Abschalten oder doch weiterlaufen lassen? Wer eine Antwort auf diese drängende Frage sucht, sollte in Kalkar am Niederrhein das einzige Atomkraftwerk der Welt besuchen, das heute ein Freizeitpark ist.
Als sich der erste Tag im Wunderland dem Ende neigt, entscheide ich, dass es Zeit für einen Perspektivwechsel ist. Da steht das Kettenkarussell in der Mitte des Kühlturms, der nie etwas gekühlt hat, und nachdem ich darauf Platz genommen habe, trägt es uns alle dem Himmel entgegen, weg von Fritteusenfettgeruch, Softeis-Schlieren und verkaterten Kegelbrüdern. Zuerst sehe ich nur die nackte graue Betonwand an mir vorbeirasen. Dann hebt mich das Karussell über den Kühlturmrand hinaus, und um mich herum kreiselt der Niederrhein. Felder, Wiesen, ein paar sanfte Hügel, Dörfer mit Kirchtürmen und dahinter der Rhein.
Irgendwo schräg unter mir liegt Kalkar, eine hübsche, mittelalterliche Kleinstadt nicht weit von der Grenze zu den Niederlanden. Ich bin an diesem Wochenende im anderen Kalkar, dem schnellen Brüter, dem bundesdeutschen Angstort der Vorwendezeit. Dem Kalkar, das Atomkraftgegner "verhindern" wollten und dann auch verhindert haben; der Reaktor ging niemals ans Netz.
Da steht er nun sinnlos in der Landschaft, im Ortsteil Hönnepel. Doch für einen lost place geht es hier sehr lebendig zu. Denn seit 1995 gehört das Areal dem niederländischen Unternehmer Hennie van der Most. Er machte daraus das "Wunderland Kalkar". Dazu gehören sechs Hotels mit 1000 Betten, ein Tagungszentrum, Messehallen und Kernie's Familienpark. Vom Ort der maximalen Sorge zu einer Stätte der maximalen Sorglosigkeit - mehr kann man von einer Umnutzung nicht verlangen.