles ist genau organisiert und durchdacht.

Der Bühnenzauber soll weitergehen

Die Bühne des Papiertheaters hat mehrere Ebenen mit verschiedenen Vorhängen, wie in einem richtigen Theater. Hinter der letzten Ebene - einem Gitterfenster - steht ein Fernseher, der ein Video von einem plätschernden Bach abspielt. "Die Idee für den Bach kam mir beim Golf spielen", erzählt Rasso Kaut und lacht. Für die Inszenierung des "Dritten Manns" ist er extra nach Wien gefahren, um geeignete Filmszenen aufzunehmen.

Nach zehn Jahren wollen Rasso und Barbara Kaut das Indersdorfer Papiertheater nun an Wibke und Roderich von Beust übergeben - das ist auch der Grund für die kleine Privatvorführung für die Presse. Der Bühnenzauber soll schließlich weitergehen.

In das Projekt fließt viel Herzblut. In manchen Stücken kommt Pyrotechnik zum Einsatz mit Hilfe einer Feuerpfanne aus Blech, die in den Bühnenboden eingearbeitet ist. Gewitter wird durch eine Donnerbüchse und ein Stroboskoplicht nachgeahmt, erzählt Rasso Kaut und blitzt demonstrativ mehrmals hintereinander mit dem Licht. Für die Musik und Beleuchtung sind zusätzliche Techniker zuständig. "Es gibt auch Theatergruppen, die nur zu zweit arbeiten und die Aufnahmen über eine CD abspielen. Das ist technischer einfacher", erklärt Barbara Kaut.

An dem Indersdorfer Papiertheater sind aber mehrere Leute beteiligt, unter anderem Hans Haschner für Bühnenbau und Bühnentechnik. Zuständig für Ton, Licht und Feuer ist Hans Jürgen Schulmayr: Das Licht kann je nach Tageszeit gedimmt werden. "Wenn wir eine nächtliche Szene spielen, wechselt das Licht natürlich entsprechend", sagt Barbara Kaut. Auf dem Bühnenboden sind leichte Rillen eingelassen, über die der sogenannte "Schieber" die Papierfiguren auf die Bühne gleiten lassen kann. Der Schieber muss aufpassen, dass die Figuren sich auf der kleinen Bühne nicht überdecken. Eine andere Person spricht die Texte vor: "Wir bearbeiten und kürzen auch die Texte, um keine Urheberrechte zu verletzen", erklärt Barbara Kaut, die noch Textsammlungen von ihrem Großvater geerbt hat. Einige sind schon 120 Jahre alt.

Bis ein neues Stück aufgeführt werden kann, dauert es ein Jahr: "Wir müssen die Kulissen vorbereiten, die Figuren teilweise aus dem Internet bestellen und vergrößern", erzählt Rasso Kaut. Dann muss ein Stab an die Papierfiguren montiert werden, damit sie einfach auf die Bühne geschoben werden können. Manche Figuren können über eine Zugschnur sogar ihre Arme bewegen. "Es sind so viele Einzelheiten, die berücksichtigt werden müssen, bis ein Stück entsteht", sagt Rasso Kaut.

Auch die Ouvertüre muss gekürzt werden: Im Fall der Zauberflöte von zwanzig auf vier Minuten. Für das Stück "Der Kalif von Bagdad" hat sich die Gruppe die gesamten Texte und Figuren neu ausgedacht und zusammengestellt. "Es ist ein Indersdorfer Gemeinschaftsprojekt", betont Rasso Kaut. Auch seine Schwester Brigitte und ihr Ehemann Albrecht von Kienlin sowie Klaus Hochgesandt und Gerhard Einhäuser wirken als Mitspielende beim "Theatrum Augustinum" mit. Pro Jahr spielt die Gruppe neun Aufführungen, jeweils drei in Markt Indersdorf, in München und im Augsburger Schloss Hammel. Meist sitzen 40 bis 50 Gäste gebannt im Publikum.

Im vergangenen Jahr wurde das historische Papiertheater in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Die Ursprünge reichen aber bis ins 18. Jahrhundert zurück: Die damaligen "Guckkästen" gelten als Vorreiter des Papiertheaters. Über zwei Gucklöcher mit Lupen konnte man in die hölzernen Kästen schauen, die mit einer Kerze ausgeleuchtet waren. Damals wurden religiöse Mythen, exotische Länder, Schlachten und Städte in den Guckkästen dargestellt. Die berühmtesten Guckkästen wurden nicht nur in London, Paris und im italienischen Basano gebaut, sondern vor allem im bayerischen Augsburg. Später wurde die Vorderwand des Guckkastens weggelassen und es entstand eine offene Bühne: Das heutige Papiertheater war geschaffen.

In der Biedermeierzeit hatte das Papiertheater seinen Höhepunkt und galt als gehobene Unterhaltung für das Bildungsbürgertum. Mit dem Beginn des 20. Jahrhundert wurde es durch Film und Fernsehen verdrängt. Rasso Kaut betont aber: "Diese Art der Kleinkunst hat absolut Zukunft als Alternative." Gerade in der heutigen Zeit sei der sekundenschnelle Szenenwechsel ermüdend. Beim Papiertheater entwickeln sich die Szenen langsamer und das Publikum könne tiefer in die Inhalte eintauchen, meint Kaut.

In ganz Deutschland gibt es ungefähr 30 bis 40 Papiertheaterbühnen. Im schleswig-holsteinischen Preetz bei Kiel findet jedes Jahr ein großes Papiertheatertreffen mit Teilnehmenden aus der ganzen Welt statt. Auch die dänische Königin Margrethe II. ist eine Liebhaberin dieser Theaterform.

Aus Altersgründen geben Rasso und Barbara Kaut das Papiertheater nun in die Hände von Roderich und Wibke von Beust, die die Tradition für Markt Indersdorf fortführen werden. "Es ist eine tolle Kunstform, die alles vereint: Das Schreiben, Spielen und Gestalten", meint Wibke von Beust. "Es ist sehr zeitintensiv, aber ich sehe es als totale Chance." Sobald es zeitlich möglich ist, wird sie voraussichtlich mit alten Stücken anfangen, um sich in die Kunst des Papiertheaters einzufinden. Ihr Mann Roderich wird sie dabei technisch unterstützen. Er sagt: "Die Bühnentechnik wird oft stillschweigend wahrgenommen, aber sie ist ein wichtiger Teil, damit das gesamte Stück funktioniert."

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