Mit ihrem Song "Die Perfektion" startete die deutsche Indie-Rock-Band Madsen Mitte der 2000er durch. Im Interview mit Frontmann Sebastian Madsen spricht er über die Jugend auf dem Dorf, Nächte im Tourbus und der Reiz der Einsamkeit.
Vor zehn Jahren erschien Ihr erstes Album „Madsen". Damals war deutschsprachige Rock-Pop-Musik von Bands wie Juli und Silbermond angesagt. Mittlerweile dominiert elektronische Musik die Charts. Wie passt Madsen da noch rein?
Die neue „Neue Deutsche Welle" mit Silbermond und Wir sind Helden war für mich ganz klar zu definierende Popmusik. Da hatten wir nichts mit am Hut. Ich wollte ein Album machen, was sich eher an englischer, amerikanischer Garage-Rock-Musik orientiert hat. Ich würde sagen, wir passen da heute genauso wenig rein wie früher.
Sie haben schon während ihrer Jugend Anfang der Neunziger in einer Punkrockband gespielt und stammen aus dem kleinen Dorf Prießeck im Wendland. Wie haben die Leute damals auf Sie reagiert?
Ich glaube, Anfang der Neunziger haben wir noch ein bisschen verstören können. Mit elf oder zwölf Jahren hatte ich lange Haare und sah aus wie ein Mädchen. Dann wollte ich zeigen, dass ich ein knüppelharter Schlagzeuger bin. Mittlerweile ist es okay, dass hier ab und zu mal Getrommel oder eine verzerrte Gitarre aus dem Fenster schallt. Wir sind Kulturgut geworden.
Gibt es einen dummen Spruch aus dieser Zeit, an den Sie sich erinnern können?
Wir haben mal auf einer spießigen Veranstaltung im Nachbardorf gespielt, die von der Stimmung her an ein Schützenfest erinnerte. Da kam so ein Opa an, und der wollte das Stromkabel durchschneiden. Das gefiel ihm nicht, was da auf der Bühne passierte.
Wohnen Sie noch im Wendland?
Zwei von uns, Johannes und Niko, sind noch waschechte Wendländer. Ich verbringe immer noch ganz viel Zeit im Wendland, wohne aber mittlerweile in Berlin. Ich mag total diesen Kontrast von Stadt und Land. Ich brauche beides. Ich kann auf dem Land nach wie vor besser arbeiten und mich konzentrieren. Wir proben auch immer noch im Proberaum auf dem Hof unserer Eltern. Manche der Aufnahmen von Gesang oder Gitarren, die ich in Prießeck aufgenommen habe, sind auf dem Album gelandet. Das war zum Beispiel beim Song „Sirenen" von unserem neuen Album so.
Die Lieder auf Ihrem Album handeln, wie man es von Ihnen kennt, von Liebe, Freundschaft und Selbstfindung. „Sirenen" ist ein politischer Song über eine Demonstration.
Grundsätzlich ist es nicht so, dass ich total steuern kann, was aus mir rauspurzelt. Bei „Sirenen" habe ich mich an einen Protest gegen Atommüll erinnert, den ich mit einem Kumpel vor acht Jahren in Dannenberg besucht habe. Hubschrauber umkreisten uns. Es wurde irgendwie unheimlich und bedrückend. Wir merkten, dass wir etwas Angst bekamen und auch Hunger. Dann sind wir in die Innenstadt in ein Lokal und saßen da bei Kerzenlicht und schöner Musik. Uns beiden wurde bewusst, wie leicht es ist, sich von alldem, was da draußen passiert, abzugrenzen. Das hat uns Angst gemacht. Wenn das schon im Kleinen so einfach ist, dann muss das auf die Welt bezogen eine Katastrophe sein.
Sind alle Ihre Songs so autobiografisch?
Ich habe mir bei diesem Album Hilfe geholt, in Form von unserer Keyboarderin Lisa zum Beispiel, von Max Lessmann, dem Sänger und Texter der Band Vierkanttretlager, und von der Band Großstadtgeflüster. Ich finde, beim sechsten Album ist das überhaupt keine Schande. Ich halte mich selbst nicht für einen begnadeten Texter. Ich bin eher ein Musiktyp. Trotzdem steckt da viel von mir drin.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Songtexte?
Aus Gesprächen. Ich muss dann wieder nach Berlin und unter Leute kommen. Ich bin einfach ein Eigenbrötler und gerne alleine. Ich brauche Zeit für mich, um runterzukommen. Da läuft man in Gefahr, dass man irgendwann nichts mehr erlebt. Dann muss ich mich zwingen, unter Leute zu gehen. Was wir mit der Band erleben, das ist teilweise unglaublich langweilig, und zeitweise denkt man, da passiert so viel, das kann ein Mensch überhaupt nicht verkraften.
Und wie kommen Sie wieder runter, wenn mal wieder viel passiert?
Ein oberflächliches Beispiel ist Bier. Das trinken wir alle sehr gerne. Wir probieren gern regionales Bier, haben aber auch unser Jever dabei. Ich persönlich liebe es, nachts im Tourbus zu liegen und meine Lieblingsmusik zu hören. Marvin Gaye, Bob Dylan, The Zombies. Vorrangig kommen sie aus den Sechzigern. Und dann sind da natürlich wir, die Truppe, die sich gegenseitig stärkt. Wir zeigen uns gegenseitig, wo wir herkommen. Manchmal kann es passieren, dass einer ein bisschen abdriftet und nicht mehr so richtig auf dem Boden ist. Dann wird der halt wieder runtergezogen.
Passiert das denn oft?
Zwischen uns drei Brüdern kann es schon manchmal knallen. Und dann muss einer das Gespräch suchen. Aber das Schöne bei uns ist, wir können nicht schlafen, wenn etwas nicht stimmt. Dann sitzen wir und reden, offen und ehrlich.
Was sind Ihre nächsten musikalischen Ziele?
Das Schöne ist, wenn man das Album im Kasten hat, muss man sich darüber keine Gedanken mehr machen. Das wird einfach passieren, so wie es immer passiert. Wer weiß, welche Songs das Leben schreibt? Ich freue mich schon drauf.
Zum Original