Deutsche Serien haben einen schlechten Ruf. Sie gelten als düster, konstruiert, haben meistens was mit Nazis oder der DDR-Vergangenheit zu tun, und die deutschen Darsteller können den internationalen Kollegen in Sachen Glamour und Charisma nur selten das Wasser reichen. Dass solche Vorurteile längst der Vergangenheit angehören, haben Serien wie " Dark", "Beat", " 4 Blocks" , " Babylon Berlin" und "how to sell drugs online (fast)" nicht nur dem deutschen Publikum, sondern weltweit bewiesen.
Endlich sind wir also auch hierzulande auf den Geschmack cooler Serien gekommen. Umso gespannter, war man auf den Start von " Wir sind die Welle". Immerhin hat der Streamingdienst Netflix sich mit den Serienmachern Jan Berger und Dennis Gansel quasi den deutschen Lieblingsstoff ins Boot geholt: Faschismus. Denn die sechsteilige Serie basiert lose auf den Roman "Die Welle" von 1981, in denen ein US-Lehrer seinen Schülern in einem Experiment vorführt, wie schnell man zum Rassisten und Faschisten werden kann - kehrt den Stoff aber um und zeigt, dass Radikalismus, egal in welcher ideologischen Verpackung, eigentlich immer eine miese Idee ist.
Dass die Serie nicht krampfhaft einen auf belehrender Moral-Apostel macht, ist auch den Darstellern zu verdanken. Die Welle-Clique, fünf ganz unterschiedliche Jugendcharaktere, könnten genauso gut auch in deinem oder meinem Freundeskreis auftauchen. Als ich Luise Befort (spielt Lea), Ludwig Simon (Tristan), Mohamed Issa (Rahim) und Michelle Barthel (Zazie) in Berlin zum Interview treffe, sind sie alle ganz schön K.o. von ihrem Promo-Marathon.
Als ich in meiner ersten Interviewfrage aber Daniel Friedl, der in der Serie die Rolle von Hagen übernimmt, vergesse, schicken sie erst einmal einen kollektiven Freundschaftsgruß durch mein Aufnahmegerät - als sei mein Handy in einer Telefonkonferenz mit ihm verbunden und er könne alles direkt hören.
Spätestens da wird mir klar: Die Serie hat die Schauspieler zusammengeschweißt, sie sind Freunde geworden. Wenn man mit ihnen über Rechtsextremismus, Nachhaltigkeit und über die "Fridays For Future"-Bewegung redet, hat man jeden Moment das Gefühl, dass sie genau nachvollziehen können, wieso die Clique in "Wir sind die Welle" so wütend ist. Denn auch privat beschäftigen sie die Themen, die in der Serie angesprochen werden, sehr wie sie mir im Gespräch verraten.
Hier gibt es den Trailer zur Netflix-Serie
NOIZZ: Musstet ihr den Roman "Die Welle" von Morten Rhue eigentlich auch in der Schule lesen?
Luise Befort: Ich habe ihn in der Schule nicht gelesen, aber ich habe den Film dazu gesehen.
Mohamed Issa: Ja, bei mir auch. Wir haben nur den Film dazu in der Schule geschaut.
Wie habt ihr denn den Film oder den Roman wahrgenommen? Was war euer Eindruck?
Ludwig Simon: Ich fand den Film mit Jürgen Vogel als Lehrer einfach wahnsinnig stark inszeniert. Ich war von vorne bis hinten voll dabei und habe mitgefiebert, was mit den Figuren passiert. Die waren für mich total echt und greifbar, und ich hatte in keinem Moment Gedanken wie: "Oh, wow, der spielt das aber gut" - sie waren keine Schauspieler für mich, es wirkte alles sehr nah. Ich dachte eher: "Oh nein, was passiert jetzt?" Oder: "Nein, tu das nicht."
Michelle Barthel: Wir haben im Deutschunterricht sowohl den Roman als auch den Film "Die Welle" behandelt. Bei uns gab es damals eine Diskussion darüber, ob es jemals wieder möglich sein könnte, dass Personen des öffentlichen Lebens wieder diese Art von Bühne bekommen könnten und ihre rassistischen Parolen einfach so verbreiten. Die eine Hälfte der Klasse war der Meinung: "Nein, in Deutschland können wir uns das nie wieder vorstellen - aufgrund unserer Geschichte sind wir alle aufgeklärt und brauchen keine Angst mehr haben." Die andere Hälfte meinte: "Doch, wir müssen uns immer wieder neu erinnern und uns immer wieder für eine offene Gesellschaft einsetzten." Heute würde diese Frage ganz sicher ein anderes Stimmungsbild erzeugen. Es ist ganz klar, dass diese Strömungen zurückkommen können. Es ist erschreckend, dass sich das so stark verändert hat, innerhalb kürzester Zeit. Das macht mir Angst.
Luise Befort: Ich glaube, sowohl der Film als auch unsere Serie "Wir sind die Welle" zeigen gut, wie stark eine Gruppendynamik sein kann - wie schnell man da reinkommen kann und auch, wie schwer es tatsächlich sein kann, da wieder raus zu kommen. Genauso, wie wichtig es ist, immer wieder zu hinterfragen: "Kann ich das mit meinen Werten noch vertreten, was ich hier tue?" Wenn wir merken, jemand wird ausgegrenzt, müssen wir uns klar positionieren und sie beziehungsweise ihn integrieren, an die Hand nehmen - uns für ein Miteinander einsetzen.
Luise Befort: Es ist wichtig, genau solche Geschichten zu erzählen. Ich glaube, jedem ist der Film "Die Welle" ein Begriff. Als wir in der Produktion waren und es bekannt war, dass es eine Serie mit diesem Titel geben wird, wurden wir oft darauf angesprochen, ob das was mit dem Film zu tun habe.
Michelle Barthel: Uns wurde häufig die Frage gestellt: "Wer ist der Lehrer?" Und dann mussten wir immer sagen: "Wir haben zwar Lehrer, aber es gibt nicht DEN Lehrer." Die Macher der Serie haben sich an der Frage orientiert: "Wenn die Welle heute passieren würde, von was würde sie erzählen?" Durch eine so große Jugendbewegung wie "Fridays For Future" braucht es gar keinen Lehrer mehr, der das politische Interesse der Schüler wecken muss. Deswegen haben wir auch eine Thematik gewählt, die viel mehr in die heutige Zeit passt.
Luise Befort: Als das Projekt noch in den Startlöchern war, war "Fridays For Future" auch noch nicht so groß, wie es heute ist. Es ist spannend, zu sehen, wie sich das entwickelt hat. Dennis ist in die Schulen gegangen, hat mit den Jugendlichen gesprochen und sich gefragt "Was beschäftigt die jungen Leute jetzt gerade?" Es ist wichtig, dass junge Leute unterstützt werden, ihnen zugehört wird und sie auch ernst genommen werden.
Ist es euch teilweise schwer gefallen, sich mit euren Rollen zu identifizieren? Sie vertreten schon alle ziemlich klar ihre Position ...
Michelle Barthel: Ich musste mir für meine Rolle die Haare abrasieren. Als ich das gelesen habe, habe ich natürlich geschluckt und dann aber "Ja, ja, alles kein Problem" gesagt. In dem Moment, in dem ich den Rasierapparat in meiner Hand hatte und wirklich meine Haare abrasieren musste, da ist mir echt das Herz in die Hose gerutscht! Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich mich im Spiegel wiedererkannt habe. Aber für mich war das auch ein Riesen-Geschenk – sich für eine Rolle so stark optisch zu verändern. Mir wurde durch diese Erfahrung sehr bewusst, dass mein Aussehen nur eine Fassade ist – dahinter bin immer noch ich. Ob ich jetzt kurze oder lange Haare habe, ist doch egal. Das war wirklich ein tolles Erlebnis, für das ich sehr dankbar bin.
War es für euch anderen auch so krass?
Mohamed Issa: Es war leicht für mich – es kam mir so vor, als würde ich Rahim kennen, als würde er in meiner Straße wohnen. Ich konnte nachvollziehen, wie er sich fühlt. Trotzdem habe ich versucht, der Rolle noch etwas Eigenes von mir mitzugeben, damit sie mit Leben und einer Seele gefüllt wird. Der Zuschauer sollte nicht denken, dass ich ihm irgendwas vorspiele, sondern merken, das ist Rahim, der da mit Mohammed zusammen drinsteckt. Das klingt jetzt creepy, aber irgendwie ist es schon so.
Ludwig Simon: Bei Tristan hat man ganz klar seine Motivation gesehen. Man wusste von Anfang an genau, wieso er das macht und warum er seine Ziele unbedingt durchziehen will. Deswegen war es für mich sehr spannend, wie es sich im Dreh entwickelt. Wenn man es liest, ist es ja das eine, aber beim Dreh ist es noch mal was vollkommen Anderes. Das war ein Wahnsinnsding, das wir alle gerockt haben.
Luise Befort: Ich teile viele Werte mit Lea. Ich finde es bewundernswert, mit welcher Konsequenz sie für ihre Werte einsteht und kämpft. Vor allem, weil sie aus einem gut behüteten und beschütztem Elternhaus kommt und damit auch Einiges aufgibt. Sie möchte eben nicht mehr weggucken und gleichgültig alles hinnehmen.
Ist euch bei den Dreharbeiten etwas Krasses in Erinnerung geblieben?
Mohamed Issa: Ja, ich habe eine echt krasse Geschichte. Kurz bevor wir die Schlachthof-Szene gedreht haben, war ich in Köln unterwegs. Vor einem McDonald's standen acht Leute im Kreis, hatten Anonymus-Masken auf mit Schildern gegen Massentierhaltung. Sie hatten Fernseher in der Hand, auf denen Schlachtszenen zu sehen waren, jeder von ihnen. Dort sah man, wie Schweine und Küken in der Masse getötet werden. Es war wirklich eins zu eins wie in unserem Drehbuch. Ich habe mich mit ihnen unterhalten über die Serie und auch mitprotestiert. Es war ein echter Zufall, aber so nah dran an unserer Serie!
Michelle Barthel: Ja, man muss auch bedenken, dass die Serie seit zwei Jahren entwickelt wurde und vieles davon so noch gar nicht aktuell war, als das Drehbuch geschrieben wurde. Wir sind jetzt so nah am Puls der Zeit, das hat uns immer wieder sehr überrascht.
In der Serie sind alle fünf ja sehr stark involviert in ihrem Engagement und stehen voll hinter der "Welle" – wie sieht es bei euch im Privaten aus? Engagiert ihr euch da auch für bestimmte Themen?
Luise Befort: Ich bin seit fast drei Jahren vegan und beschäftige mich viel mit dem Thema. Am Anfang war es vor allem aus moralischen Gründen und inzwischen noch überzeugter auch für unsere Umwelt und den Klimaschutz. Massentierhaltung ist einer der Hauptfaktoren unserer CO2-Emmissionen, was vielen nicht bewusst ist. Es ist wichtig, sich Fragen zu stellen wie: Was sind das für Produkte, die ich konsumiere, wo und wie wurden sie produziert? Das können wir beispielsweise aktiv tun, um zu schauen, welchen ökologischen Fußabdruck wir hinterlassen.
Hast du dann auch Tipps, worauf man achten kann?
Luise Befort: Für mich bedeutet das zum Beispiel: Ich gehe zum Wochenmarkt und kaufe da mein Obst und Gemüse. Das ist saisonal und regional. Wenn man einmal anfängt, sich damit zu beschäftigen, dann breitet sich das auch auf andere Lebensbereiche aus. Serien wie diese können eine Plattform für einen Austausch bieten, und das finde ich wichtig und gut.
Ist für den Rest von euch Nachhaltigkeit auch ein Thema, das euch am Herzen liegt?
Ludwig Simon: Ich habe mich intensiver mit dem Thema Landwirtschaft beschäftigt, nachdem ich auf Netflix die Doku "Cowspiracy" gesehen habe. Da habe ich gemerkt, dass vieles auch einfach mit dem Massenkonsum zu tun hat. Wir werden immer mehr Menschen und wollen eine immer größere Auswahl haben. So viel, dass das die Welt wahrscheinlich bald nicht mehr stemmen kann. Ich habe Workshops besucht, um mehr über Permakultur zu lernen. Ich kann jetzt in einen Garten kommen und dir sagen, das und das wächst mit dem und dem am besten. Dafür braucht man gar nicht viel, man muss der Natur gar nicht viel wegnehmen oder hinzufügen, man schafft einfach nur andere Bedingungen. Das ist so ein bisschen mein Beitrag für die Zukunft.
Michelle Barthel: Ich setze mich für "Schule ohne Rassismus, Schule für Courage" als Patin für ein Mädchengymnasium ein. Dort gehen wir mit Aktionen in die Öffentlichkeit, in Fußgängerzonen und zeigen so Präsenz. Gerade der aktuelle Rechtsruck in der Gesellschaft beschäftigt mich sehr – ich finde es wichtig, dass wir immer wieder darüber reden, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen und dass wir uns für ein multikulturelles Zusammenleben einsetzen. Das finde ich auch so cool an unserer Serie: Wir sprechen viele unterschiedliche Themen an. Es geht um Naturschutz, Tierschutz, Waffenhandel, Rassismus, Sexismus, Gentrifizierung – das alles sind gerade aktuelle Themen, über die wir sprechen müssen.
Ist da nicht auch besonders die Politik gefragt?
Michelle Barthel: Politiker stehen viel zu oft vor uns und sagen dann: "Das hier ist die Lösung!" Aber im Endeffekt weiß es keiner. Dabei wäre es gerade so wichtig, ehrlich und aufrichtig zu sein, um in eine Diskussion zu kommen und auch unterschiedliche Perspektiven zuzulassen. Das muss eine Demokratie auch aushalten können. Es geht schließlich um unsere gemeinsame Zukunft!