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Jeder Künstler braucht ein geiles Bild

Henning Strassburger

Sebastian Späth

Foto: Henning Strassburger

Maler waren bisher die Einzigen, die noch so richtig hässlich sein durften. Jetzt entsteht ein neuer Typus: der Künstler als gut definierter It-Boy. Ist das Fitnessstudio das neue Atelier? Ein Work-out mit Henning Strassburger.

Mc Fit ist eine der größten Fitnessstudioketten Europas mit derzeit rund 214 Studios in fünf Ländern. Laufbänder, Bizepsmaschinen und Beinstrecker stehen hier extrem eng aneinandergereiht. Wenn der Maler Henning Strassburger und ich trainieren, spüren wir negative Energie. Eine Trinkflasche, die jemand wie einen Molotowcocktail direkt vor uns auf den Boden schmeißt, deuten wir als Zeichen, dass wir nicht erwünscht sind. Es muss etwas an uns "Künstlertypen" sein, das nervt. Vielleicht sind wir beim Stemmen der Gewichte zu gedankenversunken. Henning Strassburger, 1984 geboren, ist der Hauptvertreter einer neuen deutschen Malergeneration mit internationalem Renommee und einer der erfolgreichsten jungen Künstler des Landes: Art Basel, Art Basel Miami. Gerade sind seine Werke neben denen von Katharina Grosse und Sigmar Polke in der Ausstellung "My Abstract World" in der Sammlung Olbricht in Berlin zu sehen. Strassburger trainiert bei McFit.

Seine Körperdefinition ist Ausdruck eines Wandels. Junge Künstler werden jetzt von der Mode umworben. Der Videokünstler Jeremy Shaw, der von der Galerie Johann König vertreten wird, verrät in der Männermodezeitschrift "GQ" die Geheimnisse seines Stils, er spricht über seine Fitnessroutine und das ungesunde Leben, das er hinter sich hat. Der Maler Christian Rosa, der mit der Galerie CFA zusammenarbeitet, präsentierte im Modemagazin "L'Officiell Hommes" die Sommermode dieses Jahres. Cyprien Gaillard hat es bereits 2011 in die italienische Männer-Vogue geschafft. Und der Foto-Künstler Ryan McGinley wurde von Marc Jacobs gar gleich als Werbegesicht der Frühlings- und Sommermode auserkoren. Fast könnte man sagen: Der Bildende Künstler hat das Sportidol als Model und Markenbotschafter abgelöst. Im Berliner Problem- und Hipsterbezirk Neukölln gibt es eine Muckibude, die nur als das "artist's gym" bekannt ist.

Strassburger ist ziemlich groß, schlank und hat einen Sieben-Tage-Bart. Kurzzeitig hat er darüber nachgedacht, sich beide Hände komplett tätowieren zu lassen, erzählt er. Um sich endgültig von allem Bürgerlichen zu verabschieden. Er hat es dann aber doch gelassen. Henning Strassburger ist so ein Typ, der "aus Versehen" attraktiv ist. Wie ein hart schuftender, junger gestählter Bauarbeiter oder Poolboy. Für die diesjährige Januar-Ausgabe des Männermodemagazins "Numéro Homme" hat er sich im Givenchy-Mantel und in einer Anzugshose von Dior Homme ablichten lassen. Er verkörpert einen neuen Typus junger Künstler, die von Berliner Galerien vertreten werden (Strassburger selbst war bis vor Kurzem bei "Soy Capitan"). Erfolgreich, gut aussehend und körperbewusst, Social Media gehört dazu zum Künstlersein.

Strassburger startete 2008 als einer der ersten Künstler auf YouTube durch. Er färbte sich die Zähne weiß und legte sich eine Zweitidentität als Schnulzensänger zu. Er lud Musikvideos zu selbst getexteten und selbst komponierten Schlagern hoch. Die wurden unverhofft so populär, dass sie in Großraumdiscos liefen.

Woher kommt nun aber die neue Begeisterung der Künstler für den Körperkult? Einerseits könnte man sagen: Ist ja klar, Mode und Kunst begeistern sich seit jeher füreinander. Im letzten Jahr machten das die Programme bedeutender Kunsthäuser deutlich: eine Alexander-McQueen-Ausstellung im Victoria & Albert-Museum in London, eine Lagerfeld-Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn und eine Jean-Paul-Gaultier-Schau in der Kunsthalle München. Umgekehrt haben sich die großen Modehäuser in den letzten Jahren auf eigene Faust opulente Kunsteinrichtungen bauen lassen, wie die Fondation Louis Vuitton in Paris, die Fondazione Prada in Mailand oder der Mobile Art Pavillon von Chanel. Und es gibt immer häufiger Kollaborationen zwischen Modemachern und Künstlern. Takashi Murakami hat Taschen für Louis Vuitton entworfen, Jeff Koons für H&M, wo es sogar eine Handtasche mit seinem "Balloon Dog" als Aufdruck gibt.

Ein frühes Beispiel ist natürlich Yves Saint Laurents berühmtes Mondrian-Kleid. Künstler haben, wie die Akteure der Modebranche, ein Händchen für das Schöne. Und doch: Es scheint einen Widerspruch zu geben. Der Künstler, denkt man, ist wesensmäßig ein hoffnungslos Getriebener, wie Van Gogh oder Bacon. Demnach ein Leidender, was sich schon aus seiner intensiven Beschäftigung mit dem eigenen Werk ergibt, bei der er zu viel raucht, trinkt und giftige Dämpfe des Materials einatmet, das er verwendet und das unter seinen Nägel wohnt.

Es scheint also schwer, als Künstler gut auszusehen. Und es scheint wichtigere Dinge zu geben. Natürlich gab es und gibt es immer wieder namhafte Ausnahmebeispiele, wie Warhol, der in der Modebranche angefangen hat, als Werbegrafiker und Schaufensterdekorateur, wie die Performerin Marina Abramovic, die mit Schönheitschirurgie und kosmetischen Korrekturen hat nachhelfen lassen oder wie den Malerfürsten Lüpertz, dessen schwermütige Malerei von antiker Mythologie handelt und wohl gar nicht ohne sein eigenes Dandytum funktionieren würde. Aber der Künstler als It-Boy? Das ist nicht der Regelfall.

"Mit Ihrem Aussehen werden Sie fünf Jahre länger brauchen, bis sie als Künstler ernst genommen werden." Das hat sich Strassburger anhören müssen, nachdem er 2009 als Meisterschüler an der Düsseldorfer Kunstakademie abschloss - und zwar von den dort lehrenden Professoren. Anscheinend gehörte damals in den Köpfen der unterrichtenden Künstler zum Bild des Künstlers wenn nicht gar ein äußerlicher Makel, so doch eine gewisse Nachlässigkeit, was das eigene Aussehen angeht. So wie strähnige Meese-Haare oder ein langer, struppiger Julius-von-Bismarck-Bart.

Die jungen Künstler nun, die sich um ihr Erscheinungsbild kümmern und dafür gefeiert werden, spiegeln mit ihrem Auftreten auch das Männlichkeitsideal unserer Zeit wider. Männer scheinen mittlerweile fast stärker als Frauen einem Körperzwang unterworfen zu sein: entweder muskelbepackt oder "Heroin Chic". Und für sie gilt noch nicht, dass es als stark gilt, dagegen zu rebellieren - wie es Frauen gegen "Size Zero" und rasierte Achseln tun.

Geht es um Selbstinszenierung, befeuert durch die Notwendigkeit, sich als Künstler in den sozialen Netzwerken zu präsentieren? Strassburger hat ein ambivalentes Verhältnis zu Instagram und Co. Als seine Karriere im Netz den Höhepunkt erreicht hatte, löschte er alle seine Schlagervideos. Und vor Kurzem löschte er auch seinen Instagram-Account, er war damit schneller als Justin Bieber, der das Gleiche tat. Instagram ist für Künstler enorm wichtig.

Auf Messen werden Schautafeln aufgestellt, die anzeigen, welche der ausgestellten Arbeiten gerade am häufigsten auf sozialen Netzwerken geteilt werden. Aber Strassburger wollte fortschrittlich sein, indem er zur Leinwandmalerei zurückkehrt, "die groß und schwer ist und rumsteht". Substanzielle Malerei könne nur in inhaltlichen Ausstellungen stattfinden. Als bizarre Verdrehung des neuen Künstlertypus könnte man den Berlinale-Teilnehmer Nik Kosmas sehen, der früher Teil des Künstlerduos "Aids-3D" war. Er hat das Künstlerdasein an den Nagel gehängt und ist jetzt Fitnessunternehmer und Personaltrainer. Das Kunstmagazin "Art" präsentierte ihn in dem Essay "Laufen statt Saufen: Der neue Künstlertyp" als eine Art Blaupause des körperbetonten Künstlers.

Dabei sollten die Trainingsgeräte, die er im Rahmen der letzten Biennale auf der Terrasse der Akademie der Künste ausgestellt hat, gar keine Kunstwerke sein, sondern tatsächlich einfach nur Sportgeräte. Das passt zwar wunderbar in das Konzept der diesjährigen Biennale, das der Kulturwissenschaftler und Medientheoretiker Wolfgang Ulrich so zusammenfasste, dass in der Kunst "herkömmliche Kategorien und Grenzziehungen ausgedient haben." Ja, nun. Seine Personaltrainerstunden hält Kosmas jedenfalls regelmäßig nicht in einem Fitnessstudio, sondern in der Kunstgalerie König ab. Das alles erweckt den Eindruck einer Selbstinszenierungsstrategie, das ist nichts substanziell Neues.

Kosmas behauptet, er wolle mit seinem Wandel vom Künstler zum Fitnessjünger aufdecken, "dass es beim Künstlersein vor allem darum geht, möglichst lange möglichst gut Theater zu spielen und den Kreis von Leuten wohlgesonnen zu halten, die bereit sind, das Stück mitzuspielen". Wenn er glaubt, dass er das Feld der Inszenierung mit der Hinwendung zum Bodybuilding verlasse, fragt man sich, ob er schon mal in einem Fitnessstudio war. Wo bitte geht es denn mehr um Inszenierung? Die Erklärung "Ich hatte den Eindruck, dass jeder jederzeit merken könnte, dass alles, was wir machen, Quatsch war", die Kosmas dazu abgibt, ist darum ebenso abstrus wie die Vorstellung, dass Kosmas, der jahrelang Kunst gemacht hat, auf einmal nicht mehr wissen will, was Kunst ihm bedeutet hat und für andere bedeuten kann.

Da ist Strassburgers Ansatz sympathischer, der, wie er sagt, alles mitmacht, weil er als Künstler alle Zeit der Welt hat und ihm frei steht, alles zu tun. Gerade deshalb empfinde er die Notwendigkeit, das, was er tue, mehr zu reflektieren als andere. Er sagt: "Ich kann nur mit dem arbeiten, was da ist." Auf einmal ergibt es Sinn: Er ist sein eigenes Material, mit dem er achtsam umgeht. Seiner Meinung nach ist der Künstler ein popkulturelles Wesen, das seine Zeit besser reflektieren kann als andere. Das mehr Zeit hat, zu reflektieren als andere. Sein Training nennt er ein "bewusstes Eintauchen in andere Machtstrukturen". Anders als bei Nik Kosmas bedeutet seine Selbstdisziplin eine bewusste Ablehnung der Extreme: Training ja, aber kein Körperkult. Denn unsere Gesellschaft neige schon genug zu Extremen. Welch merkwürdige Pointe, dass ausgerechnet die Künstler nun Vorbilder des gemäßigten Lebens sein wollen. Strassburger ist jetzt wieder auf Instagram.

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