Frankfurt. Durch Tagebuchaufzeichnungen in einem Hinterhaus in Amsterdam wurde Anne Frank weltberühmt. Hier versteckte sich die jüdische Familie Frank seit Juli 1942 vor den Nationalsozialisten, die auch im besetzten Nachbarstaat Jagd auf Juden machten. Die Geschichten aus dem Alltag eines jüdischen Mädchens bewegen noch heute Millionen Jugendliche. Sie spielen in Amsterdam. Die Geschichte ihrer Autorin jedoch beginnt in Frankfurt.
Und hier feiert auch der erste deutsche Anne-Frank-Film „Meine Tochter Anne Frank“ am 9. Februar im Sendesaal des Hessischen Rundfunks Premiere. Am 18. Februar um 20.15 Uhr wird der Fernsehfilm im Ersten ausgestrahlt. Auch die 18-jährige Hauptdarstellerin Mala Emde kommt ebenfalls aus der Mainmetropole und hat die wichtigen Orte im Leben von Anne Frank besucht. Bei einem Stadtrundgang folgen auch wir den Spuren, die das Schicksal des Mädchens hinterlassen hat. Wir beginnen im Marbachweg 307, wo eine Gedenktafel an Anne Frank erinnert.
Hier wurde Annelies Marie Frank am 12. Juni 1929 als Tochter von jüdischen Eltern geboren. Im Alltag der Familie spielte Religion jedoch keine allzu bedeutende Rolle. Meron Mendel, der seit 2011 die Jugendbegegnungsstätte „Anne Frank“ am Dornbusch leitet, weiß: „Die Franks waren zuallererst Deutsche. Eine kulturbegeisterte Familie, die in die Oper ging und ins Theater.“ Dennoch führte die Judenverfolgung 1934 schließlich zur Emigration der Familie nach Amsterdam.
Vermieter war ein Nazi
Warum die Familie jedoch schon 1931 die Mietwohnung im Marbachweg verlassen musste, ist ungewiss. „Es gibt Quellen, die dafür sprechen, dass der damalige Vermieter NSDAP-Mitglied war und Mittel und Wege gefunden hatte, die jüdische Familie zum Auszug zu bewegen“, sagt Mendel. Franks zogen daraufhin in die Ganghoferstraße 24: „Die endgültige Formung seines Charakters hat jeder selbst in der Hand“, mahnt hier eine Gedenktafel mit den Worten der 15-Jährigen.
In der Wohnung im Marbachweg lebt heute die 84-jährige Ingeborg Strauss, die um jeden Preis verhindern will, dass das Schicksal von Anne Frank in Vergessenheit gerät. Sie hat bereits mit vielen jungen Menschen gesprochen: über das Geburtshaus von Anne, aber auch über ihre Beweggründe, Tagebuch zu schreiben. „Durch die Aufzeichnungen hat Anne immer wieder versucht, ihre Situation zu begreifen“, erklärt Strauss, die nur ein Jahr jünger ist als das Mädchen, das einst in ihrer Badewanne saß. Sie selbst floh aus Oberschlesien und versteht gut, was in Anne Frank vorgegangen sein muss.
Anne Franks Namen trägt neben einer im April 1958 benannten Straße in einem Eschersheimer Neubaugebiet auch eine Realschule unweit des Hauses in der Ganghoferstraße. Der Schulhof der Anne-Frank-Schule ist der Namensgeberin gewidmet. Wandbilder zeigen Anne Frank, die einen Tagebucheintrag an ihre imaginäre Freundin Kitty schreibt. 2008 wurde hier eine Kastanie gepflanzt, ein Ableger der Kastanie hinter dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam.
Davon ist heute nur noch ein umzäunter Stumpf übrig, denn Unbekannte hatten den Baum im Dezember 2013 gefällt und mitgenommen (wir berichteten). Ein Beispiel, das zeigt, welche Brisanz das Thema Holocaust noch heute hat und viele Frankfurter schockierte. Die Schule unterdessen hat sich im Schulprogramm ein besonderes Ziel gesetzt: „Unsere Schüler sollen befähigt werden, Toleranz und Respekt gegenüber der Persönlichkeit anderer, auch gegenüber Fremdem und Neuem aufzubauen und Diskriminierung entgegenzustehen“.
Anne Frank hat, obwohl sie Frankfurt kurz vor ihrem fünften Geburtstag für immer verließ, Spuren in der Stadt hinterlassen, die täglich an die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs erinnern.
Umso erstaunlicher, dass die ersten Bestrebungen, sich hier mit ihrer Familie mit der Thematik auseinanderzusetzen erst Mitte der 90er-Jahre begannen. 1994 wurde die Jugendbegegnungsstätte gegründet, die noch heute eine wichtige Rolle in der politischen Bildung von Jugendlichen spielt: „95 Prozent unserer Inhalte haben nichts mit dem Holocaust zu tun. Es geht um Menschenrechte, multikulturelles Zusammenleben und die Prävention von Rassismus“, sagt Leiter Meron Mendel.
Intensive Diskussionen
Auch die Zukunft des Geburtshauses im Marbachweg wurde im selben Jahrzehnt intensiv diskutiert. Als das Gebäude Ende der 90er zum Verkauf stand, überlegte die Stadt, es zur Gedenkstätte zu machen. Die Nachbarn sträubten sich, teils aus Angst vor Touristenscharen, teils aus anderen Gründen. Für Ingeborg Strauss allerdings steht fest, dass gerade in ihrer Heimatstadt weiterhin an Anne Frank erinnert werden muss. „Was ihr widerfahren ist, darf sich nicht wiederholen.“
Anne Frank starb im März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen an Typhus. Wenige Wochen später wurde das Lager befreit.
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