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Das Paralleluniversum im Smartphone - Podiumsdiskussion im Literarischen Zentrum Göttingen über Big Data

Das Paralleluniversum im Smartphone

„Unsere Verfassung ist in Gefahr", sagt Yvonne Hofstetter. Das, was sie auf einer Podiumsdiskussion im Literarischen Zentrum Göttingen über Big Data - das Datensammeln und -verarbeiten - erzählte, klingt stark nach Panikmache.

Göttingen. Aber Hofstetter ist studierte Juristin und Geschäftsführerin eines IT-Unternehmens, das selbst Big-Data-Lösungen anbietet.

Immer mehr Menschen kaufen Smartphones und Tablets, inzwischen hat der Spielzeughersteller Mattel sogar eine Wlan-fähige Barbie auf den Markt gebracht. Die wenigsten Konsumenten wissen, dass sie sich damit kleine Hochleistungscomputer mit vorinstallierten Applikationen ins Haus holen, die man nicht löschen kann und von denen auch nicht bekannt ist, welche Daten sie sammeln, was mit den Informationen passiert und welche Schlüsse Dritte daraus ziehen.

Dass Facebook, Google und andere Firmen Daten sammeln, ist nicht neu. Doch wenn die Wahl für den Nutzer lautet: Daten verschenken und dafür die Errungenschaften des Internets nutzen oder auf Statussymbole wie das iPhone zu verzichten, dann fällt die Wahl auf das Erstere. Menschen sollten jedoch gar nicht erst benachteiligt werden, nur weil sie ihre persönlichen Daten schützen wollen, sagt Hofstetter. Denn das Internet gehört genauso zur Infrastruktur wie Straßen, Schulen oder Stromversorgung und die persönlichen Daten sind über die deutsche Verfassung geschützt. Zumindest theoretisch.

Hightech-Konzerne aus dem Silicon-Valley sähen in der Demokratie eine „veraltete Technologie", die abgeschafft werden müsse, um Platz zu machen für etwas Neues, so Hofstetter. Sie träumen von einer neuen Welt ohne Datenschutz und betreiben eine Verschiebung der Macht des Souveräns vom Nationalstaat zu den Konzernen, die in Form von Suprastaaten agieren. Das Ziel sei die vollständige Ökonomisierung des Menschen. Eine Idee, die bis zur industriellen Revolution zurückgeht. Gewerkschaften erkämpften damals Grenzen, Gesetze regulierten fortan Arbeitszeiten oder verboten Kinderarbeit.

Heute jedoch spüren viele nicht einmal Unbehagen, wenn sie ausgespäht und analysiert werden und keinerlei Kontrolle über das haben, was andere über sie wissen. Dabei geht es nicht nur um optimierte Werbung, die man noch mit einem Adblocker umgehen kann, sondern um die Frage, ob man noch einen Kredit von der Bank bekommt oder von einer Versicherung als Kunde aufgenommen wird.

Das ist längst kein hypothetisches Problem mehr. In den USA beispielsweise verlangen Versicherer 15 Prozent höhere Beiträge von Kunden, die kein Facebookprofil haben, weil ihre Analysesysteme ohne diese Daten keine eindeutige Risikoeinschätzung machen können, berichtet Hofstetter. Das sei auch in Europa absehbar. Während in den Parlamenten noch über das Für und Wider von neuen Gesetzen diskutiert wird, haben die Konzerne längst einen neuen Weg beschritten. Die Politik bleibt stets fünf Schritte hinterher.

Noch ließe sich diese Entwicklung aufhalten, sagt Hofstetter, dafür brauche es aber eine Internetrechtsordnung auf paneuropäischer Ebene. Der Druck der Lobbyisten sei jedoch immens.

Von Serafia Johansson
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