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Kinder mit Behinderung: Wie eine Schule "für alle" funktionieren kann

Den "Zirkuswagen der Gefühle" hat Linus am Allerliebsten. Bei dem Computerspiel lernt der Elfjährige, seine Gefühle zu benennen. Linus geht in die Schule "am Himmel" der Caritas. Gemeinsam mit 180 anderen Kindern, davon 29 mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) und 21 mit Herausforderung im Bereich des Autismusspektrums. Linus ist einer jener Schüler, die mehr Betreuung brauchen.

Die Schule "am Himmel" war noch vor zehn Jahren eine Sonderschule für Menschen mit schweren Behinderungen. Genau diese Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung hat zuletzt ein UN-Fachausschuss massiv kritisiert. Dabei hat Österreich schon vor 15 Jahren die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und sich dazu verpflichtet, Menschen nicht wegen einer Behinderung vom Bildungssystem auszuschließen. Gleichzeitig fehlt es an Voraussetzungen, Personal und Bewusstsein in Regelschulen, um Inklusion zu schaffen. Zuletzt berichtete die Kleine Zeitung über Kinder, die am Gang und im Putzkammerl unterrichtet wurden.

In der Schule "am Himmel" scheint das mit der Inklusion mittlerweile zu klappen. 2015 kam der Umbruch von der Sonderschule hin zur Schule für "alle". "Denn Menschen in Sonderschulen erfahren oft kein menschenwürdiges Bild", erklärt Andrea Rieger, Leiterin der Caritas Schule am Himmel. Die gebürtige Steirerin wurde im Jahr 2014 an die Privatschule geholt. Zuvor hat die Caritas beschlossen, die Schule zu öffnen, um eine inklusive Ganztagsschule daraus zu machen.

Wie aus einer Sonderschule eine inklusive Ganztagsschule wurde

Deshalb hat Rieger ein Konzept für eine inklusive Schule vorgelegt, die zeigen soll, wie Inklusion gelingen kann. Damals gab es aber viel Widerstand von Pädagogen und den Eltern der bestehenden Sonderschule.

Rieger konnte die Sorgen verstehen: "Die Angst war, dass Kinder mit Behinderung dort zu Außenseitern werden oder sogar suspendiert, wie sie es auch in ihrer schulischen Vergangenheit an Regelschulen erfahren haben."

Gestartet wurde im kleinen Schulgebäude im Wald, mit einer inklusiven Volksschulklasse und drei kleinen Gruppen mit Menschen mit Behinderung. 2018 wurde dann zusätzlich die Mittelschule eröffnet. Der logische Schluss folgte danach mit dem Schulneubau 2019. Die Schule erhielt einen zweiten Standort am Gelände, einen größeren, für mehr Lernende.

Für Menschen, die das Regelschulsystem gewohnt sind, ist diese Schule etwas Besonderes, auf jeden Fall etwas ganz anderes. Nicht nur wegen ihrer Lage im Naherholungsgebiet im 19. Bezirk "am Himmel".

Keine Schulglocke und individuelle Lernpläne

Sondern auch, weil es keine Schulglocke, feste Stundenpläne oder Sitzplätze gibt. Wenn die Schule morgens um 8:30 beginnt, füllen die Kinder in altersübergreifenden Stammgruppen ihr Lerntagebuch aus. Danach gibt es Lernzeiten, wobei jedes Kind einem individuellen Lernplan folgt.

Lernen die Kinder lieber draußen am Gang, in der Spielecke oder am Boden, dann dürfen sie das. Haben sie keine Lust auf ein bestimmtes Fach, dann können sie auch an einem anderen weiterarbeiten. Die Ziele am Ende ihres Planes müssen aber erreicht werden. Unterstützung erhalten sie von mehreren Pädagogen im Raum.

Eine weitere Besonderheit ist das Buddy System an der Schule. Dabei helfen ältere Schüler den jüngeren, wenn sie Hilfe brauchen. Das ist fix in ihrem Stundenplan integriert. Sind Schüler in einem Fach aber besonders gut, dann haben sie auch die Möglichkeit am Unterricht der Älteren teilzunehmen. „Denn es gibt an einer Schule kaum etwas Schlimmeres, als Kinder, die unterfordert sind", sagt Rieger. Aber wie wirkt sich die Inklusion auf die Leistung aus?

Die schulische Leistung und Sozialkompetenz

Laut Rieger ist vor allem die Sozialkompetenz eine sehr hohe an der Schule. "Aber auch die kognitive Leistung ist sehr hoch bei uns. Deshalb machen wir auch gerne bei nationalen Tests mit und schneiden dort wirklich gut ab", so die Leiterin.

Noten gibt es zwar, weil sie laut Gesetz vergeben werden müssen, im persönlichen Kompetenzprofil sind sie aber nicht zu finden. Im Gegensatz zur Mittelschule dort wollte die Mehrheit der Schüler Noten. "Auch Schularbeiten sehen die Schüler nicht negativ, weil sie mit der Zeit einen Ehrgeiz entwickeln und zeigen wollen, was sie können", erklärt Rieger.

Eine große Pause für alle

Serwer ist einer von Linus Pädagogen und seit acht Jahren an der Schule: „Für mich ist die Schule nicht nur Arbeit. Ich freue mich hierherzukommen, denn von den Kindern bekommt man viel Liebe und Freude." Gleichzeitig findet er es schade, dass Geld hier ein Thema ist. Denn eine Privatschule könne sich nicht jeder leisten. Pro Monat zahlen die Eltern maximal 560 Euro für das Schulgeld, die Nachmittagsbetreuung und den Essensbeitrag.

Die Kantine und Nachmittagsbetreuung

Um 13.15 Uhr ist die Schule dann zu Ende und auf die Kinder wartet Mittagessen aus der hauseigenen Kantine, die von Magdas betrieben wird. Magdas ist eine Tochterfirma der Caritas und will "berufliche Perspektiven für Menschen schaffen, die bei anderen Arbeitgebern keine Chance erhalten". Veronika ist fast neun Jahre alt und am besten gefällt ihr an ihrer Schule der Ausblick. "Das Essen finde ich aber schrecklich, Mama kocht viel besser", sagt sie.

Um 14 Uhr starten dann die Ateliers. So wird die Nachmittagsbetreuung in der Schule am Himmel genannt. Dort werden Aktivitäten angeboten, die nicht nur die Schüler, sondern auch die Pädagogen mögen. Zum Beispiel Yoga, Programmieren oder ein Ausflug ins Grüne. Linus würde am liebsten Trampolin springen, wenn er sich aber viel anstrengt wird ihm schlecht. "Das darf ich nicht. Aber ich freue mich für die anderen, die dürfen", sagt der Elfjährige.

Warum gibt es nicht mehr inklusive Schulen?

Laut Bildungsministerium werden von den 29.850 Schülern mit SPF 36,4 Prozent in Sonderschulen unterrichtet. "Ich bin mir sicher, viele Schulen würden gerne inklusive Beschulung anbieten, können das aber nicht, da vor allem am Nachmittag Kapazitäten an Raum und Personal fehlen. Hier sind wir wieder beim Thema Finanzen angelangt", sagt Rieger. Den Mangel an Personal und eine unzureichende Ausbildung kritisiert auch der UN-Fachausschuss. Verschärft werde das Problem durch eine Zunahme an Verwaltungsaufgaben, erzählen die Pädagogen der Schule.

Das Ziel von Andrea Rieger war und ist, eine Gesellschaft mitzugestalten, in der Diskussionen über Inklusion obsolet werden. Auch an der Schule am Himmel arbeitet man an Verbesserungen, weshalb die Schule auf eigenen Wunsch von der Universität Wien evaluiert wird. „Mit diesen Ergebnissen arbeiten wir dann an den nächsten Schritten hin zu einer inklusiven Gesellschaft", so Rieger.

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