Mariam Noori und Lisa Maria Hagen begleiteten für ihren Film „Die Heimkehr" einen Rückkehrer und die Schwester eines IS-Kämpfers. Sie erzählen, was sie daraus gelernt haben.
Interview von Sandra Belschner
Meral suchte lange ihren Bruder, der IS-Kämpfer wurde und nicht zurückkehrte. Oliver währenddessen kehrte freiwillig aus dem IS zurück.
Teile diesen Beitrag mit Anderen:
Die Journalistinnen Mariam Noori und Lisa Maria Hagen begleiteten für ihren Dokumentarfilm „Die Heimkehr" Meral und Oliver. Meral ist auf der Suche nach ihrem Bruder, der sich dem IS („Islamischer Staat") in Syrien angeschlossen hat und seitdem nicht zurückgekehrt ist. Oliver dagegen ist zurückgekehrt und saß für seine Taten im Gefängnis. Seitdem versucht er seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Ein Gespräch mit den Filmemacherinnen über die herausfordernde Recherche und die Frage, wie wir mit Rückkehrern umgehen sollen.
Mariam: Als wir damals in die Themen Extremismus und Islamischer Staat eingestiegen sind, wurde bereits viel dazu berichtet. Aber wir wollten einen intensiveren Einblick in das Thema bekommen. Wir wollten wirklich verstehen, was für Menschen dahinter stecken.
Lisa: Wir wollten einen Film, der sich mit der Radikalisierung von Jugendlichen beschäftigt, und dabei nicht nur das Leben der Angehörigen zeigen. Sondern klar zeigen, dass es ein Thema ist, was uns alle angeht. Oliver ist schließlich nicht der einzige, der zurückkam.
„Wir haben beide oft davon geträumt, dass Merals Bruder doch noch nach Hause kommt"
Mariam: Zum einen war es schwierig Meral in diesem Suchprozess zu begleiten, weil wir uns bis zum Ende des Films nicht sicher waren, ob wir ihren Bruder finden werden. Das wollten wir aber unbedingt, um den Film abschließen zu können. Zum anderen fand ich es sehr schwierig, den IS-Rückkehrer Oliver einzuschätzen. Ich habe mich immer gefragt: Inwieweit können wir seinen Aussagen trauen? Deswegen haben wir uns auch Olivers Akte zukommen lassen - 800 Seiten, die wir gegengecheckt haben. Am Ende mussten wir auf unser Gefühl und den Rechtsstaat vertrauen.
Lisa: Das ist nichts, was dich nur zwei oder drei Monate beschäftigt. Gerade Merals Situation hat uns auch selber sehr aufgewühlt. Wir wussten ja selbst nicht, ob der Bruder noch lebt. Wir haben auch beide oft davon geträumt, dass er doch noch nach Hause kommt.
Dieses Bild zeigt den IS-Rückkehrer Oliver am Tag seiner Verhaftung.
Oliver hält inzwischen regelmäßig Vorträge in Schulen, um über den IS aufzuklären.
Mariam: In meiner Rolle als Journalistin war ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite muss man zu dem Protagonisten eine Vertrauensbasis aufbauen, um überhaupt mit ihm arbeiten zu können. Auf der anderen Seite muss man der Objektivität gerecht werden.
Lisa: Das erste Mal, als wir ihn trafen, dachten wir, gingen wir einen Kaffee trinken, ohne Kamera, um ihn kennenzulernen. Dann saßen wir sieben Stunden im Café. Ich dachte die ganze Zeit: Da sitzt jemand, der witzelt ein bisschen rum, erzählt über alles Mögliche und kann sich eloquent ausdrücken - und dann hatte ich gleichzeitig im Hinterkopf: Der war beim IS. Der war Teil dieses Terrorregimes und damit mitverantwortlich für diese widerlichen Taten.
„Nur wenn wir uns bemühen, die Perspektiven der Rückkehrer zu verstehen, wird ein harmonisches Zusammenleben funktionieren"
„Besonders einprägsam war der Moment, in dem Meral erfuhr, dass ihr Bruder tot ist"
Lisa: Besonders einprägsam war für mich der Moment, in dem Meral die Sicherheit bekam, dass ihr Bruder tot ist. Da fühlt man sich komisch in der Rolle als Journalistin, wenn die Kameras laufen und gerade jemand erfährt, dass der eigene Bruder im Krieg gefallen ist.
Mariam: Am meisten hat mich der Moment geprägt, als ich Oliver kennengelernt habe. Er wirkte sehr klug und reflektiert und passte gar nicht in diese „typische IS-Schublade". Ich musste zurücktreten von den Bildern, die ich von IS-Anhängern im Kopf hatte.
Merals Bruder Ferhat und Oliver posieren zusammen mit anderen IS-Anhängern für ein Gruppenfoto.
Mehr zu Terror und Radikalisierung: