Um die sechs Milliarden Euro sollen durch diese Reform in den nächsten drei Jahren im italienischen Bildungsetat eingespart werden. Die Studenten organisierten sich deswegen und besetzen Bahnhöfe und die Dächer der Universitäten. In Turin wurde die Autobahn für vier Stunden gesperrt, in Bologna der Hauptbahnhof.
Am Abend des 30. November wurde vor der zweiten Senatskammer das Gesetz verabschiedet, die Senatsentscheidung steht allerdings noch aus. Diese sollte am 9.
Dezember statt finden, durch die von Regierungschef Berlusconi gestellte Vertrauensfrage
verschiebt sich die endgültige Entscheidung nun hinter den 14. Dezember. Für die
Studentenvereinigungen ist das ein erster Sieg.
Gewalt gegen Studenten
Luca Rossi* studiert an der Universität Mailand Politikwissenschaften. Er erzählt gegenüber
ZEITjUNG mit trauriger Stimme, dass bei einer spontanen Demonstration am 25.
November auf dem Corteo Universitario in Mailand die Studenten daran gehindert wurden,
die Universität oder die Eingänge zur U-Bahn zu betreten. Ohne Grund hätten die Polizisten
auf einmal auf die Studenten eingeschlagen, mit der Konsequenz, dass nun sechs
Kommilitonen verletzt im Krankenhaus lägen.
Der Gesetzesentwurf von Bildungsministerin Mariastella Gelmini und Finanzminister Giulio
Tremonti sieht eine Reform zur Verbesserung der Auswahlkriterien von Professoren vor.
Hier soll mehr Transparenz herrschen, denn gerade in Süditalien werden diese Stellen gerne
über Beziehungen vergeben. Nicht selten ist ein Dekan der Onkel eines
Universitätsassistenten oder einfach der Freund eines Freundes.
Transparenz oder Verhinderung von Karrieren?
Die Studenten argumentieren, dass diese so genannte Transparenz nur dafür sorge, dass
Universitätsassistenten noch länger mit befristeten Arbeitsverträgen auf Professorenstellen
warten müssten. Nach der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise komme nun noch die
Unsicherheit im Job dazu. Es gäbe eine ganze Anzahl an Assistenten, die mit 35 Jahren damit rechnen müssten, niemals Professor zu werden und unterrichten zu dürfen: ein
karrieristisches Fiasko.
Während die Ministerin Gelmini argumentiert, dass der Gesetzesentwurf die Interessen der
Studenten und das Recht auf das Studium in den Mittelpunkt stelle, sagen die
Studentenverbände, dass dies nur die „Vetternwirtschaft“ begünstige. Der Artikel 34, der
italienischen Verfassung sei von Anfang an nicht entsprechend umgesetzt worden. Er besagt,
dass die Schule allen Italienern offen stehe und kostenlos sei, aber auch, dass der italienische Staat dies mit Stipendien und Beihilfen für Familien unterstütze.
Kaum Stipendien
Doch gerade einmal 1,66 Prozent der Mailänder Studenten werden mit einem Stipendium
unterstützt, das dann größtenteils für die Miete aufgebracht werden muss – schwarz
natürlich. Ein weiterer wunder Punkt ist das bereits im letzten Jahr eingeführte „Brunetta-
Gesetz“, das besagt, dass im Krankheitsfall von etwa zehn Tagen bis zu 30 Prozent des
Gehaltes gekürzt werden dürfen. Das „Brunetta-Gesetz“ betrifft nicht nur Lehrer, sondern
auch alle anderen Staatsangestellten.
Paola Bragaglio, seit fünf Jahren Lehrerin am Technischen Gymnasium in Gardone, in der
Provinz Brescia, sagt sogar, dass dies „verfassungswidrig“ sei. Sie hat im täglichen Leben mit
überfüllten Klassen, verlängerten Unterrichtsstunden und einem Rektor, der sich zwischen
zwei Schulen zerreißen muss, zu kämpfen: „Die Reform ist im Grunde genommen nichts
anderes als eine Einsparung von Arbeitsplätzen, bei gleichzeitiger Verarmung der Schulen.
Manche Schulen haben noch nicht einmal ausreichend Geld für Toilettenpapier!“.
Während die staatlichen Universitäten kaum aus ihren mageren Kassen schöpfen können,
werden die Mittel für Privatschulen von 145 auf 230 Millionen erhöht. „Eine Schande für die
Demokratie“, so die Lehrerin Bragaglio.
Gehälter unter dem Niveau Sloweniens
Und es gibt noch einen weiteren Streitpunkt, der ganz konkret etwas mit Geld zu tun hat: das
Einkommen der Lehrer und Dozenten. Paola Bragaglio verdient nach insgesamt zehn Jahren
im Staatsdienst gerade einmal 1800 Euro brutto. Allgemein liege die Höhe des Einkommens
unter dem Niveau Sloweniens, wie die renommierte spanische Tageszeitung „El Pais"
berichtete.
Marica Manisera, Universitätsassistentin an der Universität Brescia, verdient seit fünf Jahren
im Amt gerade einmal 1500 Euro. In drei Jahren kann sie sich dann das erste Mal auf eine
Professorenstelle bewerben. Sie unterrichtet Statistik im Fakultätsbereich der
Wirtschaftswissenschaften. Auch sie blickt ihrer Zukunft sorgenvoll entgegen: „Die
Reformen sind ein Angriff auf die Sicherheit der Arbeitsplätze und die Autonomie der
Universitäten!“
Die Situation könnte sich jedoch demnächst ändern. Am 14.Dezember stellt die Regierung
Berlusconi die Vertrauensfrage, womit auch das Gelmini-Gesetz fallen könnte. Für viele
Studenten ein reizvoller Gedanke.
* Name von der Redaktion geändert.