Ruth Herberg

Redakteurin Politik, Frankfurt

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Artikel

Wie der Aufstieg der Populisten die Gesellschaft herausfordert

Der Populismus profitiert davon, dass Menschen auf die schnelle Lösung hoffen. Die Gesellschaft muss lernen, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen.

Populismus vergiftet die politischen Debatten in Deutschland und überall auf der Welt. Die Wissenschaft sieht im Populismus ein Symptom für die Krise der Demokratie, nicht die Ursache. Inzwischen gibt es einen Konsens, wie Populismus bekämpft werden kann

Als Donald Trump am 20. Januar 2017 das Amt des US-Präsidenten übernimmt, macht er in seiner Antrittsrede unmissverständlich klar, worum es ihm geht: „Wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück". Zu lange habe eine kleine Gruppe in der Hauptstadt von der Regierung profitiert, und das Volk habe die Kosten getragen. „Worauf es wirklich ankommt, ist nicht, welche Partei unsere Regierung führt, sondern ob unsere Regierung vom Volk geführt wird."

Mit diesen Aussagen steht Trump in einer Reihe mit vielen anderen Regierungschefs und Präsidenten, die in der jüngeren Vergangenheit an die Macht gekommen sind. Narendra Modi in Indien gehört ebenso dazu wie Andrés Manuel López Obrador in Mexiko oder der Brasilianer Jair Bolsonaro. Sie mögen zu den bekanntesten populistischen Politikern gehören, aber sie sind bei Weitem nicht die einzigen. Das zeigt eine breit angelegte Untersuchung des britischen „Guardian" zusammen mit dem wissenschaftlichen Netzwerk „Team Populism" und anderen Politologen aus dem vergangenen Jahr. Sie analysierten Reden und öffentliche Aussagen von fast 140 Politikerinnen und Politikern aus 40 Ländern und fanden heraus: Die Zahl der Populistinnen und Populisten in Regierungsverantwortung hat sich seit Anfang des Jahrtausends fast verdoppelt.

Populismus ist der Kampf „Wir" gegen „die"

Zwar seien drei Viertel der Untersuchten - darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel - als „nicht populistisch" einzustufen. Doch besonders in den vergangenen fünf Jahren seien in vielen Ländern Populisten an die Macht gekommen: etwa in Ost- und Mitteleuropa und mit den USA, Indien, Brasilien und Mexiko auch in Ländern, die zu den bevölkerungsreichsten der Erde gehören.

Den Ergebnissen der Analyse liegt der Populismus-Begriff zugrunde, wie ihn Cas Mudde von der University of Georgia definiert. Mudde ist einer der führenden Politikwissenschaftler auf diesem Gebiet und bezeichnet Populismus als „dünne Ideologie", ein einfaches Konzept also, das die Gesellschaft in zwei sich gegenüber stehende Lager teilt: die gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürgern, die ihrer Souveränität als Volk beraubt wurden, und eine schädliche, korrupte Elite. Ziel ist es demnach, dass der vermeintliche Volkswille wieder die Politik bestimmen soll. Populismus ist so auch ein strategischer Ansatz, der in der Regel mit linken oder rechten Ideologien kombiniert wird und Politik als Kampf zwischen diesen beiden Gruppen definiert: „Wir" gegen „die".

Populismus ist nicht Ursache sondern Symptom der Demokratie in der Krise

Weil Populismus scheinbar einfache Antworten auch auf komplexe Fragen gibt, oft Dystopien an die Wand malt, ohne selbst Lösungen anzubieten, ist er im allgemeinen Sprachgebrauch meist negativ konnotiert. In der Wissenschaft gibt es jedoch Stimmen, die im Populismus nicht ausschließlich Schlechtes erkennen. Zum Beispiel Paula Diehl, die an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur lehrt und seit Jahren zum Thema forscht. Sie versteht Populismus nicht nur als „Verstärker einer kriselnden Demokratie", sondern auch als deren Symptom.

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„In Momenten, in denen populistische Tendenzen aufkommen, sehen wir, dass etwas nicht stimmt", sagt sie. Etwas Populismus sei gut, zu viel davon schlecht. Genau das ist, bezogen auf rechte Ideologien, ihrer Ansicht nach derzeit allerdings der Fall. „Mich stört an dieser Entwicklung weniger der Populismus an sich als die Tatsache, dass die Abnahme von Komplexität und Vielfalt im politischen Diskurs durch Rechtspopulismus begleitet wird von antidemokratischen Ideen." Denn im Rechtspopulismus werde Populismus mit rechtsextremistischen Ideen und Vorstellungen kombiniert.

"Das allgemeine politische Klima in Deutschland wird populistischer", so Wissenschaftler

Tatsächlich zeigen mehrere große Untersuchungen der vergangenen Jahre, dass nicht nur populistische Tendenzen im Allgemeinen zugenommen haben, sondern auch rechtspopulistische im Besonderen. Eine weitere „Guardian"-Studie, betreut von zahlreichen Politologen in mehreren Ländern, zeigt beispielsweise, dass populistische Parteien in Europa ihre Wählerstimmen innerhalb der vergangenen 20 Jahre im Schnitt mehr als verdreifacht haben, auf gut 25 Prozent im Jahr 2018. Zwar konnte auch das linke Lager zunehmend Erfolge verbuchen, etwa Podemos in Spanien oder „La France Insoumise" in Frankreich. Der größte Anteil des Stimmenzuwachses fiel aber Rechtspopulisten zu, die ihre Ergebnisse fast vervierfacht haben.

„2018 war das beste Jahr für populistische Parteien in Europa", resümiert gar das Timbro-Institut, ein marktliberaler Thinktank aus Schweden, in seiner jährlichen Studie zu dem Thema. Populistische Parteien seien längst keine Herausforderer oder Newcomer mehr; „sie sind jetzt etablierte Teile des Parteiensystems". Da überrascht es nicht, dass das zwischenstaatliche Demokratie-Institut Idea die Anzahl populistischer Parteien in Regierungsverantwortung für das Jahr 2018 weltweit auf 26 bezifferte - so viele wie noch nie, mehr als die Hälfte davon in Europa, der Rest in Asien sowie Nord- und Südamerika.

Auch hierzulande treten populistische Tendenzen verstärkt zu Tage. Das zeigen nicht zuletzt Befragungen der Bürgerinnen und Bürger. Eine der umfassendsten repräsentativen Untersuchungen zu diesem Thema ist das Populismusbarometer der Bertelsmann-Stiftung, das zuletzt 2018 erschienen ist. „Das allgemeine politische Klima in Deutschland wird populistischer", fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Nicht nur der Umfang populistischer Einstellungen nehme zu, sondern auch deren Intensität.

Populismus mit einem „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen" entgegen treten

Basierend auf Zustimmung oder Ablehnung der Teilnehmenden bestimmter Aussagen, machten die Autoren „mehr als drei von 10 Wahlberechtigten" aus, die populistisch eingestellt sind - etwa vier Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig habe sich der Anteil explizit unpopulistischer Wähler um gut elf Prozent verringert. Diese Entwicklung zeige sich besonders bei Menschen, die sich selbst in der politischen Mitte verorten.

Einer, der sich dem entgegenstellt, ist Klaus-Peter Hufer. Er ist Politik- und Erziehungswissenschaftler, außerplanmäßiger Professor an der Universität Duisburg-Essen und hat vor einigen Jahren das „ Argumentationstraining gegen Stammtischparolen" entwickelt. Hufer kennt die Zahlen der Bertelsmann-Studie, wonach rund 30 Prozent der Wahlberechtigtenpopulistisch eingestellt sind. „Das sind zunächst einmal relativ viele Menschen", sagt er. „Aber das heißt auch, dass 70 Prozent der Menschen anders denken." Diese Menschen will er mit seinem Training erreichen. „Mit dem Begriff Stammtischparolen verbindet eigentlich jeder etwas", sagt Hufer, und nennt als Beispiel „zugespitzte, polarisierende, diskriminierende Schwarz-Weiß-Äußerungen, die artikulierter Populismus sind".

Die Gründe für zunehmenden Populismus sind komplex und vielfältig

Dabei will er Stammtischparolen nicht nur als Kneipensprüche verstanden wissen, sondern als Aussagen, die häufig auch im Kollegenkreis oder bei Familienfeiern fielen. Solche Äußerungen tragen die Teilnehmenden in Hufers Seminaren zunächst zusammen, bevor sie sich in Rollenspielen mit ihnen auseinandersetzen - um zu wissen, wie sie im Ernstfall darauf reagieren und die eigene Position auch gegen Widerstände vertreten können. Etwa 25 Trainerinnen und Trainer bieten Hufers Seminar mittlerweile an, neben Deutschland auch in Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Kurse in Frankreich, Italien und der Türkei sollen bald dazu kommen.

Die Gründe für die zunehmenden populistischen Tendenzen sind so komplex wie vielfältig, oft werden ein allgemeines Gefühl der Krise und Verunsicherung bei den Bürgerinnen und Bürgern genannt. Politikwissenschaftlerin Paula Diehl hat drei konkrete Faktoren ausgemacht, die dazu führen, dass repräsentative Demokratien kriseln und populistische Parteien an Zulauf gewinnen. Erstens: Die Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten funktioniert nicht mehr, etwa weil sie unterschiedliche Erfahrungen machen oder über unterschiedliche Dinge reden. Zweitens: Die Parteien scheinen nicht mehr in der Lage, zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Regierung vermitteln zu können. Und drittens: Die Ungleichheit zwischen verschiedenen Gruppen wird zu groß. In Europa hätten selbst sozialdemokratische Parteien in den vergangenen Jahren eine gewisse neoliberale Ordnung akzeptiert oder sogar durchgesetzt, sagt Diehl. „Diese drei Gründe kommen gerade geballt auf uns zu, da verwundert es nicht, dass als Reaktion darauf populistische Tendenzen zunehmen."

„Die Gesellschaft befindet sich seit einigen Jahren in einem heftigen Erregungszustand"

Für Frank Richter ist all das nicht neu. Der Theologe und DDR-Bürgerrechtler ist als Parteiloser für die SPD Abgeordneter im Sächsischen Landtag, dürfte den meisten aber vor allem in seiner einstigen Funktion als Leiter der Zentrale für politische Bildung in Sachsen bekannt sein. Damals, Mitte des vergangenen Jahrzehnts, versuchte er die zu diesem Zeitpunkt in Dresden erstarkende rechtspopulistische Pegida-Bewegung zum Dialog zu bewegen und wollte den Verantwortlichen sogar Räume der Landeszentrale für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellen. Das brachte ihm viel Kritik ein und den Ruf als „ Pegida-Versteher " - für manche ein Lob, für andere die Beschreibung des Problems.

„Die Gesellschaft befindet sich seit einigen Jahren in einem heftigen Erregungszustand", sagt Richter. „Das hat viele Ursachen, es haben sich schlicht viele Probleme aufgehäuft." Speziell der Osten Deutschlands habe eine besondere Problemlage: Die Region habe nach 1989 in vielerlei Hinsicht gewonnen, aber auch Verluste erlitten, etwa die massive Abwanderung von jungen Menschen gen Westen oder den Verlust der Eigenstaatlichkeit und damit einhergehend von Sinn und Orientierung. „Die Verlustseite ist lange übersehen worden", sagt Richter, auch die Fragen nach Identität und Heimat. Alles zusammen sei geeignet, „Wut und Empörungsschübe auszulösen, die leider im Erfolg populistischer Bewegungen und Parteien gemündet sind." Dazu kämen - nicht nur im Osten Deutschlands - Herausforderungen wie die weltweite Migration, die Klimaerwärmung oder ganz aktuell die Corona-Krise. „Das sind Belastungen für die Gesellschaft." Und die Resilienz, die eine Gesellschaft brauche, um solche Erschütterungen auszuhalten, sei im Osten besonders schwach ausgeprägt.

Von den zunehmenden populistischen Tendenzen profitieren nach den Ergebnissen der Bertelsmann-Studie, wenig überraschend, vor allem die politischen Ränder „und mit Abstand am stärksten die AfD". Sie nutze ihren Populismus als aktive Mobilisierungsstrategie in der politischen Mitte: Rechte Wähler wählten AfD, weil sie weit rechts stehe, „in der Mitte wird die AfD dagegen vor allem von populistisch eingestellten Menschen gewählt". Gleiches gelte abgeschwächt auch für die Linkspartei.

CSU lernte im Kampf gegen Populisten: „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken"

Die Union leidet nach den Angaben der Bertelsmann-Autoren besonders darunter, etwas weniger stark auch die FDP. „Beide Parteien riskieren durch mehr Populismus ihren unpopulistischen Markenkern. Beide haben in der unpopulistischen Mitte mehr zu verlieren als bei populistischen Wählern zu gewinnen", schreiben sie.

Das musste vor knapp zwei Jahren auch die CSU schmerzlich erfahren. Vor der Landtagswahl 2018 arbeiteten sich die Christsozialen zu großen Teilen an AfD-Themen wie Flucht und Migration ab, in der Hoffnung, so die „Flanke nach rechts" zu schließen und stramm konservative Wähler nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Dass das nach hinten losging, gestand CSU-Generalsekretär Markus Blume erst kürzlich im Interview mit der „Zeit" ein: „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken." Erfolgreich sei erst der harte Abgrenzungskurs zur AfD gewesen, den Parteichef Markus Söder in der Schlussphase des Landtagswahlkampfs einläutete. „Du musst auf der hellen Seite stehen, brauchst einen klaren Kurs der bürgerlichen Mitte", resümiert Blume.

In Sachsen ist die AfD im vergangenen Herbst zum zweiten Mal in Folge in den Landtag eingezogen, zuletzt sogar als zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Auch dort beobachtet Frank Richter als SPD-Abgeordneter, dass „der populistische Protest maßgeblich dazu beitragen hat, nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern auch den politischen Diskurs zu vergiften." Nicht alle Fragen, die seitens der AfD in den parlamentarischen Prozess eingespeist werden, seien dumm oder falsch. „Ganz im Gegenteil", sagt Richter, „viele haben Substanz." Aber sie würden populistisch aufgeblasen, meistens im „Kampfmodus" vorgetragen, ihnen fehle die Nachdenklichkeit. „Die Attitüde des Nationalistischen, der Abwehr von Flüchtlingen und eine herablassende Haltung anderen Kulturen gegenüber fehlt fast nie."

Populismus verschiebt das Sagbare in einer demokratischen Öffentlichkeit

Auch inhaltlich schlägt sich der wachsende Populismus nieder, insbesondere der rechte. Politikwissenschaftlerin Diehl nennt das die „Verschiebung des Sagbaren" in einer demokratischen Öffentlichkeit. Positionen, die früher verurteilt wurden, sind zunehmend salonfähig. Diese Verschiebung gehe im Moment in eine anti-demokratische Richtung. „Daran schließt sich eine zweite Verschiebung an, nämlich bei Projekten für die Zukunft und der Frage, was angegangen werden muss und was machbar ist", sagt Diehl. Schließlich findet eine dritte Verschiebung statt, nämlich bei der konkreten politischen Gestaltung in Form von Gesetzen. „Und so weit sind wir schon, wir haben uns damit arrangiert", sagt Diehl und nennt als Beispiel das Migrationspaket aus dem vergangenen Jahr, das mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz" unter anderem die Abschiebung Geflüchteter vereinfachen und beschleunigen soll. „Diese Gesetze sind gemacht worden unter dem Druck einer wachsenden Zahl an Menschen, die Rechtspopulisten wählen."

Diese „Normalisierung von antidemokratischen Ideologien" habe man schon in Österreich beobachtet: Positionen des rechten Lagers, die in der Öffentlichkeit bis dato nicht vertretbar waren, etwa weil sie gegen Menschenrechte verstießen, seien von der rechtspopulistischen FPÖ in angepasster Form ausgesprochen worden. „Das waren zum Beispiel antimuslimische oder ausländerfeindliche Positionen, die in der Öffentlichkeit zirkulierten und an die man sich langsam gewöhnte, wie eine Untersuchung gezeigt hat." Konkurrierende Parteien hätten einen Teil dieser Ideen übernommen „und am Ende sehen wir die in abgewandelter Form als Gesetz", sagt Diehl. „Die Positionen werden milder, dringen aber umso tiefer in den politischen Gestaltungsprozess ein." Diehl schreibt dem Populismus hier eine Art „Brückenfunktion" zu.

Gegen den Populismus muss die Gesellschaft lernen, Andersdenkende einzubinden

In der Frage, wie die Gesellschaft, aber auch jede und jeder Einzelne mit den erstarkenden populistischen Tendenzen umgehen sollte, scheint sich bei vielen Wissenschaftlerinnen und Praktikern mittlerweile ein Konsens durchzusetzen: auf Andersdenkende zugehen und den Dialog suchen; sich die Gründe für ihre Positionen anhören und inhaltlich von ihnen abgrenzen; aber dennoch sachlich mit ihnen umgehen - auch wenn das nicht immer einfach ist. „Die Demokratie basiert auf der Integration aller", sagt Frank Richter. „Wir können nicht einzelne Gruppen ausschließen, weil sie uns nicht gefallen." Trotzdem beobachtet er, dass viele Menschen immer weniger willens oder in der Lage seien, andere Perspektiven einzunehmen, Empathie zu entwickeln und Dissens auszuhalten.

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Auch vor diesem Hintergrund hat David Lanius, von Haus aus Philosoph und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Technologie, gemeinsam mit einer Kollegin vor etwa dreieinhalb Jahren das „ Forum für Streitkultur" gegründet. Ende 2016, als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde und das Votum für den Brexit noch nicht lange her war, hatte Lanius das Gefühl, sich konstruktiv in die gesellschaftliche Debatte einschalten zu müssen. „Da wir Philosophen uns vor allem mit Argumenten beschäftigen und im positiven Sinne ganz viel miteinander streiten, war etwas in der Richtung naheliegend", sagt Lanius. Während es bei Klaus-Peter Hufers Training gegen Stammtischparolen vor allem um die inhaltliche Auseinandersetzung mit populistischen Aussagen geht, steht beim Forum für Streitkultur also die Frage im Mittelpunkt, wie gute Gesprächsführung geht - vor allem mit Menschen, die andere Positionen vertreten als man selbst.

Gegen den Populismus hilft, der Meinung von Andersdenkenden mit Wohlwollen zu begegnen

In den Seminaren, die von NGOs, Stiftungen oder Organisationen der politischen Bildung angefragt werden, steht das Diskutieren im Vordergrund. „Als Maxime in Zwiegesprächen sollte immer gelten, dass man den anderen so wohlwollend wie möglich interpretiert." Dieses Wohlwollen sei wichtig, weil das Gespräch nur dann irgendwo hinführe, sagt Lanius.

Dass viele Menschen scheinbar nicht wüssten, wie sie richtig Gespräche führen, liegt Lanius zufolge daran, dass das nie nötig war. „Wir mussten bis jetzt einfach nicht so viel streiten." Plötzlich sei jetzt aber die Fähigkeit gefragt, sich mit anders Denkenden auseinander zu setzen, „und wir merken: Das können wir gar nicht so gut", glaubt Lanius, ist jedoch gleichzeitig überzeugt, dass „wir alle Voraussetzungen haben, um besser und konstruktiver zu streiten."

Im Kampf gegen den Populismus herrscht Skepsis und gedämpfter Optimismus

Auch Klaus-Peter Hufer stimmen die Erfahrungen aus seinen Seminaren „gedämpft optimistisch", wie er sagt. Dennoch hat er eine Gefahr ausgemacht: „Wenn wir weiterhin zulassen, dass wir in entgrenzten Verhältnissen leben - nicht räumlich, sondern in dem Zusammenhang, dass politische Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar sind und der Eindruckt entsteht, es werde Klientelpolitik gemacht -, dann sehe ich schon die Gefahr, dass das Bedürfnis nach einfachen Antworten weiter wächst."

Populismus-Forscherin Diehl ist überzeugt davon, dass es neue Visionen und Umgestaltungsprojekte braucht. Die Corona-Krise biete dafür eine Chance: „Es tut sich jetzt die Möglichkeit auf, Korrekturen und neue Ideen jenseits der globalen neoliberalen Ordnung anzubieten", sagt sie. Letztendlich komme es darauf an, ob Politikerinnen, Politiker und Zivilgesellschaft in der Lage sind, solche Alternativen zu formulieren. „Würden wir uns etwas mehr trauen und Ideen zur Korrektur unseres Systems diskutieren, könnte das die Chance sein, den Rechtspopulismus-Trend zu durchbrechen."

Das könnte auch ein Weg für die US-Demokraten sein, um im November Donald Trump aus dem Amt zu drängen. Nur gegen ihn zu sein, wird nicht reichen. Sonst macht Trump das wahr, was er seinen Anhängern beim Amtsantritt 2017 versprochen hat: gemeinsam den Kurs Amerikas und der Welt für „viele, viele Jahre lang" zu bestimmen. (Von Ruth Herberg)

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