Nach „Anstupsen", „SMSen" und „Liken" hat sich im vergangenen Jahr das Tindern zum neuen Trend in Sachen Kennenlernen entwickelt. „Tindern" steht für die Nutzung der kostenlosen App „Tinder" (aus dem Englischen übersetzt: Zunder), die im Idealfall das tun soll, was ihr Name verspricht und bei ihren Nutzern etwas entflammt. Ob es sich dabei am Ende um ein Liebesfeuerwerk handelt oder um ein einfaches Strohfeuer ist wohl Glückssache.
Flirtpartner findenDie Vorgehensweise ist ganz einfach: Einen nach dem anderen zeigt „Tinder" seinem Benutzer die Anwärter. Eine Handvoll Bilder, Vorname, Alter und manchmal auch bis zu 500 Zeichen, die den potentiellen Flirtpartner charakterisieren. Ein Wisch nach rechts bedeutet, dass man den Jemand gerne näher kennenlernen würde, ein Wisch nach links schiebt ihn in den virtuellen Dating-Papierkorb. Die App versucht gar nicht erst, zu verschleiern, dass es hier vorrangig genau um Eines geht: das oberflächliche Äußere.
Dr. Kai Dröge vom Institut für Sozialforschung der Goethe-Universität beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen Online-Dating. Seinen Beobachtung zufolge hat sich diese Art, Menschen kennenzulernen gerade in den letzten zehn Jahren zum Massenphänomen entwickelt. Das Prinzip „Tinder" spiegelt für ihn die moderne Dating-Kultur an amerikanischen Hochschulen wieder: „Dort herrscht eine Tradition des eher unverbindlichen, spielerischen Datings." Das Wissen um Tinder und seine Tücken müsse in Deutschland erstmal ankommen.
Denn wie die Netzwerkseite „Facebook" kursierte auch „Tinder" zunächst auf dem Campus einer kalifornischen Universität, der University of Southern California in Los Angeles. Beide Anbieter arbeiten von Beginn an eng zusammen. Die Tinder-Anmeldung funktioniert nur mit Facebook-Account.
Allein in den ersten fünf Minuten meiner eigenen „Tinder"-Karriere wischt mein Daumen auf dem Display in einem Fort nach links. Nur zwei Herren sind in dieser Zeit dabei, die ich in Richtung rechte Seite des Displays ziehe. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei meinen beiden Kandidaten im Umkreis von 160 Kilometern ein „Match" dabei ist, ist tatsächlich ziemlich gering. Einen Treffer gibt es bei „Tinder" nur, wenn jemand auch mein Foto an den rechten Bildschirmrand bewegt. Um die Chancen zu erhöhen, werde ich bei meiner Quote wohl noch eine ganze Menge Bilder durchwischen müssen.
Wie viele Nutzer bei „Tinder" inzwischen angemeldet sind, gibt die Geschäftsführung des Unternehmens nicht bekannt. Zahlen die die Pressestelle des Unternehmens hingegen herausgegeben hat, lassen jedoch auf großen Erfolg schließen: Bereits Anfang letzten Jahres habe es bereits eine Milliarde Matches zwischen Benutzern gegeben. 60 Prozent der Benutzer verwendeten die Dating App im Jahr 2013 täglich, viele davon mehrfach. Der Erfolg macht sich auch finanziell bemerkbar. Eine halbe Milliarde Dollar soll das Startup zwei Jahre nach dem Erscheinungsdatum 2012 Wert sein.
Mehr ein ComputerspielFür Dröge spiegeln Dating-Portale wie „Tinder" den Zeitgeist wider. „Wie auch in anderen Lebensbereichen finden sich hier die Prinzipien des modernen Massenkonsums wieder - ein Katalog mit schönen bunten Bildern. Was nicht gefällt, wird zurückgegeben". Viele Nutzer wollen in seinen Augen gar nicht primär Leute kennenlernen: „Sie nutzen die App vielmehr als Computerspiel und haben Spaß daran, Menschen aufgrund von oberflächlichen Kriterien zu beurteilen". Ein Spiel mit Suchtfaktor.
Das kann ich bestätigen, hat sogar mich, die das ganze ja nur testet und gar nicht real auf Partnersuche ist, nach wenigen Tagen die Wisch-wut gepackt. Ob aus Neugierde, ob eventuell doch die ein oder andere reale Bekanntschaft wiederentdeckt wird oder aus purer Langeweile beim Warten auf die nächste U-Bahn kann ich schon gar nicht mehr so genau sagen. Zwei Wochen lang schaue ich immer mal wieder in die App, wische einige Minuten und beantworte hin und wieder einige Nachrichten.
Denn ganz so schwierig, wie ich mir das anfangs vorgestellt hatte, ist das mit den Matches dann doch nicht. Ich kann mir recht bald vorstellen, warum so viele Menschen auch im wahren Leben dem „Tindern" verfallen sind, ist so ein gefundenes Match doch ganz gerne Futter für die Seele. Das alsbald die vorgefertigte Nachricht, der Herr sei ja nur auf der Suche nach einem Abenteuer auch wieder schnell im Hals steckenbleiben lassen kann.
Rund 30 Matches, exakt zwei nette Gespräche ohne persönliches Treffen und mehreren Diskussionen im Freundeskreis zur Frage, warum sich denn die Männer von heute mit dem ersten Schritt so schwer zu tun scheinen später, gebe ich das Experiment auf. Mein Fazit: Wömöglich ist „Tinder" tatsächlich für einige Singles der Schlüssel zum Glück aber nimmt durch das Suchtpotenzial auch wahnsinnig viel Zeit in Anspruch. An den Zufall, ausgerechnet hier auf oberflächliche Weise auf den Traumpartner zu treffen, glaube ich zumindest nicht. Dann doch lieber den Blick statt aufs Smartphone in die Realität richten. Vielleicht ist der Prinz oder die Prinzessin ja auch ohne „Tinder"-Umkreissuche näher als man denkt.
Erschienen in: Frankfurter Neue Presse