Die plötzliche Offensive der Bundes-ÖVP im Hinblick auf die türkeistämmigen Kandidaten wurde im niederösterreichischen Wahlkampf erprobt. Der türkeistämmige Muslim Selfet Yilmaz, der als Funktionär der Türkisch-Islamischen Union (ATIB) an der Realisierung des Moscheebaus in Bad Vöslau mitgewirkt hatte, trat an 34. Stelle der ÖVP-NÖ-Landesliste an. Er holte am Ende knapp 1.800 Vorzugsstimmen, verpasste zwar den Einzug in den Landtag, errang aber einen Achtungserfolg, der auch der Spitze der Bundes-ÖVP nicht verborgen blieb.
"Ein ranghoher muslimischer Kandidat", so wurde er etwas nebulös von FPÖ-TV im Zuge des Landtagwahlkampfs beschrieben. Der Wirtschaftsingenieur Yilmaz kalmiert im Hinblick auf die Kritik an der ATIB: "ATIB ist keine politische Organisation."
Doch die mit Ankara verlinkte ATIB ist der größte (türkisch-)muslimische Dachverband in Österreich mit knapp 90.000 Mitgliedern und mehr als 60 Standorten. Ein auf der Bundesliste kandidierender ATIB-Funktionär kann dabei auf die indirekte Wahlempfehlung und Sympathie der Verbandsmitglieder hoffen. Ähnliche Hoffnungen treiben auch den SPÖ-Kandidaten Resul Ekrem Gönültas an, der die bundesweit verstreuten Mill-Görüs-Moscheevereine besucht.
Auch wenn Yilmaz das knappe Wahlkampfbudget beklagt, ist sein "ATIB-Bonus" nicht von der Hand zu weisen. Yilmaz hat erfolgreich an der Realisierung des Moscheebaus in Bad Vöslau mitgewirkt, was wiederum sowohl innerhalb der türkisch-muslimischen Community generell als auch im ATIB-Verband im Speziellen für Bekanntheit und Achtung gesorgt hat. Die erodierende Wählerbasis der beiden Großparteien sorgte bei dieser Nationalratswahl für die Aktivierung von Kandidaten, die eben große (Islam-)Verbände hinter sich haben.
Yilmaz, der auch im Fall eines Misserfolgs politisch aktiv bleiben will, weil er das bei Beginn seiner politischen Karriere den Wählern so versprochen habe, steht für einen neuen Typus migrantischer Kandidaten. Den großen (Islam-)Verbänden mindestens nahestehend oder gar direkt von diesen "nominiert", können diese Kandidaten auf Ressourcen und Möglichkeiten zurückgreifen, die den klassischen migrantischen Kandidaten nicht zur Verfügung stehen.
Der erste türkeistämmige Abgeordnete zum Tiroler Landtag, Ahmet Demir von den Grünen, kritisierte jüngst auf seiner Facebook-Seite diesen neuen Typus migrantischer Kandidaten und warf den Parteien vor, lediglich Stimmen lukrieren zu wollen, ohne dass besagte Kandidaten allzu realistische Chancen auf einen Einzug in den Nationalrat hätten. Demir hält fest: "Ich will, dass es nicht mehr darum geht, welcher Kandidat von diesem oder jenem Verein oder Verband kommt."
Yilmaz hingegen sieht sich als unabhängige politische Persönlichkeit: "Ich will kein Quotentürke sein, sondern mich genauso wie alle anderen Kandidaten der Wahl stellen." Seiner Meinung nach gehöre zudem das Persönlichkeitswahlrecht in Zukunft noch weiter ausgebaut. Der an der türkischen Schwarzmeerküste geborene Yilmaz will auf alle Fälle in der Politik bleiben, schließlich habe er ohne Mandat mehr umgesetzt als so mancher mit Mandat, so der Neo-Politiker. (Rusen Timur Aksak, daStandard.at, 12.9.2013)