1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Doktor Ballouz - Der Mann, der im ZDF den "Bergdoktor" ablöst

Der Landarzt ist Oldtimerfan. Mit seinem Trabbi besucht der Doktor seine Patienten. (Foto: Rolf Kremming/Imago images)

"Schau mal, da ist die Arterie und da ist die Vene. Und jetzt einmal tief einatmen bitte", sagt Doktor Amin Ballouz zu seinem Patienten. Der junge Mann sitzt auf einer Liege. Sein Unterschenkel wird gerade von dem Doktor per Ultraschall untersucht. Es besteht der Verdacht auf Thrombose. Auf einem Computer lassen sich pulsierende, verschwommene Gefäße erkennen. "Also, das ist keine Thrombose, sondern du hast nur einen schlechten Blutdurchfluss." "Und was machen wir da jetzt?", fragt seine Freundin. "Macht mal ein EKG, und dann sprechen wir wieder", sagt der Doktor und flitzt aus dem Raum. Im Empfangsraum warten schon die nächsten Patienten. Ein Tag vor Ostern ist viel los in der Praxis von Doktor Amin Ballouz. Der 63-Jährige läuft von einem Behandlungsraum zum nächsten, zwischendurch unterschreibt er Rezepte, die ihm seine beiden Arzthelferinnen in die Hand drücken, während im Hintergrund permanent das Telefon klingelt.


Die Praxis von Doktor Amin Ballouz liegt in Schwedt an der Oder in der Uckermark, in der Nähe der Grenze zu Polen. Gut 30 000 Einwohner. In der Gegend ist der Landarzt allseits bekannt, spätestens seit Ballouz von dem Journalisten Jasper Fabian Wenzel in "Deutschland draußen: Das Leben des Dr. Amin Ballouz" porträtiert wurde. Das Sachbuch diente als Vorlage für die ZDF-Serie Doktor Ballouz, einige biografische Details sind verändert. Und Ballouz selbst spielt selbst auch gar nicht mit, den Part übernimmt Merab Ninidze. Die erste Folge läuft am Donnerstag. In der Serie wird aus dem Landarzt Ballouz ein Chirurg und Chefarzt eines Krankenhauses in der Uckermark. Seine Frau ist gerade gestorben. Um sich abzulenken, stürzt der Arzt sich in die Arbeit. Es ist eine klassische deutsche Arztserie, die eine heile Krankenhauswelt mit einfühlsamen Ärzten abbildet. Die Uckermark wirkt dabei mit ihren Seen, alten Bauernhöfen und bunten Wäldern und Feldern wie eine Idylle.


Ballouz fährt Trabbi und sagt, er würde die Uckermark nie verlassen

Dr. Ballouz ist in der Serie der Wohlfühlarzt, der seinen Patienten mit viel Charme und Humor begegnet und mit seinem hellblauen Trabbi durch die Gegend fährt. Das immerhin haben der fiktive und der reale Dr. Ballouz gemein, genau wie ihren Migrationshintergrund. Ballouz kommt aus dem Libanon und floh in den Siebzigerjahren als Teenager nach Deutschland. Heute fährt auch der wahre Ballouz als Einziger in der Region mit einem cremefarbenen Trabbi durch die Gegend. Mit all dem Guten ist die Serie eine Integrationserfolgsgeschichte für ein Fernsehpublikum, das auf dem Sendeplatz den weißen Bergdoktor gewohnt war. Es ist schön, dass solche Geschichten mittlerweile auch für das breite Publikum erzählt werden, die Geschichte des wahren Doktor Ballouz ist jedoch ein gutes Stück interessanter und auch drastischer.


Vergangenes Jahr wurde sein Haus angezündet, ihm wurden auch schon tote Katzen in den Garten geworfen, sein Haus mit Steinen beworfen, und vor Kurzem hat jemand die Schrauben an seinem Trabbi gelockert. Der Reifen flog auf der Landstraße davon, der Doktor blieb unverletzt. Manchmal kommen Rechtsradikale auch zu ihm zur Behandlung, dann versprechen sie Ballouz, dass sie ihren Kollegen sagen, ihn in Ruhe zu lassen. "Das ist die andere Seite der Uckermark. Die Guten überwiegen aber. Und mit denen habe ich am meisten zu tun", sagt der Arzt. Das ist auch der Grund, warum er die Uckermark nie verlassen würde. "Ich habe hier mein Zuhause gefunden."


An der Wand in der Praxis in Schwedt hängen überall Bilder. Darunter ist ein Holzschnitt mit dem Titel "Lachende Vergangenheit - Weinende Zukunft". Der Doktor hat ihn selbst gefertigt. Kunst spielte für ihn schon immer eine große Rolle. "Mit dem Holz lässt sich die Traurigkeit wegschnitzen", sagt er. Vor seiner Ausbildung zum Arzt wollte Ballouz Künstler werden. 1975 war seine erste Ausstellung geplant, Ballouz war damals sechzehn Jahre alt. Die Bilder hingen schon in einem Gebäude, Tage später wurde es von Bomben zerstört, als der libanesische Bürgerkrieg ausbrach. Die Bilder sah er nie wieder. Der Holzschnitt zeigt die Verzweiflung nach dem Ausbruch des Kriegs: eine Familie sitzt am Boden, die Gesichter schauen ins Leere, es ist kein Haus, keine Natur zu sehen, nur schwarzer Hintergrund. Die Situation in Libanon brachte Ballouz noch im selben Jahr dazu, über das damals kommunistische Syrien in die DDR zu fliehen. In Halle an der Saale studierte er Medizin. Später machte er seine Facharztausbildung in Aachen und Düsseldorf, lebte in Schottland und England, bevor er 2010 in den Osten Deutschlands zurückkehrte.


Er fühlt sich den alten Leuten verbunden, die nach dem Krieg herkamen

"Ich fühle mich sehr verbunden mit den Leuten hier. Die sprechen die gleiche Sprache wie ich", sagt der 63-Jährige. Er trägt eine grau-grün karierte Anzughose, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte. Er sitzt an seinem Schreibtisch. Selten sieht man ihn richtig still sitzen, auch im Gespräch ist seine Hand auf der Maus oder der Tastatur, er wirkt rastlos, immer auf Trab. Der Schreibtisch ist voller Unterlagen, im Hintergrund stehen Familienfotos, kleine Miniaturtrabbis, ein silberner Pokal für eine "Oldtimer Ehrenausfahrt" und Bücher auf einem Regal. Die Aussicht aus seinem Fenster geht auf einen Plattenbau.


"Bombenhagel, Tote, Verletzte, Hunger, Armut - die Menschen hier haben dasselbe erlebt wie ich", sagt er. Damit meint er vor allem die ältere Bevölkerung in der Uckermark, deren Familien nach dem Krieg nach Westen in die Uckermark vertrieben worden sind. So teilt der Doktor mit vielen seiner älteren Patienten ein ähnliches Schicksal, auch er hat in jungen Jahren seine Heimat verloren. Ihm sei seine Jugend zerstört worden, sagt er heute. Seine Familie wurde zerrissen, seine Eltern blieben vorerst im Land, seine Geschwister gingen nach Italien, Belgien und Großbritannien. Desto größer ist seine Empathie für die Geflüchteten, die vor sechs Jahren aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland kamen. "Das hat mich ein wenig retraumatisiert", sagt Ballouz. Auch in der Uckermark gibt es eine Flüchtlingsunterkunft, der Doktor ist ein wichtiger Ansprechpartner für die Geflüchteten, weil er dieselbe Sprache spricht und ihnen so bei bürokratischen Hürden helfen kann. Ballouz kennt das Land der Syrer, er hat dort Abitur gemacht, bevor er nach Deutschland kam. Heute ist er selbst mit einer syrischen Frau zusammen und hat zwei Kinder mit ihr.

Viel Raum für gesellschaftspolitische Fragen ist nicht, Ballouz findet das aber nicht so schlimm

In der Praxis in Schwedt ist die ZDF-Serie in aller Munde, viele Patientinnen und Patienten sprechen den Doktor auf die Verfilmung an. In der Innenstadt hängen Werbeplakate. "Ich finde das toll, dass die Lebensgeschichte von Herrn Ballouz aufgegriffen wird. Und ich finde es auch gut, dass mal eine Serie über die Uckermark entsteht", sagt ein Patient. So soll die Serie wohl auch mit ostdeutschen Klischees aufräumen, die Landschaft ist alles andere als trist und grau, die Menschen herzlich, so die Botschaft. Da ist laut Ballouz sehr viel Wahres dran, aber die Uckermark ist auch eine strukturschwache Region, die mit Überalterung und Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Das wird am Rande in der Serie thematisiert, viel Raum für gesellschaftspolitischen Fragen ist aber nicht. Zu viele unangenehme Themen können in einer Wohlfühlfernsehserie nicht behandelt werden.

Dass seine Vorgeschichte und die Probleme der Region nur verkürzt in der Serie dargestellt werden, sieht Ballouz auch, findet es aber nicht schlimm. "Es ist auf die glänzende Seite der Uckermark fokussiert. Aber das ist sehr gut gelungen." Auch findet Ballouz, dass die Serie ja nicht den Anspruch hatte, seine Biografie exakt zu kopieren. Für ihn ist es ein Zeichen der Integration, dass überhaupt eine Geschichte über einen Arzt mit Migrationshintergrund erzählt wird. In seinem Bauernhaus hat der Doktor extra einen Fernseher installiert, damit seine Frau und er die Serie sehen können. "Ich hatte noch nie einen Fernseher in meinem Leben", sagt er lachend.


Mittlerweile wurden alle Patienten in der Praxis versorgt, jetzt steht noch ein Hausbesuch in Wichmannsdorf an, der Ort ist fast 70 Kilometer entfernt. "Die Leute freuen sich immer, wenn ich vorbeikomme und mit ihnen plaudere", sagt Ballouz in seinem Trabbi, der laut vor sich hin brummt. Die Hausbesuche sind Teil seines Alltags, in manchen Häusern hat der Doktor sogar seine eigenen Pantoffeln. Draußen ziehen weite Felder, dichte Wälder und alte Bauernhäuser vorbei. Immer wieder winkt der ein oder andere dem Doktor aus dem Auto oder vom Spazierweg zu, der Doktor hupt mit seinem Trabbi zurück. An dem Arzt mit Herz ist auch in der Realität was dran.

Zum Original