Sebastian Schöbel, ARD-Studio Brüssel
Das Wort "alternativlos" wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach diesem EU-Gipfel offenbar nicht benutzen. Stattdessen fand sie eine andere Formulierung für das, was nun mit der Türkei beschlossen wurde. "Ich glaube, dass wir eine Übereinkunft gefunden haben, die auch einen Moment der Unumkehrbarkeit in sich birgt", so Merkel.
Anders gesagt: Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Denn die EU hat mit der Türkei nach langem diplomatischen Ringen einen folgenreichen Handel abgeschlossen. Einen, der die Wende in der Flüchtlingskrise bringen soll: Die EU nimmt der Türkei syrische Flüchtlinge ab, wenn die Türkei im Gegenzug alle Flüchtlinge zurücknimmt - egal welcher Herkunft - die nicht auf legalem Weg nach Griechenland kommen.
Die Türkei - ein sicheres Herkunftsland?Das bringt zunächst die Europäische Union in Zugzwang. Denn diese Regelung soll ab Sonntag gelten. "Alle Flüchtlinge, die ab dem 20. März 2016 die griechischen Inseln erreichen, werden in die Türkei zurückgebracht, wenn es keinen begründeten Asylgrund gibt", so Merkel. Und aus Sicht der EU-Regierungschefs wird es diesen für die allermeisten Flüchtlinge nicht geben. Die Türkei wird dafür als sicheres Drittland eingestuft.
Ob das mit Blick auf die Menschenrechtslage in der Türkei oder die Genfer Konvention überhaupt legal ist, beschäftigt die politische Elite Europas gerade weniger als die Frage, wie das praktisch überhaupt umgesetzt werden soll. "Man muss darauf hinweisen, dass die EU vor einer Herkulesaufgabe steht," sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach dem Gipfel. Vor allem Griechenland stehe vor einer gewaltigen Aufgabe. "Dies ist die größte logistische Herausforderung, mit der sich die Europäische Union je konfrontiert sah", so Juncker.
Der Plan: Bis Sonntag ein hocheffizientes AsylsystemDenn in Griechenland, vor allem auf den griechischen Inseln, muss bis spätestens Sonntagabend ein komplett neues, hocheffizientes Asylsystem entstehen, das innerhalb kürzester Zeit Asylanträge von hunderten, vielleicht tausenden Flüchtlingen bearbeiten kann. "Wir müssen insgesamt 4000 Personen in Aufstellung bringen", sagte Juncker. Die benötigten Mitarbeiter müssten von den Mitgliedsstaaten, von Frontex, vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen und von Griechenland gestellt werden.
Vom Personal an den Registrierungsstellen bis zu den Richtern, die Einsprüche bearbeiten sollen: Das alles ist nötig, damit geprüft werden kann, ob ein Flüchtling nicht eventuell doch berechtigten Anspruch auf Asyl in der EU hat - bevor man die meisten von ihnen in ein Boot setzt und in die Türkei zurückschickt.
Alles auf Kosten der EU, so Juncker: "Der Gesamtkostenpunkt dieser Mission wird sich in den kommenden sechs Monaten auf 280 bis 300 Millionen Euro belaufen." Und das ist nur der finanzielle, logistische Aufwand.
Flüchtlingsorganisationen laufen SturmEs bleibt die quälende Frage, ob die EU mit diesem Deal das Recht auf Asyl mit Füßen tritt und Massenabschiebungen von nicht-syrischen Asylsuchenden betreibt. Flüchtlingsorganisationen laufen bereits Sturm gegen die Vereinbarung mit der Türkei: Brüssel verkaufe seine Seele an ein Land, das die Menschenrechte mit Füßen trete, heißt es.
Dabei ist das erst der Anfang: Die nächste Hürde wird sein, der Türkei wie versprochen syrische Flüchtlinge abzunehmen. Die müssten dann schnell und solidarisch auf die EU-Länder verteilt werden, sagte Bundeskanzlerin Merkel. Und fügte vielsagend hinzu: "Ich gehe davon aus, dass das nicht nur ein Land sein wird - aber Deutschland wird sich auch daran beteiligen."