Ihr Lied über die Suche nach den eigenen Wurzeln wurde zum unerwarteten Hit. Zwei Jahre später folgt nun das Debüt von Alice Merton. Über eine Karriere, die in Mannheim am Straßenrand begann.
Manchmal beginnen große Geschichten an einer Bushaltestelle in Mannheim. So wie die von Paul Grauwinkel und Alice Merton. Damals, das war 2013, studierten beide an der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. Und niemand ahnte, dass die zwei, die da auf den Bus warten, in wenigen Jahren einen riesigen Charterfolg landen würden.
Der Song heißt „No Roots" und veränderte alles für die 25-Jährige und ihren mittlerweile besten Freund mit dem sie das Label „Paper Plane Records" betreibt. Wenn man Alice Merton trifft, wirkt sie nicht, als sei sie Teil der schillernden Musikindustrie. In Kuschelsocken sitzt sie auf dem Sofa und manchmal schimmert ihr britisch-kanadischer Akzent durch, wenn sie Deutsch spricht.
„Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal hier laden", singt Merton in dem Song „2 Kids" mit dem sie ihre Freundschaft zu Grauwinkel zum Ausdruck bringt. „Ich schreibe nur Songs über Menschen, die mir wirklich viel bedeuten. Wir waren einfach immer für einander da." Um Reisen und Aufnahmesessions in Berlin zu finanzieren, machten die beiden alle möglichen Nebenjobs wie Teller waschen oder Pasta kochen.
Unerwarteter Hit: "No Roots" von Alice Merton
Als sie die ersten Demos aufgenommen hatten, darunter auch „No Roots", machten sie sich auf die Suche nach einem Label. „Jeder hat uns gesagt, das wird nicht funktionieren, wenn wir das so veröffentlichen", erinnert sie sich. Ihr wurde vorgeschlagen, andere Produzenten zu benutzen, es weniger rockig klingen zu lassen. „No Roots" war etwas anders als der Einheitspopbrei á la „Despacito". Und Merton wollte nichts an ihrem Song ändern: „Ich möchte selber mitentscheiden können und niemand soll mir etwas vorsetzen."
Also probierte sie es im Alleingang und gründete kurzerhand mit Grauwinkel ein Plattenlabel. „Es war eine Mischung aus Notlösung und Trotz", beschreibt sie die Entscheidung. Es habe ihr einfach gereicht, warten zu müssen und abhängig von anderen zu sein. Und sie hatte Erfolg. Allein auf Youtube wurde „No Roots" inzwischen mehr als 150 Millionen Mal gespielt.
Aber was macht man, wenn man einen Riesenhit hatte und alle glauben, es geht so weiter? Genau darin lag das Problem beim Einspielen ihres Debütalbums „Mint" - denn nur Hits am Stück wollte Merton nie produzieren. Mit dieser Attitüde spielt sie in ihren neuen Songs. Die erste Single aus dem Album, „Why So Serious", ist die wohl poppigste Nummer - und kokettiert mit der hohen Erwartungshaltung.
Ob sie heute denke, sie habe es allen gezeigt? „Manchmal", sagt sie und lacht dabei. „Es gab einen Moment, da haben alle Plattenfirmen angerufen: ‚Oh wollen wir nicht noch einmal sprechen?' Ganz plötzlich änderten sie ihre Meinung." Im Grunde ist ihr Debüt eine einzige, riesige Antwort drauf.
Genauso wie die sprichwörtliche Suche nach den eigenen Wurzeln, die Merton schon unendliche Male geduldig in Interviews beantworten musste. Sie hat die Sängerin in den vergangenen drei Jahren nicht losgelassen. Das merkt man auch musikalisch. Jeder Song treibt durch verschiedene Genre-Referenzen, mal rockig, mal mit elektronisch-poppigen Anklängen, mal eine Ballade, aber immer mit voller Wucht.
Die Arbeit an „MINT" zog sich dementsprechend lang. 2016 erschien ihre erste Single, drei Jahre später folgt die Platte. Eine verdammt lange Zeit im schnelllebigen Popbusiness. Das liegt auch daran, dass Merton eine Perfektionistin ist, oder wie sie es selber nennt, ein „Dickschädel": „Manchmal hat uns eine Produktion super gut gefallen. Zwei Monate später, wenn ich von der Tour wieder zurück war, habe ich gemerkt: Nee, doch nicht... Und so ging das immer hin und her."
Die vergangenen Jahre bedeuten für sie trotz siebenfach Platinauszeichnung, mehr als 300 Millionen Streams, Echo und Nummer-Eins in mehreren Ländern weltweit, sich als Künstlerin zu etablieren und zu definieren. „Ich hatte niemals gedacht, dass ‚No Roots' ein Hit wird. Ich habe auch nie erwartet, dass es in anderen Ländern viel gespielt wird", sagt Merton fast ehrfürchtig. (...)
Den vollständigen Text findet Ihr unterm Originallink.