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Modern-Solo-Weltmeister: Himmelsstürmer

Mika Einmal erinnert sich an seinen sportlichen Triumph in Polen

Mika Einmal hat mit 22 Jahren erreicht, wovon viele Menschen ein Leben lang nur träumen: 2019 setzte er seiner bisherigen tänzerischen Laufbahn im polnischen Rawa Mazowiecka mit dem Weltmeistertitel in der Disziplin Modern Solo die Krone auf. Für die Tanzspiegel-Redaktion hat er die Anfänge seiner Karriere sowie den Moment seines größten Triumphs noch einmal Revue passieren lassen und uns einen Blick in seine Zukunftspläne werfen lassen.

Freitag, 5. Juni 2020, mitten in Bonn. Die düsteren Regenwolken, die dem strahlenden Sonnenschein der letzten Tage so rüde einen Riegel vorgeschoben hatten, befinden sich auf dem Rückzug, nachdem sie ihre flüssige Fracht ausgiebig über der Stadt verteilt haben. Einige Passanten, die über die an der Hauptstraße gelegenen Gehwege vor dem Ernst-Kalkuhl-Gymnasium huschen, drosseln ihre Schrittgeschwindigkeit, um sich mit einem erleichterten Aufatmen die bis dato tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen von den Köpfen zu zupfen.

Zwischen ihnen schiebt sich ein blondgeschopfter junger Mann in durchnässter Jeans und grauer Windjacke hindurch, dessen Ziel ein Stückchen hinter dem von der Straße aus sichtbaren rot verklinkerten Hauptgebäude der Bildungseinrichtung liegt. Zielstrebig überquert er den Pausenhof und steuert die etwas in die Jahre gekommene alte Turnhalle an, die einigen Tänzer*innen der Tanzschule Lepehne-Herbst als Trainingsraum dient und die sie nach dem Corona-Lockdown nun endlich wieder nutzen dürfen.

„Während der Pandemie haben wir gesehen, wie schön es ist, präsent vor Ort tanzen zu können. Wir haben während dieser Zeit zwar versucht, so gut es geht alleine zu trainieren, aber trotz aller Online-Angebote fehlt der Austausch mit den anderen. Mal abgesehen davon, dass der Platz zu Hause einfach nicht ausreicht, weshalb ich jetzt zwei Löcher in meiner Wand habe“,

sagt Mika Einmal, nachdem er lässig auf einer kleinen Holzbank vor der Sportstätte Platz genommen hat, um in Gedanken noch einmal an jenen Tag im vergangenen Jahr zurückzukehren, an dem er sich seinen großen Traum erfüllte.

Planänderungen, Nachtschichten und kreative Auswege

Dienstag, 3. Dezember 2019, Rawa Mazowiecka nahe Warschau. Im Hotel Ossa finden gerade über mehrere Tage hinweg die Weltmeisterschaften im Ballett, Jazz und Modern/ Contemporary statt. Eigentlich hätte Mika gestern gemeinsam mit Louisa Sophie Brebeck-Knobloch in der Kategorie Modern Duo an den Start gehen sollen, allerdings war die Schwangerschaft seiner Partnerin dazwischen gekommen und der Auftritt ins Wasser gefallen.

„Das war natürlich schade, aber so konnte ich mich im Vorfeld stärker auf die anderen Disziplinen konzentrieren.“

Für den 22-Jährigen beginnt der Wettbewerb heute mit dem Modern Solo.

„Eigentlich wollte ich in diesem Jahr ein Stück auf Rap-Musik zeigen und damit einen Kontrast setzen. Aber nach dem ersten Durchlauf beim ersten Saison-Wettkampf habe ich festgestellt, dass ich das einfach nicht bin.“

Ernste, nachdenkliche Darstellungen passen seiner Ansicht nach besser zu ihm.

„Deshalb habe ich zwei Wochen vor der WM noch einmal alles umgeworfen und eine neue Choreo auf etwas Gesprochenes gemacht.“

Nach langen Sessions und einigen Nachtschichten in seiner heimischen Tanzschule kreiert der junge Mann aus Sankt Augustin, der seit sechs Jahren seine Solo-Tanzfolgen auf eigene Faust erstellt, ein Gesamtwerk, das seinem Stil besser entspricht.

„In meinen Choreographien verbinde ich Techniken, die international gefragt sind, mit Sprüngen, die nicht jeder zeigt“,

erklärt der Lehramtsstudent mit den Fächern Sport und Chemie. Die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer versuche er mittels unerwarteter Höhepunkte, beispielsweise einem Sprung aus dem Nichts heraus, zwischen fließenden Bewegungen auf unterschiedlichen Höhenebenen zu gewinnen. Auch mithilfe von Blicken lasse er verschiedene Dynamiken entstehen, um sein Publikum zu fesseln. Ebenso wie durch unkonventionelle Bewegungen abgestimmt auf die Betonungen innerhalb der Musik.

„Während ich ein Stück erstelle, bringe ich meinen Körper gerne in verschiedene Positionen und versuche einen Ausweg daraus zu finden, der nicht gerade der einfachste ist.“

Was dabei am Ende herauskomme, das sei immer so eine Sache, sagt er und schmunzelt. Denn nicht selten gäben seine Tänzerkolleg*innen diesen Elementen Titel wie „komisches Mika-Teil“.

Nachdem er das Schrittmaterial zusammengefügt und seinen Körper dazu befähigt hat, die anspruchsvollen Bewegungskombinationen umzusetzen, dürfen Mutter Manuela und Schwester Shirina, die auch seine Trainerinnen, Choreographinnen und geschätzten Fachkolleginnen sind, einen kritischen Blick auf das neue Kunstwerk werfen.

„Manchmal ist es für einen selbst schwer einzuschätzen, ob beispielsweise bestimmte binnenkörperliche Bewegungen komisch aussehen, einige Moves noch größer ausgeführt werden könnten oder der Blickfokus nicht stimmt.“

Hier seien die Impulse aus den Reihen seiner Familie wahrlich Gold wert.

In dieser bewährten Einmal’schen Teamwork-Methode entsteht auch die neue WM-Choreographie, der Mika den Titel „Do whatever you wanna do“ gibt.

„Meine Message ist, dass man mit seinem Leben etwas anfangen und den Dingen treu bleiben sollte, die einem am meisten geben.“

Eine Botschaft, die er sich am 3. Dezember 2019 selbst zu Herzen nimmt.


Ganzer Text im "Tanzspiegel"-Magazin (Ausgabe 09/2020)