Anfang des Monats hat das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ein geraubtes Wandpaneel an Afghanistan zurückgegeben, doch in den Museen schlummert weit mehr. Wie geht man damit um? Der Historiker Professor Jürgen Zimmerer forscht an der Universität Hamburg zum kolonialen Erbe Deutschlands und ist eine der zentralen Stimmen in der Debatte um Raubkunst. WELT hat mit ihm über die Schuld Hamburgs diesbezüglich gesprochen.
WELT: Herr Zimmerer, am Donnerstag haben Sie mit Kollegen aus dem europäischen und afrikanischen Raum einen Brief veröffentlicht, in dem Sie volle Information über den Bestand von Museen fordern. Können die Museen solche Inventarlisten überhaupt veröffentlichen?
Jürgen Zimmerer: Selbstverständlich. Es geht um Listen, in denen steht, wie Museen zu Objekten gekommen sind, zumindest soweit sie das wissen. Jeder Profi weiß, dass sie fehlerbehaftet sind. Das macht aber nichts, die Offenheit und Transparenz ist das Wichtigste. Aber man kann nur mit der Aufarbeitung des kolonialen Erbes beginnen, wenn man weiß, was in den Museen ist.
WELT: Welche Reaktionen gab es in Hamburg auf Ihren offenen Brief?
Zimmerer: Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda hat gesagt, er würde mit Wissenschaftlern, die den Appell unterzeichnet haben, sprechen und sie zu Treffen mit Politikern und Verwaltungsfachangestellten einladen, die diesen Zugang regeln. Es ist wichtig, dass dort auch Wissenschaftler und die Zivilgesellschaft vertreten sind. Ich begrüße das sehr.
WELT: Das Museum für Kunst und Gewerbe hat Anfang des Monats ein Relief an Afghanistan zurückgegeben. Hat es vorbildlich gehandelt?
Zimmerer: Jede Restitution ist vorbildlich, wenn sie den Wünschen der rechtmäßigen Eigentümern entspricht. Auch das medizinhistorische Museum des UKE hat sterbliche Überreste nach Namibia restituiert. Das ist der Weg, den man gehen muss.
WELT: Wie viele geraubte Objekte gibt es in Hamburg?
Das kann ich nicht genau sagen, und ich vermute, dass selbst die Museen nicht im Einzelnen wissen, wie viele es gibt. Um ein Beispiel zu nennen: Man geht davon aus, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zimmerer: etwa 200 Benin-Objekte im Besitz des Museums für Völkerkunde (MARKK) waren, aber nur die Leute des Museums wissen, wo sie sind. Im Keller des MARKK zum Beispiel gibt es Kisten der Südseeexpedition zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die, so hört man, noch nicht einmal ausgepackt sind. In dieser Zeit hat man in einer wahnsinnigen Sammlungsraserei Objekte angehäuft. Georg Thilenius, der Gründungsdirektor des MARKK, sprach davon, er wolle ganze Inseln in der Südsee leerräumen, damit andere europäische Museen nicht mehr an diese Objekte kommen.
WELT: 2018 haben Sie gesagt, die Aufarbeitung kratzt bisher nur an der Oberfläche. Sehen Sie das jetzt anders?
Zimmerer: Wir sind immer noch an der Oberfläche, aber man merkt, dass das Thema in der Politik angekommen ist. Viele Stakeholder und Institutionen sind sich jetzt bewusst, dass es eine deutsche, problematische Kolonialgeschichte gab, zum Beispiel die Handelskammer Hamburg, die lange blockiert hat. Zusammen mit ihr organisieren wir einen postkolonialen Vortrag, den wir sogar in der Handelskammer durchführen.
WELT: Wo steht Hamburg im nationalen oder internationalen Vergleich?
Zimmerer: Hamburg nahm in den letzten Jahren eine Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung des kolonialen Erbes ein, und die Stadt ist immer noch gut dabei. Aber nun sind mutigere Schritte angesagt, wenn man nicht ins Hintertreffen geraten will. Insbesondere in Berlin geschieht Interessantes!
WELT: Was sollte Hamburg jetzt tun?
Der Baakenhafen ist der symbolische Ort, von dem die Deutschen in den Zimmerer: Genozid an den Herero und Nama fuhren. Nichts erinnert daran. Man müsste also beim Bau des Hafenmuseums überlegen, wie man damit umgeht, dass der Hafen der Platz für den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts war. Auch der Umgang mit den Benin-Bronzen ist hier zu nennen. Sie sind eindeutig Raubkunst und kamen 1897 unter anderem über den Hamburger Hafen nach Deutschland, weil der Museumsdirektor Justus Brinckmann vom Museum für Kunst und Gewerbe und Georg Thilenius vom Völkerkundemuseum hier regen Handel betrieben haben. Brinckmann war so etwas wie „der Großhehler" der geraubten Objekte.
WELT: Was wünschen Sie sich von der Politik in Hamburg?
Zimmerer: Wir brauchen hier einen Forschungs- und Gedenkort zur kolonialen und postkolonialen Globalisierung - meinetwegen in Partnerschaft mit Berlin. Es darf sich aber auch nicht alles auf Berlin konzentrieren, denn es kann viele Aspekte nicht abdecken, vor allem die ökonomischen. Hamburg dagegen hat diese: den Hafen, das Völkerkunde-Museum, Hagenbeck mit seinen Völkerschauen, das Kolonialinstitut. Hier konzentrieren sich viele Themen in einer Dichte wie in keiner anderen Stadt Deutschlands. Mein Vorschlag ist ein Ensemble aus Forschungseinrichtungen, Museen und Stadtrundgängen. Also Orte, wo Spuren des kolonialen Erbes sichtbar sind und das sind sehr viele auf einem überschaubaren geographischen Gebiet. Vom MARKK über die Universität, das Rathaus, die Handelskammer zum Michel und der Speicherstadt können Sie sich die Geschichte der kolonialen Globalisierung erlaufen - und das kann man nirgends sonst auf der Welt.
Jürgen Zimmerer hält am 23. Oktober um 18 Uhr einen öffentlichen Vortrag zu dem Thema, Erwin-Panofsky-Hörsaal, Hauptgebäude der Universität, Edmund-Siemers-Allee 1 Zum Original