NOIZZ durfte die britische Sängerin auf ihrem Roadtrip in Deutschland begleiten. Und dabei haben wir mit Millie Turner über Fashion, Nachhaltigkeit und Jungsein gesprochen.
Das Leben als aufstrebender Jungkünstler muss eine stressige, rastlose Angelegenheit sein. Immer auf Achse. Zu keinem anderen Schluss kann man kommen, wenn man sich versucht mit Millie Turner zu treffen. Unsere Verabredung bei ihrem Zwischenstopp in Berlin musste spontan immer wieder verschoben und umgelegt werden, dann wollten wir uns in Potsdam treffen, dann kam doch noch eine Radiosession dazwischen, schließlich erwische sie am Ende dann doch "on the road", wie sie selbst sagt, auf den Weg nach Hamburg.
Millies leichten Cockney-Einschlag, diesen melodisch britischen Akzent, hört man immer wieder raus, wenn sie mit einem spricht und entschuldigt sich gleich dafür – obwohl es sie eigentlich nur sympathischer macht. Die 18-jährige Singer-Sogwriterin aus dem Londoner Stadtteil Hackney gehört zu den heißesten Acts für 2020, ihre Single "January" wurde zum Ohrwurm des Jahreswechsel in ein neues Jahrzehnt.
Electro oder Pop? Millie will sich nicht festlegen
Eigentlich ziemlich passend, denn die chillig-grovige Dancenummer mit einem leichten Popeinschlag verkörpert für sie den etwas komischen Schwebezustand, den man bei allen Neuanfängen eben so verspürt. "In dem Song geht es, wie der Name schon sagt, um den Januar", witzelt sie. "Nein, mal im Ernst: Für mich ist das ein Monat, der sowohl Veränderung als auch Wachstum bedeutet. Der Song fängt für mich aber auch den Frust ein, den ich deswegen habe."
Denn in unserer Gesellschaft würden diese beiden Dinge manchmal wie etwas wirken, das man einfach so erwerben könne. "So nachdem Motto: 'Oh, du kannst Mitglied im Fitnessstudio werden und schon bist du die perfekte Person.' Das ist so verrückt!", erklärt sie mir. Sie wollte das Jahr mit einem etwas anderen Vibe einläuten – mit einem etwas realistischeren Song. "Menschen machen eben Fehler. Wir sollten und nicht immer selbst so krass kritisieren", findet sie.
Ihre Songs zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Manche Songs wie das aufregende "The Shadow" klingen wie eine Clubhymne, pulsierende Dance-Hymnen, während die Gitarrennummer "Eyes On You" eher so klingen, wie ein Sonntagnachmittag, den man am liebsten den ganzen Tag unter der Bettdecke verbringen würde. "Meine Musik hat irgendwie von allem etwas", stellt sie lapidar fest und ergänzt: "Ich mag keine Schubladen."
"Ich glaube, meine Songs reflektieren immer bestimmte Momente in meinem Leben. Ich will einfach die riesige Fülle an Gefühlen die man haben kann, einfangen." Sie wolle nicht in einer Nische stecken bleiben. Das zeigt sich auch in ihren musikalischen Vorbildern, zu denen Künstlerinnen wie Björk, Kate Bush, Lorde und Lily Allen zählen." Ein sehr eklektischer Mix, ich weiß – aber ich finde, hinter allen steht ein starker Charakter. So unterschiedlich sie auch sind, sie alle wissen ganz genau wer sie sind. Das will ich auch als Künstlerin erreichen."
Wie es der Zufall so will ...
Als ich sie frage, wann sie denn wirklich gemerkt habe, dass Musik ihr Ding sei, fällt es ihr zunächst schwer, eine Antwort darauf zu finden. Nach etwas Grübeln und mehreren "Uffs" antwortet sie schließlich: "Mit Fünf habe ich angefangen, Klavier zu spielen, aber mit dem Singen habe ich erst so richtig angefangen, als ich 16 war." Das war auch eher ein Zufallsprodukt. "Ich war einfach am Klavier und habe ein bisschen gesungen. Alle waren sehr erstaunt und meinten so – 'Oh ich wusste gar nicht, dass du auch singen kannst'." Mit Familienfreund David Turley ging sie ins Studio, nahm sich die Gitarre und schrieb mit ihm ihren ersten eigene Song "Underwater".
Das war genau einen Tag nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten am 9. November 2016. Die Zeilen "We are young, we are afraid, but we are free" schrieb sich mit diesem Gefühl von Frust ganz von alleine. Als Protestsängerin würde sie sich trotzdem nicht bezeichnen: "Ich würde nicht sagen, dass wir den Song als großes politisches Statement geschrieben haben. Es war eher der Ausgangspunkt, wie der Song entstanden ist – war das Ventil, um dieses Gefühl ausdrücken zu können."
Seitdem sie Musik macht, versucht sie nur das einzufangen, was sie auch bewege und etwas in ihr auslöst. Dass sie als junge Künstlerin dabei ernst genommen wird, ist für sie extrem wichtig: "Ich glaube, da ist einiges in Bewegung im Moment. In meinem Alter gibt es viele Künstler, die nicht nur Songs über Herzschmerz, Liebe und Trennungen schreiben wollen, sondern mehr zu sagen haben."
Auch wenn sie versuche, Negativität auszuschließen, merke sie jedoch, dass manche Menschen auch Vorurteile haben. Etwa, dass man ein bestimmtes Alter und damit auch eine gewisse Lebenserfahrungen haben müsse, um wirklich gute Songs schreiben zu können. "Natürlich ist das irgendwie irrational. Es sollte um die Kunst an sich gehen, nicht um das Alter.“
Hauptsache machen
Neben der Musik gehören auch Tanzen, malen, sogar Bildhauen zu ihren Leidenschaften. Millie gestaltet ihre Cover selbst, konzipiert ihre Videos und kümmert sich um ihre Outfits. "Ich bin schnell gelangweilt, wenn ich mich auf eine Sache festlege und immer nur das Gleiche machen würde", sagt sie. Für sie ist Kunst, egal in welcher Form, auch ein Ausdruck von Selbstverwirklichung. " Ich glaube, ich könnte nicht auskommen ohne all diese Formen von Kreativität. Sie bedingen sich für mich untereinander, ohne sie wäre ich unvollständig", erklärt sie mir leidenschaftlich. Im Studio oder auf der Bühne zu sein, sei genauso befreiend, wie etwas anderes zu gestalten.
Insbesondere der hohe Druck, immer angesagt zu sein würden sie nachdenklich machen. "Mir sind auch Menschenrechte und Nachhaltigkeit sehr wichtig, das lässt sich nicht so einfach mit Mode verbinden. Es gibt da viele Dinge, die ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, so wie sie jetzt gerade zu einem Großteil in der Fashion-Industrie ablaufen", sagt Millie. In der Musik könne sie Themen viel direkter ansprechen. Auch wenn das mit der Nachhaltigkeit natürlich auch da schwer umzusetzen ist.
"All die Flüge rund um die Welt! Ich glaube, man muss ein Gefühl dafür kriegen, was man tun kann. Du bist immerhin noch derjenige, der die Entscheidungen innerhalb deines eigenen Netzwerkes trifft. Ich kann mir aussuchen, wie ich reise und wer mich unterstützt. Das versuche ich schon irgendwie umzusetzen", sagt sie. Im März geht sie mit der schwedischen Popsängerin Tove Lo auf Europa-Tour und auch hier versuche sie eher mit dem Zug oder dem Auto unterwegs zu sein, als zu fliegen. "Wenn wir alle das tun, was wir können, ist das auch schon ein Riesenschritt", sagt sie.