Mit niedrigen Zinsen und einer Geldflut versucht die EZB, die Währungsunion zu retten. Damit beschwört sie aber andere Gefahren heraus. Vier Experten reden Klartext.
Frank Walter: Währungsreform könnte 90 Prozent der Geldwerte vernichten Die Euro-Währungsreform kommt, ist sich Frank Walter von der Ersten Finanz- und Vermögensberatung efv sicher. Sachwerte seien dann ein Muss.FOCUS-MONEY: Wird es den Euro Ende 2019 noch geben?
Frank Walter: Sicher. Denn der politische Wille hält ihn am Leben. Es dürfte aber immer mehr eine Schattenwährung geben.
MONEY: Was meinen Sie damit?
Walter: Ich meine die künftige Differenzierung zwischen dem Geld auf dem Konto und dem im Portemonnaie. Es wird letztlich zwei Euro-Welten geben, eine physische und eine elektronische. Die Bedeutung des Bargelds rückt dabei immer mehr in den Hintergrund.
MONEY: Wie beurteilen Sie das Risiko einer Euro-Währungsreform?
Walter: Zunächst muss man wissen, dass es bei einer Währungsreform „nur" um die Neubewertung einer Zahl per staatliches Dekret geht, so wie in der Geschichte zum Beispiel 1987 unter Bettino Craxi aus 100 Millionen italienischen Lira 100.000 Lira wurden. Die viel spannendere Frage ist, warum es zu einer Währungsreform kommt.
MONEY: Ihre Antwort?
Walter: Die Ursache ist stets dieselbe: Schulden. Dabei ist es zunächst gar nicht schlimm, wenn ein Staat Schulden macht, da er faktisch Leistungen erbringt, zum Beispiel Infrastruktur und Bildung. Wenn aber der Punkt erreicht ist, bei dem die Schulden, so wie jetzt, nur noch durch beliebiges Drucken von Papiergeld gedeckt werden können, wird es kritisch. Dann kommt es immer zu einer Währungsreform.
MONEY: Was bedeutet das für den Bürger?
Walter: Vereinfacht gesagt, ist eine Währungsreform nichts anderes als der Tausch von Guthaben der Bürger gegen die Schulden des Staates.
MONEY: Wie könnte eine Euro-Währungsreform ablaufen?
Walter: Irgendwann wird eine neue Währung eingeführt. Ob das bedeutet, dass die Deutschen wieder die D-Mark bekommen oder ob es einen Nord- und einen Süd-Euro gibt, spielt dabei keine Rolle. Dem neuen gedruckten Geld wird eine spezifische Kaufkraft zugewiesen, die nach allen Erfahrungen in der Vergangenheit nur einem Zehntel der des alten entspricht.
MONEY: Wie wahrscheinlich ist eine Euro-Währungsreform?
Walter: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es 13 Merkmale gibt, die als Indikation für das Näherrücken einer Währungsreform gewertet werden können. Acht davon sind erfüllt, etwa die Aufgabe des Goldstandards. Der genaue Zeitpunkt einer Euro-Währungsreform lässt sich nicht vorhersagen. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt aber bei 100 Prozent.
MONEY: Worauf sollten Anleger als Nächstes achten?
Walter: Da wäre zum einen das Anspringen der Inflation, was einer schleichenden Enteignung gleichkommt. Ein weiteres Warnzeichen ist, wenn der Erwerb von Sachwerten erschwert wird, der Staat also zum Beispiel auch für den Kauf physischen Goldes die Mehrwertsteuer einführt. Dass man dem Bürger das Bargeld in der Funktion als Wertspeicher wegzunehmen versucht, ist ein drittes Indiz.
MONEY: Wie können sich Anleger vorbereiten?
Walter: Das Wichtigste ist zunächst, eine persönliche Vermögensbilanz aufzustellen. Auf der einen Seite stehen die Geldwerte, also das Tages- und Festgeld, die Lebensversicherung oder der Bausparvertrag. Auf der anderen Seite listen Anleger ihre Sachwerte auf wie Immobilien und Edelmetalle. Und natürlich Aktien. Dann muss man sich vor Augen halten, dass bei einer Währungsreform circa 90 Prozent der Geldwerte vernichtet werden. Die Vermögensverluste bei Sachwerten hingegen sind viel geringer. Ein Sachwert wird nach einer Währungsreform zudem wieder an Wert gewinnen - oder schon währenddessen, so wie Gold.
Mit den Aktienempfehlungen des Bernecker Börsenkompass holen Sie mehr aus ihrem Geld heraus! (Partnerangebot) Gunther Schnabl: Zombifizierung von Banken und Unternehmen schreitet voran Deutschlands Target-Forderungen sind verloren, urteilt Professor Gunther Schnabl von der Uni Leipzig und fordert die Rückkehr zur Normalität.FOCUS-MONEY: Sie sind ein Kritiker von EZB-Chef Mario Draghi. Unter anderem prangern Sie an, dass die aktuelle Geldpolitik den Wohlstand gefährdet. Was meinen Sie damit?
Gunther Schnabl: Das billige Geld der EZB treibt zum einen die Vermögenspreise, zum Beispiel von Immobilien, in die Höhe. Zum anderen wirkt es negativ auf die Produktivitätsgewinne der Unternehmen hierzulande und damit auf die reale Lohnentwicklung. Vielen jungen Menschen in Deutschland ist es dadurch unmöglich geworden, ein adäquates Vermögen aufzubauen.
MONEY: Was heißt das für die Euro-Zone?
Schnabl: Die EZB will die südlichen Euro-Staaten vor dem wirtschaftlichen Kollaps bewahren. Dadurch werden die Produktivitätsgewinne in wirtschaftlich starken Ländern wie Deutschland gelähmt, mit der Folge, dass es an die schwächeren Länder nichts mehr zu verteilen gibt. Statt einer Win-win-Situation wie in den 1950er- bis 1970er-Jahren gibt es nur noch ein Nullsummenspiel.
MONEY: Es gibt also Gewinner und Verlierer?
Schnabl: Wenn Sie Geld in den Süden Europas transferieren, müssen Sie es jemandem im Norden abpressen. Der Gewinn des einen wird damit zum Verlust des anderen.
MONEY: Wie sieht die Lösung aus?
Schnabl: Man sollte den Grund für die ganze Misere beseitigen. Dazu gehört, die Finanzierung überbordender Staatsausgaben durch die Notenpresse zu beenden. Und die EZB sollte wieder eine Preisstabilität sicherstellen. Damit meine ich auch die Vermögens- preise. Diese Inflation muss eingefangen werden, indem zum Beispiel irgendwann auch die Zinsen wieder steigen.
MONEY: Was die südlichen Euro-Staaten in arge Schwierigkeiten bringen dürfte. Und die knapp eine Billion Euro Target-Forderungen der deutschen Bundesbank stünden auch auf dem Spiel.
Schnabl: Ich halte es generell für unrealistisch, dass die Target-Forderungen jemals zurückgefordert werden können. Man sollte eher versuchen, keine neuen Salden mehr aufzubauen.
MONEY: Knapp eine Billion Euro deutsches Geld ist also weg?
Schnabl: So könnte man das sehen.
MONEY: Das sind keine wirklich guten Vorzeichen für eine Fortführung des Euro.
Schnabl: Tatsache ist, dass die europäische Währungsunion Konstruktionsfehler hat. Der größte ist, dass es eine Geldpolitik, aber 19 verschiedene Finanzpolitiken gibt. Das hat die Euro-Zone stark auseinandergezogen und zu Übertreibungen geführt.
MONEY: Liegt das eigentliche Übel der Krise nicht in der Einführung des Fiat-Geld-Systems in den 1970er-Jahren?
Schnabl: Wenn alles neu geschaffene Geld heute noch mit Gold unterlegt werden müsste, wäre das Geldmengenwachstum stark begrenzt und die exzessive Geldpolitik der Notenbanken undenkbar.
MONEY: Sie plädieren also für einen neuen Goldstandard?
Schnabl: Es wäre zu begrüßen, wenn wir wieder einen Goldstandard oder etwas Ähnliches hätten.
MONEY: Hat die Geldpolitik der EZB wenigstens den europäischen Bankensektor stabilisiert?
Schnabl: Die europäischen Banken sind nach wie vor sehr labil und wohl nicht robust genug, eine Rezession unbeschadet zu überstehen.
Hendrik Leber: Es bleibt nur Inflation Value-Investor Hendrik Leber vom Vermögensverwalter Acatis hält Geldentwertung für die einzige Lösung, der Schuldenfalle zu entkommen.FOCUS-MONEY: Die amerikanische Notenbank Fed ist scheinbar bereit, die Zinsschraube nicht noch mehr anzuziehen. Wird sie womöglich weiter einknicken?
Hendrik Leber: Ich denke nicht, dass die Fed stärker einknickt. Es wird ganz sicher noch einige Zinserhöhungen geben, wenn auch nicht so stark wie ursprünglich geplant. Die entscheidende Frage ist vielmehr, wonach die US-Notenbank ihre künftige Zinspolitik ausrichtet. Nach dem jetzigen Machthaber oder dem nächsten? Da ich davon ausgehe, dass nach Donald Trump die Demokraten den Präsidenten stellen, erwarte ich keine allzu lockere Geldpolitik der US-Notenbank. Denn damit hätte man zumindest die Möglichkeit, die Zinsen später auch wieder senken zu können, wenn es erforderlich ist.
MONEY: Sind die Notenbanken also doch ein Spielball der Politik?
Leber: In Europa ist die Geldpolitik der EZB ganz eindeutig politisch motiviert. Sie dient mittlerweile dazu, Europa zusammenzuhalten, und weniger dazu, die Wirtschaft zu steuern. Wenn dem nicht so wäre, müssten die Zinsen heute ganz woanders stehen, nämlich höher.
MONEY: Um Europas Schulden ist es zuletzt scheinbar ruhiger geworden. Die Zeitbombe tickt aber sicherlich weiter. Mit welchen Folgen?
Leber: Die Zeitbombe ist gigantisch und wird immer größer. EZB-Präsident Mario Draghi wollte mit den niedrigen Zinsen den Staaten Zeit verschaffen, ihre Staatshaushalte in Ordnung zu bringen. Sie wurde nicht genutzt. In vielen Fällen sind die Schulden sogar noch gestiegen.
MONEY: Und jetzt?
Leber: Würde die EZB den Leitzins auf ein normales Maß anheben, würden fast alle südlichen Staaten Europas unter der hohen Zinslast zusammenbrechen. Selbst Deutschland hätte Probleme.
MONEY: Was ist dann die Lösung?
Leber: Der einzige Ausweg aus der Schuldenfalle ist Inflation. Der Vorteil für die Politik ist dabei, dass es keinen sichtbaren Schuldigen gibt. Die Schuld liegt aber definitiv bei der Notenbank und auch bei den Regierungen. Ich bedauere den nächsten EZB-Chef schon jetzt. Er muss die Welt, die Mario Draghi versüßt hat, wieder normalisieren. Und das funktioniert, wenn er das Geld nicht wieder verknappen will, nur über mehr Inflation.
MONEY: Von Inflation kann derzeit aber keine Rede sein.
Leber: Im Moment passiert noch nicht viel. Die Inflation zieht aber schon in kleinen Schritten an. Meine These lautet: Wenn sie einmal angefangen hat zu steigen, lässt sie sich nicht mehr so leicht bremsen. Und wenn sie einmal davongaloppiert, müssen die Zinsen doch angehoben werden, was für die Wirtschaft umso schmerzhafter ist. Das Problem ist meiner Ansicht nach gigantisch.
MONEY: Welche Rolle könnten Kryptowährungen wie der Bitcoin in einer Welt hoher Inflation einnehmen?
Leber: Nach dem typischen ersten Hype und einer Ernüchterungsphase sortieren sich die Dinge jetzt neu. Anleger erhalten mit Kryptowährungen vor allem eine Alternative zu den klassischen Geldtransaktionssystemen. Wenn jemand sein Geld bei hoher Inflation sicher unterbringen will, sind Kryptowährungen durchaus eine denkbare Option. Denn sie sind immerhin frei von Regierungseingriffen.
Mit Hilfe seiner einzigartigen Strategie identifiziert David Varga Trends, Korrekturen und Turnarounds (Partnerangebot) Johannes Hirsch: Es droht eine italienische Tragödie Für Johannes Hirsch von der Antea Vermögensverwaltung könnte die italienische Tragödie auch Frankreich erfassen und den Euro weiter belasten.FOCUS-MONEY: Die Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft wurden stark gekürzt. Laut dem Geschäftsklima-Index des Ifo-Instituts steht Deutschland sogar vor einer Rezession. Was sind die Hintergründe?
Johannes Hirsch: Deutschlands Wirtschaft hängt inzwischen sehr stark vom Außenhandel ab, genau gesagt, vom Export. Und der ist zuletzt leider deutlich unter Druck geraten.
MONEY: Welche Rolle spielt hierbei der Euro?
Hirsch: Der Euro hat sicher einige positive Effekte. Für die deutsche Wirtschaft ist er aber zu schwach, was dazu geführt hat, dass hiesige Unternehmen immer stärker vom Export abhängig geworden sind. Darunter hat die Binnenkonjunktur gelitten.
MONEY: Italiens Wirtschaft geht es deutlich schlechter. Nehmen wir an, italienische Staatsanleihen werden auf Ramschniveau abgewertet. Kommt es dann zur nächsten Euro-Finanzkrise?
Hirsch: Es ist wichtig, dass italienische Staatsanleihen ihren Investment-Grade-Status behalten. Ansonsten dürfte die EZB die Bonds nicht mehr aufkaufen. Bei einem Ramschstatus könnte also das System, das die EZB aufgebaut hat, um den Euro zu retten, zusammenbrechen.
MONEY: Was, wenn sich die EZB dazu entschließt, auch italienische Staatsanleihen mit Ramschstatus zu kaufen?
Hirsch: Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass die EZB ihre Kaufkriterien nochmals aufweicht und diesen Schritt geht. Einen solchen „Pragmatismus" hat sie ja schon ein paar Mal an den Tag gelegt. Das Vertrauen in den Euro würde dadurch aber weiter sinken und die Gemeinschaftswährung schwächen.
MONEY: Was auch nicht die Lösung sein kann.
Hirsch: Italiens größtes Problem ist die Altverschuldung von mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Neuverschuldung ist hingegen geringer als zum Beispiel die von Frankreich. Was zeigt, dass man in der jetzigen Situation nicht nur auf Italien schauen darf. Frankreich wäre ein ganz anderes Kaliber, welches die EZB in den Griff bekommen müsste.
MONEY: Was ist mit den geforderten strukturellen Reformen?
Hirsch: Italien hatte mit Matteo Renzi einen Ministerpräsidenten, der durchaus die ersten notwendigen Schritte gegangen ist. Er ist gescheitert, und als Folge davon hat Italien heute eine populistische Regierung. Wenn nun auch Emmanuel Macron in Frank- reich scheitert, was kommt dann? Die italienische Tragödie könnte dann auch in Frankreich stattfinden.
MONEY: Hohe Schulden, wenig oder keine Reformen: An ein Ende der Niedrigzinsphase ist also noch nicht zu denken.
Hirsch: Wenn Italien und Frankreich mit ihren hohen Schulden durchkommen, warum sollten das nicht auch andere Staaten? Selbst Deutschland braucht niedrige Zinsen. Auf längere Sicht wird das Zinsniveau in der Euro-Zone niedrig bleiben müssen, um zumindest die Probleme noch weiter nach hinten verschieben zu können.
MONEY: Was sind vor diesem Hintergrund Ihre aktuellen Anlagefavoriten?
Hirsch: Aktien sind niedrig bewertet und bieten weiter gute Chancen, auch wenn es immer wieder Rückschläge geben kann. Einer meiner Favoriten bleibt auch Gold. Im vergangenen Jahr schnitt das gelbe Krisenmetall besser ab als jeder Aktienmarkt. Auch für die nächsten Jahre sehe ich bei Gold gute Ertragschancen.
Gold, Rohstoffe, Währungen - die Marktanalysen des COT-Report verschafft den richtigen Durchblick. (Partnerangebot) Einfluss auf Börsen scheint zu schwinden