Sarah Stein

Head of Search Experience, SWR, Mainz

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Pflegedienst für Muslime: Betreuung mit Blick für die kulturellen Unterschiede

Koblenz. Yeter Aydin ist 93 Jahre alt, sie leidet an Alzheimer, spricht kaum Deutsch. Geboren wurde sie in der Türkei. 1974 ist sie mit ihrer Familie nach Koblenz gekommen. "Wir haben Gastarbeiter gerufen, aber es kamen Menschen", sagte der Schriftsteller Max Frisch einmal. Diese Menschen sind älter geworden, teilweise sind sie auf Pflege angewiesen, wie Yeter Aydin. In Koblenz gibt es einen Pflegedienst, der darauf spezialisiert ist, Menschen aus muslimischen Ländern zu pflegen. Und die Pfleger selbst sind alle in der muslimischen Tradition aufgewachsen.


Von unserer Reporterin Sarah Kern

Das Kopftuch hat Yeter Aydin fest um ihren Kopf geschlungen. Sie steht im Türrahmen, ungeduldig wippt sie auf Zehenspitzen hin und her, auf blauen Wollstrümpfen. Wie ein Kind. Yeter Aydin ist 93. Ihr blauer Rock reicht ihr bis zu den Knöcheln. "Orada mısın! Senin için bekliyordum" (Da seid ihr ja, ich habe auf euch gewartet), ruft sie und umarmt und küsst ihre Pflegerin, will sie gar nicht mehr loslassen. Yeter Aydin lebt seit 1974 in Deutschland. Sie hat Alzheimer und glaubt, in der Türkei zu sein.


In Pflegeeinrichtungen wird in den nächsten Jahren der Anteil der Patienten, die aus anderen Kulturkreisen kommen, stark zunehmen. Das ist der demografische Wandel. Der größte Teil der Migranten ist nämlich zwischen Mitte der 50er- und Anfang der 70er-Jahre nach Deutschland gekommen, um den Arbeitsmarkt zu unterstützen - zunächst war diese Maßnahme vorübergehend geplant, doch die sogenannten Gastarbeiter sind geblieben.

Daher werden zukünftig immer mehr alte Menschen mit einem muslimischen Hintergrund auch in Koblenz auf professionelle Hilfe durch Pflegekräfte angewiesen sein. 

In und um Koblenz leben mehrere Tausend Muslime. Die 93-jährige Yeter Aydin aus Neuwied ist eine der Klientinnen, die vom bisher einzigen deutsch-türkischen Kranken- und Altenpflegedienst in Koblenz mit Sitz in der Carl-Spaeter-Straße, der "ZA Ambulante Pflege", gepflegt werden. "Wir haben uns darauf spezialisiert, kultursensibel zu pflegen, das heißt, muslimische Werte und Traditionen in der Pflege zu berücksichtigen", erklärt Geschäftsführer Zeki Akcan.


Kultursensibel bedeutet beispielsweise, die Gebetsrituale zu berücksichtigen. Ein Muslim betet fünfmal am Tag. "Wenn ein Patient inkontinent ist, dann muss er auch fünfmal am Tag gewaschen werden, Muslime waschen sich vor den Gebeten, um rein zu sein", erläutert der Geschäftsführer. Oder während des Fastenmonats Ramadan: Da sind die Pfleger unterstützend da, denn viele alte Menschen wollen in dieser Zeit ihre Medikamente nicht einnehmen, da diese das Reinheitsgebot verletzen, erklärt Akcan.


Zur Pflege gehört auch, Lebensmittel einzukaufen und zu kochen, die mit dem Islam vereinbar sind, zum Beispiel kein Schweinefleisch. Wichtig ist auch zu wissen, dass in muslimischen Haushalten die Straßenschuhe ausgezogen werden müssen, ehe man die Wohnung betritt: "Die Menschen beten auf den Teppichen, es ist unhöflich mit dreckigen Schuhen drüber zu laufen."


Akcan erklärt: "Wir fragen uns: Wie lebt mein Patient? Betet er? Was isst er? Und so arbeiten wir." Diese kulturellen Besonderheiten kennt am Besten jemand, der selbst in dem Kulturkreis aufgewachsen ist und darin lebt. Deshalb hat Akcan darauf geachtet, ausschließlich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzustellen, die selbst einen entsprechenden Hintergrund haben.


Wie Sirin Nurcan (40) aus Koblenz. Die Arzthelferin mit türkischen Wurzeln arbeitet seit September für den Pflegedienst, neben fließend Deutsch und Türkisch spricht die Powerfrau mit den blond gefärbten Haaren noch Arabisch und Kurdisch. Sie erklärt: "Das Hauptproblem für viele Muslime ist die Sprache. Sie gehen zum Arzt und können ihm nicht einmal genau sagen, wo es weh tut. Dann wird es auch schwierig mit der Einstufung in eine mögliche Pflegestufe."


So sieht es auch Pflegerin Özmen Nevin (50), die ebenfalls für den Pflegedienst arbeitet. Sie ergänzt: "Wir sind mehr als nur Pflegerinnen, wir sind eine Stütze im Leben."

Genau das möchte der neue Pflegestützpunkt sein: eine Stütze für muslimische Mitbürger im letzten Abschnitt des Lebens. Seit Juni vergangenen Jahres ist "ZA Ambulante Pflege" offiziell zugelassen. Akcan hat acht Mitarbeiter eingestellt, fest angestellte Pflegekräfte und Altenpflegerinnen sowie eine Aushilfe. Alle Mitarbeiter sprechen mehrere Sprachen - Kurdisch, Türkisch, Arabisch, Syrisch.


Wieder zurück in der Wohnung bei Yeter Aydin. An den Wänden hängen arabische Schriftzeichen aus dem Koran, golden eingerahmt. Ein Gebetsteppich steht zusammengerollt in der Ecke. Aydin küsst ihre Pflegerinnen. Und drückt sie. Sie wirkt einsam. Doch jetzt strahlt sie. Auf der Couch liegen ein Strickknäuel und eine große Tasche, vollgestopft mit gestrickten Socken. Sie setzt Wasser für den türkischen Tee auf.

Sirin Nurcan und Özmen Nevin ziehen ihre Schuhe aus. "Ne böyle bir kesme var mı? (Was hast du so einen Ausschnitt heute an?)", fragt Aydin ihre Pflegerin Sirin Nurcan. Die lacht und kontert auf Türkisch zurück: "Am liebsten würde sie mich verschleiert sehen, so wie sie selbst ist. Und das ist das Gute an der Art, wie wir pflegen: Wir verstehen uns - prima."

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