Schulessen, Klassenfahrten oder Nachhilfeunterricht sind für viele Kinder Alltag. Doch es gibt auch Eltern, die das nicht bezahlen können. Weil sie arbeitslos sind oder so wenig verdienen, dass sie auf Sozialleistungen wie Hartz IV angewiesen sind. In der Werkrealschule Sandhausen betrifft dies einen großen Teil der Schüler, wie Schulleiterin Christa Ernst berichtet.
An der kleinen Schule geht es persönlich zu, hier bemüht man sich um jedes Kind. Für Schüler mit besonderem Förderbedarf hatte Michael Nitka ein Angebot für gezielte Nachhilfe aufgebaut. Jahrelang bot der Schulbegleiter an vier Nachmittagen die Woche von 14 bis 15.30 Uhr einer Gruppe von zehn bis 16 Kindern kostengünstig Lernförderung an. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Schule sieht sich nicht mehr in der Lage, das Angebot aufrecht zu erhalten, und hat die Lernförderung mit Beginn der Faschingsferien eingestellt.
Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit mit dem Jobcenter Rhein-Neckar, das über die Anträge der Eltern auf Lernförderung zu entscheiden hat. "Die Anträge werden schon länger mehrheitlich grundlos ablehnend beschieden", ärgert sich die Schulleiterin. Das Angebot der Schule, mit dem Jobcenter die Fälle zu besprechen, sei nicht angenommen worden. Aus ihrer Sicht ist für die Entscheidung, ob ein Kind Nachhilfe benötigt, die Einschätzung der Pädagogen entscheidend, nicht die von Verwaltungsangestellten. "Da heißt es, die Mittel für Bildung und Teilhabe würden nicht abgerufen - wir bemühen uns seit vier Jahren inständig darum."
Zuletzt sei von acht Anträgen nur einer genehmigt worden. Damit sei nun klar, dass das Angebot auch für die "Selbstzahler" der Gruppe nicht mehr aufrechterhalten werden könne.
Die Vorwürfe der Schulleiterin bezeichnet Norbert Hölscher, Geschäftsführer des Jobcenters Rhein-Neckar-Kreis, als haltlos. "Das ist komplett nichts Neues für uns", betont er. Seit vier bis fünf Jahren gebe es einen regen Schriftverkehr mit dem Förderverein der Werkrealschule, dessen Vorsitzende Schulleiterin Ernst sei. Außerdem habe sie alle Abgeordneten im Wahlkreis angeschrieben. Auch das Staatliche Schulamt Mannheim sei involviert. Die Beschwerden kämen nur von dieser Schule, sagt Hölscher und betont: "Wir halten uns an die kommunale Richtlinie. Als Jobcenter sind wir an Recht und Gesetz gebunden."
Tatsächlich regelt Paragraf 28, Absatz 5 des Sozialgesetzbuchs (SGB) II den Zugang: "Bei Schülerinnen und Schülern wird eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen." Die Auslegung dessen, was als angemessen und wesentlich gelten kann, ist Sache des kommunalen Trägers. Der Rhein-Neckar-Kreis orientiert sich dabei an einer Richtlinie des Landes Baden-Württemberg. Demnach ist das wesentliche Lernziel die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise das Erreichen des Abschlusses.
Ernst reicht das nicht. Sie hat ein Mädchen in der 9. Klasse, eine schwache Schülerin. Mit "Ausreichend" im Abschlusszeugnis bekomme sie keinen Ausbildungsplatz, sagt die Pädagogin. Viele ihrer Schüler kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. "Wenn es die Kinder nicht schaffen, aus diesem Teufelskreis herauszukommen, zahlt der Staat ihr Leben lang", sagt Ernst. Ihr Anliegen sei einzig und allein, dass die Schülerinnen und Schüler eine Chance und eine Zukunft haben.
Möglicherweise gibt es aber doch noch Hoffnung für eine Fortsetzung. Denn im gerade vom Bundestag beschlossenen "Starke-Familien-Gesetz" wird der erwähnte Absatz 5 ergänzt durch die Klarstellung: "Auf eine bestehende Versetzungsgefährdung kommt es dabei nicht an." In der Begründung dazu heißt es: "Bei der Lernförderung hat sich gezeigt, dass das Instrument bei der Anwendung teilweise sehr restriktiv gehandhabt worden ist. Es ist deshalb erforderlich, durch Klarstellungen auf eine sachgerechte und auskömmliche Zumessung der Lernförderung hinzuwirken."
Sabine Hebbelmann