Die Bässe wummern, das Licht flackert grell und alle reden durcheinander. Partys sind oft kein Highlight für Menschen, die sich als introvertiert einordnen. Doch auch sie können dabei Spaß haben - und mit der Zeit vielleicht sogar ein Partylöwe werden.
„Ich bin die, die bei der Party an der Seite steht
Ich bin die, die meistens schon nach ein paar Stunden geht
[…]
Es ist nicht so, dass ich Gesellschaft nicht mag
Hab’ viel zu sagen, wenn du mich einfach fragst“
Bina Bianca hat die Hymne der Introvertierten geschrieben. Im kurzen Song der als „Kopfstimme“ bekannten Sängerin geht es um die Missverständnisse, die Menschen mit diesem Persönlichkeitsmerkmal immer wieder begegnen.
Eines dieser Vorurteile ist, dass Introvertierte keinen Spaß auf Partys haben. Die Songs, die dort aus den Boxen dröhnen, sind ihnen zu laut. Die Masse an Menschen überfordert sie. Im Wirrwarr aus Stimmen und Musik sind tiefgründige Unterhaltungen kaum möglich – und seichten Smalltalk finden Introvertierte langweilig bis ermüdend.
So stellen sich einige Menschen klischeehaft eine Person vor, die sich selbst als introvertiert bezeichnet. Wie das mit den Klischees immer so ist: Sie beinhalten einen Funken Wahrheit – aber stellen die Realität stark vereinfacht dar. Auch Introvertierte können wilde Partys feiern. Nicht immer stehen sie als stille Zuhörende am Rand einer Gruppe, sondern unterhalten sich ebenso angeregt mit neuen Bekanntschaften. Denn, wie Bina Bianca singt: „Ich bin nicht schüchtern, ich bin introvertiert.“
Schüchtern oder introvertiert?
Wer schüchtern ist, hat Angst vor oder in sozialen Situationen. Schüchternheit ist oft ein Symptom eines geringen Selbstwertgefühls, schreibt das „Lexikon der Psychologie“ von Spektrum. In der Folge geben sich schüchterne Menschen häufig zurückhaltend gegenüber anderen. Auch Introvertierte können so wirken. Angst davor, mit anderen zu sprechen, haben sie aber in der Regel nicht. Ob der stille Typ auf der Party schüchtern oder introvertiert ist, lässt sich von außen kaum beurteilen.
Sowieso gibt es nicht die eine Gruppe Menschen, die extravertiert ist, und als Gegenpol die Introvertierten. Stattdessen muss man sich Introversion und Extraversion als zwei Enden einer Skala vorstellen. Die meisten Menschen liegen auf dieser Skala mehr im einen oder im anderen Bereich – aber die wenigsten ganz rechts, ganz links oder genau in der Mitte.
Erstmals zwischen Introvertierten und Extravertierten unterschieden hat der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875–1961). Ihm zufolge richten Extravertierte ihre psychische Energie nach außen. Sie haben gern viel Trubel und viele Menschen um sich, taugen also eher als Partylöwe oder -löwin. Introvertierte dagegen richten ihre psychische Energie in Richtung ihres eigenen Innenlebens. Sie mögen eine ruhige Umgebung und langweilen sich auch alleine nicht schnell.
Wieso Partys stressen können
Feiern sind das exakte Gegenteil einer ruhigen Umgebung. Wie sich Introvertierte in so einer Situation fühlen, weiß Sylvia Löhken. Sie hat mehrere Bücher über Introversion und Extraversion geschrieben. „Für Intros hat eine Party immer auch mehrere Stressfaktoren“, sagt die Kommunikationsberaterin, die sich selbst als introvertiert einordnet. Musik, Licht und die vielen Menschen seien eine Überdosis an Stimulation. Außerdem hätten viele introvertierte Menschen ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Kennen sie nur wenige Menschen auf einer Party oder wissen im Vorfeld kaum etwas über die Location, könnte sie das stressen.
Mit Stress und wie man ihn verringert, damit kennt sich Sabrina Fleisch aus. „Was es schwierig machen kann, ist, wenn sich introvertierte Menschen wünschen, anders zu sein oder glauben, anders sein zu müssen, um gemocht oder akzeptiert zu werden,“ sagt die Angst- und Stressbewältigungstrainerin sowie Buchautorin. Hier gebe es aber den Widerspruch zum eigenen Wunsch – etwa auf der Party irgendwann nach Ruhe. So entstehe ein innerer Konflikt. „Das erzeugt Frust, Scham, Traurigkeit oder sogar Wut“, erklärt Fleisch.
Partytipps für Introvertierte
Statt die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, rät die Expertin, auf sich selbst zu hören. Es spreche nichts dagegen, den Partyraum für einige Zeit zu verlassen und frische Luft zu schnappen oder der Musik zu lauschen, statt mit jemanden zu plaudern. „Es ist okay, wenn ich eine Pause möchte. Es ist nachvollziehbar, dass ich kurz Ruhe brauche. Es ist okay, sich so zu fühlen, dafür gibt es gute Gründe“, sagt Fleisch.
Und was ist, wenn jemand schon vorher gar keine Lust auf die Party hat, sondern den Abend lieber mit einem Buch auf der Couch verbringen möchte? „Das Leben ist zu kurz, um das zu machen, was andere meinen, was dich glücklich machen wird“, lautet die Antwort der Stressbewältigungstrainerin.
Introversion und die Wissenschaft
Wer dennoch damit hadert, nicht so feierwütig zu sein, für den gibt es gute Nachrichten aus der Wissenschaft. Introversion und Extraversion sind weder angeboren noch fixe Merkmale. „Persönlichkeit ist ein Leben lang veränderbar, und zwar bis ins hohe Alter“, sagt Prof. Lars Penke. Der Leiter der Abteilung Biologische Persönlichkeitspsychologie der Universität Göttingen erklärt: Lange seien Forschende davon ausgegangen, dass Gehirne Introvertierter und Extravertierter sich unterscheiden. Introvertierte hätten eine grundsätzlich höhere Hirnaktivität, weshalb sie weniger Reize von außen vertrügen – etwa laute Musik oder viele Gespräche kurz nacheinander. Diese Theorie sei überholt.
„Extraversion und Introversion haben eine gewisse Erblichkeit. Aber erblich bedeutet nicht gleich angeboren“, sagt Penke. Stattdessen sei die Folge dieser Erblichkeit, dass Menschen mit einer gewissen Tendenz ins Leben starten. Aber auch die Lebenserfahrung und das soziale Umfeld haben einen Einfluss darauf, wie sich jemand fühlt und verhält. Menschen neigten außerdem dazu, stabile Verhaltensmuster aufrechtzuerhalten. Wer einmal erlebt, dass ihm oder ihr eine Party keinen Spaß bereitet, gehe mit einer negativeren Einstellung auf die nächste.
„Persönlichkeit ist nicht beliebig formbar“
Ebenfalls eine Rolle spielt das Selbstkonzept, also wie Menschen sich selbst einschätzen. „Labels wie introvertiert oder extravertiert nehmen wir gern an. Sie helfen uns, uns selbst, aber auch andere zu verstehen und einzuordnen“, erklärt Psychologe Penke. Die wildeste Person auf der Party bekomme das Label extravertiert. Jemand vergleicht sich mit dieser und halte sich dann für introvertiert – was gleichzeitig dabei helfe, anderen zu erklären, warum er oder sie sich ruhiger verhält.
„Beliebig und sofort formbar ist die eigene Persönlichkeit zwar nicht“, sagt der Experte. Aber Menschen könnten nach und nach neue Gewohnheiten etablieren. So machen sie neue, positive Erfahrungen. Mit der Zeit könnten diese ihre Persönlichkeit verändern. So kann aus einer introvertierten Person doch noch ein Partylöwe werden – oder zumindest eine Partyhauskatze.
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