Obwohl die Adventskalender ursprünglich aus dem norddeutschen Raum kommen, wurden bei den ersten bayerischen Druckerzeugnissen bereits einheimische Motive verwendet. "Eines der beliebtesten Motive war dabei der Nürnberger Hauptmarkt, auf dem sich der weltberühmte Christkindlesmarkt befindet", sagt Schindler, während er verschieden bedruckte Papierkalender zeigt. Einer davon stammt aus den 1930er-Jahren und hat schon kleine Türchen zum Öffnen.
"Daran sieht man schon, dass in diesem Zeitraum das kleine Versteckspiel, was sich hinter den Türchen verbergen könnte, Eingang gefunden hat in die Adventskalender-Tradition. Das ist gar nicht so alt, wie man vielleicht denkt." Dr. Thomas Schindler, Adventskalender-ExperteHinter den Türchen versteckten sich allerdings noch keine Gegenstände, wie wir das aus den heutigen Adventskalendern kennen, sondern Bilder. "Dass wir aus dem Adventskalender etwas hinausnehmen können, mittlerweile gibt es ja alles, von Schnäpsen bis zum Sexspielzeug, dass wir also Süßigkeiten aus dem Adventskalender nehmen können, das ist eine Entwicklung, die kommt erst etwas später auf und hat zunächst gar nichts mit Schokolade zu tun", so Schindler.
Schokolade war damals noch zu teuer und zu selten, als dass man sie massenhaft in Kalender hätte einbringen können. Ein häufiges Motiv zu dieser Zeit waren Christbäume. Auch dazu gibt es in der Sammlung im Nationalmuseum einen typischen Kalender aus der Zeit: einen bedruckten Papierbogen mit einem Christbaummotiv. In den Ästen befinden sich kleine Türchen, dahinter verbergen sich Kugeln, Kerzen oder andere Anhänger. "Die Kinder konnten sich damit also vier Wochen lang vorbereiten, am 24. Dezember dann das mächtige Symbol eines geschmückten Baumes zu sehen", erklärt Schindler.
Adventskalender in der Zeit des NationalsozialismusSpannend wird es auch in den 1940er- und 1950er-Jahren, auch aus dieser Zeit gibt es Beispiele in der Adventskalender-Sammlung des Museums. Die Nationalsozialisten versuchten, das Weihnachtsfest und die Adventszeit für sich zu nutzen und christliche Symbole in den Hintergrund zu drängen. Es habe sogar Adventskalender gegeben, so Schindler, in denen hinter den Türchen Bilder von Waffen oder Runen angeordnet waren. Doch das alles habe sich nicht durchgesetzt - ganz im Gegenteil.
"Mit die ersten Druckerzeugnisse, die die Alliierten nach den Tageszeitungen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zugelassen haben, waren Adventskalender für die Weihnachtszeit." Dr. Thomas Schindler, Adventskalender-ExperteThomas Schindler zeigt ein Exemplar, das direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges gedruckt wurde. Dabei sehr auffällig: Alle aufgedruckten Figuren und Tiere lachen übertrieben fröhlich und alle haben einen betont dicken Bauch. Die Adventskalender sollten zu dieser Zeit wohl nicht nur die Wartezeit bis Weihnachten verkürzen, sondern auch trösten und Mut machen.
Ab den 1950er-Jahren: Lametta und GlitzerAuch die 1950er- und 1960er-Jahre spiegeln sich in den Adventskalendern. Thomas Schindler hält ein Beispiel aus dieser Zeit hoch, das glitzert und funkelt - wie eine Diskokugel. "Das erinnert sehr stark an die Lametta-Kultur in dieser Zeit, das Papier wird mit Silberstaub bestäubt, so dass sie bei Kerzenschein stark reflektieren und einen besonderen Glanz entwickeln."
Dieses Glitzern, Glänzen und Schimmern war für damalige Kinder noch etwas Besonderes und außerhalb der Weihnachtszeit nicht erfahrbar. Das sollte dann auch eine ganz spezifische weihnachtliche Stimmung erzeugen, ähnlich wie das damals beliebte Lametta am Christbaum.
Mittelalterliche Stadtkulissen in Hochhaus-Siedlungen"In den 1960er-Jahren verschwindet dann der Silber-Glimmer wieder, sodass die 1970er-Jahre eine andere Richtung hervorbringen, denn da werden die Adventskalender auf einmal sehr historisch", so Schindler weiter. Man habe zu dieser Zeit dann auf einmal ältere, mittelalterliche Stadtkulissen verwendet, um im Unterschied zur ganz modernen Architektur und zur Wandlung in der Gesellschaft hin zum Automobil und zu den Hochhaus-Siedlungen quasi einen Gegenpol aufzumachen. "Die heile Welt, so wie es früher war. Wie sie natürlich nie war, aber wie man sich das eben vorstellte", sagt Schindler.
Zu diesem Zeitpunkt verbergen sich in den Kalendern dann auch keine Bilder mehr, weiß der Adventskalender-Experte. "Rund um die 1960er-Jahre kommt dann tatsächlich in voller Breite der Adventskalender mit einem Innenleben aus Plastik auf, in dem Schokolade steckt."
Schnaps und Sexspielzeug - Adventskalender für ErwachseneUnd heute? Schindler sagt, dass es zwei wesentliche Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten gab: Zum einen habe sich der Adventskalender vom "Zählmedium zum persönlichen Medium" entwickelt, etwa wenn Kalender selbst gebastelt und nach eigenen Vorstellungen befüllt werden. "Also weg von der industriell erzeugten Massenware hin zu etwas ganz Eigenem, das im Grunde noch einmal einen persönlichen Bezug zur Weihnachtszeit herstellen soll."
Eine weitere Entwicklung zeigt sich laut Schindler seit etwa 20 Jahren: Adventskalender werden auch bei Erwachsenen immer beliebter. Und: sie werden gendertypisch. Beispielsweise wenn Brennereien Schnaps-"Kalender" anbieten.
Schindler beobachtet auch, dass Adventskalender zunehmend zum Geschenk werden, vor allem auch in Partnerschaften. "Da gibt es erotische Kalender mit kleinen Geschenken hinter den Türen, die animieren sollen. So dass beide etwas davon haben. Insofern ist ein sehr großer Trend das Öffnen des Mediums für Erwachsene, das hat kurz nach 2000 eingesetzt."
Doch eines haben alle Adventskalender gemeinsam, ob der "Münchner Adventskalender" anno 1920 mit seinen Einklebe-Bildchen oder ein moderner Kalender mit verstecktem Sexspielzeug: Sie alle dienen noch heute mehr oder weniger als Zählhilfe und sollen die Wartezeit bis Weihnachten verkürzen und verschönern.