Der Auftritt des CSU-Kronprinzen beim Karnevalsorden „Wider den tierischen Ernst" passt zu seiner Strategie. Von Sebastian Heinrich, MZ
Um keinen Auftritt verlegen: Markus Söder ist Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst. Foto: dpa
Aachen.Die Pointe hat gesessen. Markus Söder senkt kurz seinen Blick, blickt wieder nach vorne, vom Podium herab auf das Publikum unter der Bühne. Er sieht hunderte Händepaare, die klatschen. Er hört Einzelne johlen. Und er hört - ta-taaa-ta-taa-ta-taa - einen Tusch. „Er hat wohl irgendeine kleine Flegelei begangen", hat Markus Söder gerade über Markus Söder gesagt. Und dann: „Trotzdem wollen Sie ihn auszeichnen. Na ja, vielleicht hat er ja doch ein bisschen Recht behalten." Sieben Sekunden dauert der Applaus plus Tusch. Jetzt ist Söder richtig angekommen, hier in Aachen, bei der Verleihung des Karnevalsordens „Wider den tierischen Ernst", mit dem man ihn wenige Minuten zuvor ausgezeichnet hat.
Söder, Bayerns Finanz- und Heimatminister und für viele bald Ministerpräsident des Freistaats und Chef der CSU, hält gerade seine Ritterrede. Er spricht über sich in der dritten Person, weil er als König Ludwig der II. von Bayern auf der Bühne steht, als Kini mit blauer Jacke, weißer Hose, schwarzen Kunstlocken, schwarzem Kunstbart. Mit der „Flegelei" meint er eine politische Botschaft, die Söder im vergangenen November via Twitter versendet hat, wenige Stunden nachdem in Paris islamistische Terroristen 130 Menschen getötet hatten: „#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen." Eine direkte Verknüpfung von Terrorismus und Flüchtlingen. Das sorgte für viel und laute Kritik - auch in Aachen, wo man die Ernennung Söders zum Karnevalsritter im vergangenen Juli beschlossen hatte. Trotzdem darf er hier reden, auf der Bühne des gesellschaftlichen Events des Jahres in Aachen, das am Montagabend im Fernsehen im Ersten zu sehen ist, gleich nach der Tagesschau.
Söder - der Stratege im KostümEs ist eine Bühne, die gut zu Markus Söder passt. Söder mag Fasching, Fastnacht und Karneval. Er mag schrille Kostüme. Söder war in den vergangenen Jahren als Cartoon-Held Shrek verkleidet, als Haste-mal-nen-Euro-Punk, als Mahatma Gandhi. Die Verkleidung sichert dem Nürnberger jedes Jahr bei seinem fränkischen Fastnacht-Heimspiel in Veitshöchheim maximale Aufmerksamkeit. Das ist auch hier nicht anders, auswärts in Aachen.
Große Pose: Markus Söder vor der Ehrung mit seiner Frau Karin. Foto: dpaAls Söder auf dem Roten Teppich vor der Festhalle vor den Kameras posiert, seine Frau Karin an der Seite, zieht er die Augen leicht zusammen, seine Pupillen wandern von links nach rechts, als wollte er jedes Kameraobjektiv mit den Augen einscannen. Eine echte Überraschung ist Söders Ludwig-Kostüm da schon nicht mehr: Zwei Stunden zuvor hatte er getwittert: „Das Kostüm: Ludwig II die Pop Ikone Bayerns." Markus Söder ist ein Stratege. Manchmal ist es ihm recht, wenn andere seine Pläne kennen.
#Aachen #widerdentierischenernst Das Kostüm: Ludwig II die Pop Ikone Bayerns. Verwalte sein Neuschwanstein pic.twitter.com/TiTAYAFi2o
- Markus Söder (@Markus_Soeder) 23. Januar 2016Dann verläuft der Abend zunächst närrisch-vorhersehbar. Viel Tanz, viel Folklore - und dazwischen Karneval-Humor, der niemandem im Saal richtig weh tut, auch Söder nicht. „Germany's next Seehofer", sagt Verstehen-Sie-Spaß-Moderator Guido Cantz über ihn. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis nennt Söder „meinen Held", bevor sie im Hippie-Kostüm über die Bühne tanzt. Söder könnte sich in seinem Kini-Kostüm zurücklehnen und die Aufmerksamkeit genießen. Nur wirklich genießen, das kann der Kronprinz der bayerischen Politik in aller Öffentlichkeit nicht.
Es sind Söders Augen, die das auch heute Abend verraten: Sein Scan-Blick, der immer umherwandert, in alle Richtungen, aus denen sie heute auf ihn schauen könnten, auf diesen 1,94-Meter großen Politiker-Koloss, der mit 49 Jahren vor seinem wichtigsten Karrieresprung steht.
In Aachen können sie sich nicht daran erinnern, dass in 66 Jahren „Wider den tierischen Ernst" je ein Ritter so umstritten gewesen wäre wie Söder. Wegen seiner Twitter-Botschaft zu den Pariser Attentaten sagten Grünen-Bundeschef Cem Özdemir und Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter ihre Teilnahme ab, ebenso wie Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Sogar eine Aachener Karnevals-Kultband wollte wegen Söder nicht mehr auf der Bühne stehen.
Eine Reaktion, die zu Söders Plan passt. Zu dem gehört, dass ihn Wähler links der CSU ablehnen, dass Rote, Grüne und Dunkelrote gegen ihn spötteln und schimpfen, ihn als rechten Populisten brandmarken. Weil ihn das noch beliebter macht bei den Konservativen in Bayern, von denen viele die Wir-schaffen-das-Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel satt haben - und überhaupt die ganze Bewegung der CDU in Richtung Mitte, zu Homo-Ehe und Einwanderungsgesetz.
Heute Abend ist der wüste Protest draußen vor der Tür geblieben. Die 100 Demonstranten, die gegen Söders Ritterschlag durch Aachens Innenstadt marschiert sind, sind vor dem Kongresszentrum stehen geblieben. Drinnen sitzen Gäste in edlen Anzügen und Abendkleidern, eine Karte für diesen Abend kostet bis zu 1111 EUR. Wer zur gehobeneren Aachener Gesellschaft gehört, lässt sich hier besser blicken. Als Comedian Cantz die Absagen der grünen Spitzenpolitiker und der Linken Wagenknecht erwähnt, geht ein „Oooooooh" durch den Saal, spöttisch-sonor aus hunderten selig grinsenden Mündern.
Der Gegenwind bleibt draußen: Demonstranten protestieren vor dem Aachener Kongresszentrum Eurogress gegen die Ehrung Markus Söders als Ritter „wider den tierischen Ernst". Foto: dpa Ein Plan will befolgt werdenEin paar verbale Watschn kriegt Söder dann doch noch ab: Ayman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Muslime, fordert eine „Obergrenze für Populismus und Anbiederung an die AfD". Der deutsch-marokkanische Comedian Abdelkarim sagt, im Rheinland ankommenden CSU-Politikern müsse man bei deren Ankunft „erst mal das Grundgesetz vorlesen".
Dann: Auftritt Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Ministerpräsidentin des Saarlands hat den „Orden wider den tierischen Ernst" im vergangenen Jahr bekommen, sie hält deshalb die Laudatio auf den neuen Ordensritter Söder. Ausgerechnet Kramp-Karrenbauer, die sich in den vergangenen Tagen immer wieder deutlich gegen die CSU-Forderungen nach einer Asyl-Obergrenze positioniert hat. Mit ihrer grazilen Figur, ihrem akkuraten Kurzhaarschnitt und ihrer biederen Brille wirkt Kramp-Karrenbauer nicht wirklich furchteinflößend. Doch in den fünf Minuten nachdem sie ans Rednerpult in Aachen getreten ist, blickt sie immer nach vorne ins Publikum - und schießt immer wieder rhetorische Salven vor Söders Füße. „Wenn er die Klappe aufmacht, weiß man nie, was dabei herauskommt", sagt sie und, in Anspielung auf den Asyl-Streit zwischen CDU und CSU: „Markus Söder hat Humor. Anders ist ja nicht zu erklären, dass er gegen die Bundesregierung klagen will, die er mit der CSU selbst stellt." Am Ende wünscht sie ihm, dass er künftig als würdiger Ordensritter „Humor und Humanität" verkörpert. Das „Und" betont sie, ganz laut.
Eigentlich wäre Kramp-Karrenbauers Rede die perfekte Vorlage für eine Gegenattacke. Doch Söder sagt zu Paris und Integration nicht mehr als den den Satz, der ihm Applaus und einen Tusch einbringt. Er witzelt, in der Rolle Ludwigs II., über seinen Zwist mit Ministerpräsident Seehofer („die beiden sind wohl wahre Freunde. Nur merkt es keiner"), über Angela Merkel („Merkel hat festgelegt, dass jeder das Recht auf ihre Meinung hat") und über die Bundesregierung im Allgemeinen („im Regierungsviertel soll jeden Tag das Stück ‚Ein Käfig voller Narren' laufen"). Seine Augen wandern wieder, von links, nach rechts, zum Manuskript auf dem Rednerpult vor ihm. Er weicht kaum von den Worten auf dem Blatt ab. Söder hat geplant, zahm zu bleiben. Und ein Markus Söder ändert seine Pläne nicht so schnell.
Eike Hallitzky (Grüne)
„Laut Statuten des Aachener Karnevalvereins sollen Ordensträger ,vor allem Humor und Menschlichkeit im Amt bewiesen haben.' Söder verwechselt aber Humor mit Zynismus und Menschlichkeit mit Hartherzigkeit gegenüber Menschen, die bei uns Schutz suchen. Das ist nicht karnevalesk, das ist kafkaesk."
Martin Rinderspacher (SPD)„Herrn Söders grandioses Eintreten für den Erhalt des Sandmännchens und auch zur Bewahrung der Mainzelmännchen haben sein politisches Repertoire eindrucksvoll offenbart. Die Auszeichnung passt: Er stellt die Öffentlichkeit ja häufig vor die schwierige Frage, welche seiner Statements ernst zu nehmen sind."
Albert Füracker (CSU)Der Neumarkter Abgeordnete und Söders Staatssekretar ist voll des Lobes: „Markus Söder ist definitiv ein würdiger Träger des ,Ordens wider den tierischen Ernst'. Er ist ein Vollblutpolitiker, der gerne lacht - auch über sich selbst. Abgesehen davon ist er ein Faschingsvirtuose - seine Kostüme sind legendär."
Horst Seehofer (CSU)Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef - den mit Markus Söder herzliche Abneigung verbindet - will zur Auszeichnung seines Finanz- und Heimatministers nichts sagen. Eine Sprecherin der Staatskanzlei lässt nur ausrichten: „Der Ministerpräsident muss sich ja nicht zu allen Themen äußern."
: Die Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst" - zum Nachlesen in unserem NewsBlog: