Auf der hellgrünen Tür des Geschäfts, das angeblich Familien zerstört, klebt ein "Don't worry, be happy"-Sticker. Ein Mann mit Turban betritt den Verkaufsraum, drückt dem Besitzer wortlos einen Zehneuroschein in die Hand, bekommt ebenso wortlos einen der prall gefüllten Säcke gereicht, die sich hinter dem Tresen stapeln, und ist schon wieder draußen.
Aus dem grauen Sack purzeln Dutzende hellbraune Kapseln - sie sehen aus wie etwas, das man bei einem Herbstspaziergang einsammelt. Wegen dieser Kapseln hat Sukhbir Singh dem Geschäft mit der hellgrünen Tür den Kampf angesagt. Er habe schon mehrmals die Behörden informiert, erzählt der korpulente Mann mit dem dichten schwarzen Bart, dem festen Blick und dem dunklen Turban, doch niemand unternehme etwas.
Sukhbir Singh ist nicht einfach ein Querulant, der gegen getrocknete Pflanzenteile kämpft. Die hellbraunen Kapseln sind Mohnkapseln, aus ihnen lässt sich ein opiathaltiger Tee zubereiten; "O-Tee" heißt er in der Szenesprache. Selbst in Drogenforen im Internet wird vor diesem Sud gewarnt: "Dieses Zeug hat einen Bekannten von mir kaputter gemacht, als ein H-Junkie je sein kann", schreibt ein User. "Der Entzug ist mit H nicht vergleichbar, denn H ist dazu im Vergleich ein Kinderspiel", postet ein anderer. "H" steht für Heroin.
"O-Tee enthält unter anderem Morphin und Codein", erklärt Alexander David, der Drogenbeauftragte der Stadt Wien, "er wirkt wie Opium und führt weniger schnell zu Abhängigkeit als Heroin, aber die Entzugssymptome halten länger an und die körperlichen Schmerzen beim Entzug sind stärker."
Doch im Gegensatz zu Heroin sind Mohnkapseln in Österreich nicht grundsätzlich illegal. Sie werden als Dekoration verwendet und als solche - meist mit Chemikalien besprüht, die den Konsum noch gefährlicher machen - in Blumen- und Bastelgeschäften verkauft. Nur die Weitergabe der Kapseln zum Konsum ist verboten, erklärt David; es kommt also auf die Absichten von Käufer und Verkäufer an. Im Geschäft mit der hellgrünen Tür sind diese Absichten recht offensichtlich: Obwohl es offiziell eine Blumenhandlung ist, gibt es hier nichts anderes zu kaufen als Mohnkapseln.
In den 1980er-Jahren, als es noch keine Substitutionsbehandlung gab, war O-Tee auch in Österreich stark verbreitet, sagt Alexander David. Da hätten Süchtige mit Lkw und 60-Liter-Müllsäcken die Mohnfelder der Waldviertler Bauern geplündert. Heute aber würde O-Tee kaum noch konsumiert, und man toleriere den Verkauf, um die wenigen Süchtigen nicht weiter in die Kriminalität abzudrängen. "Die Sikhs, Inder, Perser und Afghanen, die das konsumieren, kommen aus alten Opiumkulturen und können damit umgehen", sagt David.
Die gut 20 bärtigen Männer mit Turban, die Sukhbir Singh in einem Sikh-Tempel am Stadtrand versammelt hat, sehen das ganz anders. Im indischen Bundesstaat Punjab, wo Sukhbir Singh als Politiker und Obmann eines Antidrogenvereins seinen Kampf gegen die Mohnkapseln begonnen hat, seien die Pflanzen ein großes Problem, erzählen sie. Und in den letzten Jahren habe sich O-Tee auch unter den jungen Männern aus den indischen, pakistanischen und afghanischen Communitys Wiens immer rasanter verbreitet; Hunderte, wenn nicht Tausende seien mittlerweile abhängig. Die Süchtigen hätten immer eine Flasche des Gebräus dabei, könnten ohne nicht arbeiten, ihre Ehen gingen wegen der Sucht kaputt. Doch in der Sikh-Community sei das Thema ein Tabu, kaum jemand gebe seinen O-Tee-Konsum oder den der Verwandten zu.
Ihren Stoff bezögen die Süchtigen fast ausschließlich aus dem Geschäft mit der hellgrünen Tür, sagen die Sikhs. Doch der stämmige Mann hinter dem Tresen des Geschäfts fühlt sich nicht zuständig, auf Fragen reagiert er ungehalten. "Wenn Sie etwas über uns schreiben", sagt er, "werden wir das nicht tolerieren." Wie andere Blumengeschäfte verkaufe auch er Mohnkapseln nur als Dekorationsmaterial, sagt er und deutet auf einen Zettel, der auf dem Tresen klebt: "Wir weisen darauf hin, dass der Missbrauch der Dekorware Mohnkapsel gesetzlich verboten ist."
Falter, 3.10.2012