Gregor Gysi hat sich durchgesetzt. Im Machtkampf mit Sahra Wagenknecht bleibt er kompromisslos - und darf wohl weiter allein die Linksfraktion führen. Die Revolution der Fundis entfällt, denn allen ist klar: Die Partei muss bald als Oppositionsführerin überzeugen.
Sahra Wagenknecht sitzt da wie isoliert, allein gelassen in einem kleinen Arbeitsraum. Nur Dietmar Bartsch, mehr Feind als Freund, ist noch bei ihr. Nebenan im Konferenzsaal hat Gregor Gysi die Genossen längst willkommen geheißen, jetzt soll die Zukunft der Partei verhandelt werden. Und Wagenknecht? Die bleibt im Nebenraum, hinter verschlossenen Türen.
Klausur der Linken, die Fraktion tagt im Spreewald Parkhotel in Brandenburg: Im kleinen Raum hat Gysi intern gerade klargemacht, dass nur er allein die Fraktion führen will, ohne Wagenknecht. Eine Doppelspitze gibt es nicht mit ihm. So erzählt man es sich danach.
Und Wagenknecht bleibt sitzen, 20 Minuten vergehen, bis sie vor die Tür tritt. Genervt huscht sie links an den Kameras vorbei, merkt, dass dort kein Eingang ist und läuft vor den Kameras hinter Bartsch in den Saal. Als Letzte.
Wer führt die Linksfraktion, und wer trottet hinterher? Es sind keine Detailfragen. Es geht darum, wer die kommenden Jahre den Oppositionsführer im Deutschen Bundestag geben könnte. Eine Große Koalition wird immer wahrscheinlicher. Und die Linke, die bei der Wahl 0,2 Prozentpunkte und ein Mandat vor den Grünen landete, wäre die stärkste Kraft außerhalb der Koalition. Auf der Klausurtagung will die Fraktion zeigen: Wir können diese Rolle ausfüllen.
Und so ist man bemüht, den Konflikt zwischen Gysi und Wagenknecht nicht eskalieren zu lassen. Am Dienstagnachmittag sickert die Einigung in der Fraktionsspitze nach außen. Da sagt die NRW-Linke Sevim Dagdelen, die unermüdlich eine Co-Chefin Wagenknecht gefordert hatte, zwar, das sei "unglücklich für die Zusammenarbeit der Fraktion". Doch ihren Antrag auf die Doppelspitze zieht sie nun eventuell zurück.
Wagenknecht zieht zurück
Und Wagenknecht? Am Montag sagte sie noch, sie würde kandidieren. Am Dienstag sagt sie, man müsse aufpassen, dass man Fraktionen nicht zu Zerreißproben bringt, wenn "Ultimaten öffentlicher Art im Raum stehen". Die Anspielung auf Gysis "Ich oder sie" versteht jeder. Die offene Kraftprobe am Mittwoch, wenn die 64 Abgeordneten endgültig entscheiden, entfällt. Und Gysi sagte öffentlich gar nichts dazu.
Die Ausgangslage war ohnehin klar: Die Doppelspitze war für die Gysi-Truppen ausgeschlossen. Stefan Liebich vom Realo-Flügel sagt es deutlich: "Eine Doppelspitze wäre nicht funktionsfähig, die beiden strahlen aus, dass sie nicht zusammenarbeiten können."
Gysi und Wagenknecht, sie sind die größten Trümpfe der Linken, in den Talkshows etwa. Auch waren sie die fleißigsten Wahlkämpfer, stets getrennt. Ließ sich ein gemeinsamer Auftritt nicht vermeiden, wie etwa bei einer Kundgebung in München, sah man, wie sich zwei Linke kühl, kurz, ungelenk begrüßten.
Gysi reißt die Arme hoch: Auf geht's
Nun also Gysi. In der Kaffeepause schlendert er allein über die Terrasse, reißt die Arme hoch, schüttelt sie aus, reibt sich das Gesicht: Auf geht's. Die anstehenden Aufgaben sind groß genug: Der Linken fällt bei einer Großen Koalition ganz neue Aufmerksamkeit zu, der Fraktionschef redete künftig nach der Kanzlerin bei den großen Aussprachen. Die Linke muss die Regierung attackieren, aber ab sofort auch daran arbeiten, sich an Grüne und SPD anzunähern.
Jan Korte, Realo-Innenpolitiker, sagt es so: "Wir müssen eine angriffslustige, konzeptionell durchdachte Opposition machen und gleichzeitig die Fäden für Rot-Rot-Grün 2017 knüpfen." Dafür müsse man "jetzt auf der Tagung die Weichen stellen".
Den scharfzüngigen Gysi kann man sich als David gegen die Goliath-Koalition gut vorstellen. Er verhehlt seine Vorfreude kaum, betont bereits in seinen Interviews: Die Linksfraktion müsse nun auch konkrete Vorschläge machen, die Rolle wandle sich. Wer mag, sieht darin auch die Botschaft: Fraktionschef muss ein Realo bleiben.
Doch neben seiner Operation Oppositionschef erwartet ihn eine dritte Aufgabe, die auch nicht leicht wird. Er muss die Gräben in der Fraktion halbwegs überbrücken. Keine anderthalb Jahre ist es her, als er auf dem Höhepunkt der linken Streitigkeiten sagte: "In der Fraktion herrscht Hass." Nun erwartet ihn eine Fraktion, in der Westler und Ostler je 32 Abgeordnete stellen. Ein Gleichgewicht des Schreckens, heißt es in der Partei nur halb im Scherz.
Die erste Kraftprobe hat er bestanden. Prompt geht es weiter. Die Fraktion will ein 100-Tage-Programm verabschieden. Die Realos wollen die Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen in den Vordergrund stellen, sich als regierungsfähig präsentieren, die Fundis Unterschiede in der Friedenspolitik betonen. Sie feilschen nun um jeden Schritt. Bei der Linken beginnt eine spannende Zeit.
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