Ronald Schenkel

Journalist, Kommunikationsspezialist, Storyteller, Santa Barbara

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Polizist im Inselparadies: Ein Wachtmeister und seine 50'000 Freunde

Sergeant Colin Taylor (Mitte) und seine vier Kollegen der Isles of Scilly Police. Auf Facebook folgt ihm eine weltweite Fangemeinde. (Bild: Facebook)

Ein Polizist auf einer abgelegenen britischen Inselgruppe beim Ärmelkanal ist zum Multi-Media-Star geworden.Sein Erfolgsrezept ist einfach - und trotzdem schwierig nachzuahmen.

Sergeant Colin Taylor ist ein Star, zumindest auf Facebook. Über 53 000 Menschen haben auf den Like-Button der von ihm bespielten Seite geklickt. Seine Beiträge werden nicht selten mehrere hundert Male geteilt und leidenschaftlich kommentiert. Darüber wundert sich Taylor selbst, ist er doch Wachtmeister in einem überschaubaren Revier, in dem etwa 2200 Menschen leben. Seinen Dienst versieht er auf den Isles of Scilly oder auch kurz den Scillies. Das klingt wie "silly", was manch einen zur Annahme verleiten möge, es handle sich um fiktive Inseln und bei der "Isles of Scilly Police" um eine Truppe von Witzbolden. Andere, die von der Existenz der Scillies wüssten, sagt Taylor, verorteten die Inselgruppe irgendwo vor Schottland oder Italien. Seine Follower seien deshalb die einzigen Leute der Welt, die es fertigbrächten, sich online zu verirren - "Well done!".

Am Ende der Welt

In Wahrheit liegen die Isles of Scilly unweit des südwestlichsten Zipfels von England am Eingang des Ärmelkanals. Sie bestehen aus 140 Inseln und Inselchen, umspült von einer kühlen und zumeist bewegten See. Bewohnt sind lediglich sechs der Inseln. Bis zur Erfindung der Satellitennavigation zerschellten an ihren Kliffen Schiffe in schöner Regelmässigkeit, und wer an die Scillies dachte, dachte an Ertrunkene.

Heute fährt Besuchern eher ein Schauer des Entzückens über den Rücken, wenn sie über die moossanften Böden der Inseln wandern und in Buchten hinabblicken, in denen das Wasser smaragdgrün glitzert. "Ein Paradies", flüstern sie, wenn sie durch die Parks streifen, die selbst für englische Standards der Gartenkultur Superlativen darstellen mit Pflanzen aus aller Herren tropischen Ländern, welche die warmen Lüfte des Golfstroms zum Blühen bringen.

Paradiesisch - oder zumindest aus der Zeit gefallen - mutet auch der Lebensrhythmus der 2200 Scillonians an. Beim Vorbeigehen grüsst man sich freundlich, und der Dorfladen dient als Informationszentrum. Asphaltierte Strassen gibt es nur auf der Hauptinsel St. Mary's, wo auch die meisten Autos verkehren. Sonst dienen Golfmobile oder Traktoren einer etwas beschleunigten Fortbewegung, wobei man angesichts der kurzen Distanzen zu Fuss ohnehin schnell genug ist. Eine solche Welt muss doch eigentlich auch vom Verbrechen übersehen worden sein.

"Keineswegs", kontert Sergeant Taylor. Auf den Scillies lebten Menschen wie überall - mit denselben Gefühlen, Ängsten und Problemen. Einen Mord verzeichneten die Annalen der Inseln allerdings zuletzt 1976. Drogenhandel in grösserem Stil sei inexistent - "ich wüsste sofort, wer wem was verkauft", sagt der Wachtmeister. Ab und an wird etwas geklaut. Dann werweisst die ganze Facebook-Community mit, wer hinter der Tat stecken könnte.

Die grösste Sorge bereitet Colin Taylor und seinen vier Kollegen die Trinkfreude der Insulaner. In der Regel begegnen sie ihr aber eher mit elterlicher Fürsorge als mit polizeilicher Strenge. "Putting the town to bed" - die Stadt ins Bett bringen, umschreibt Colin Taylor seine Aufgabe, wenn die fünf Pubs von St. Mary's schliessen.

Gegen das Fahren in angetrunkenem Zustand führt Taylor jedoch einen kompromisslosen Kampf. So berichtete er im August letzten Jahres auf Facebook von sage und schreibe acht fehlbaren Automobilisten, die er aus dem Verkehr hatte ziehen müssen - in den zurückliegenden 14 Monaten. Damit die Nachricht aber nicht ganz so harsch klang, ergänzte Colin Taylor sie mit der Erklärung, wie man Angetrunkene am besten überführt: Man solle sie bitten, laut und klar das Wort "inebriated" - berauscht - auszusprechen.

Und damit sind wir beim Erfolgsgeheimnis der Seite. Hier schreibt keine anonyme Nummer, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, der seine Beiträge mit "Sgt Colin Taylor" zeichnet, in Antworten auf Kommentare gar einfach nur mit "Colin" firmiert. Bei der Stadtpolizei Zürich (rund 15 000 Likes) verbergen sich die Verfasser hinter Kürzeln. Bei der Kantonspolizei (rund 20 000 Likes) pflegt man Anonymität. Doch vor allem schickt Colin Taylor nicht einfach eine Durchsage der Leitstelle ins Web. Seine Posts sind eine Alchemie aus Alltagsbeobachtungen und polizeilichen Ermahnungen, gewürzt mit einer gehörigen Portion Sprachwitz und Selbstironie. Wie folgendes Beispiel zeigt, mit dem Taylor die zwei renovierten Zellen in der Polizeiwache anpreist, die einzigen auf den Scillies: Einzelzimmer mit integrierter Toilette und Kameras, weil man den Gästen die ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen wolle. Auf Anfrage serviere der "Concierge" gerne einen Becher mit einer teeähnlichen Flüssigkeit und zur Unterhaltung ein Buch über Gesetze - ohne Bilder. Manche Leute, schreibt Taylor, wollten natürlich als Erste die Räume ausprobieren, weshalb man betrunkene Autofahrer, Personen, die ihre Lebenspartner oder Kinder bedrohten, Diebe und andere Missetäter bevorzugt behandle.

Fangemeinde fahndet mit

Auf den Scillies ist die Polizei, ganz unironisch betrachtet, noch immer Freund und Helfer. Das Vertrauen, welches die Bewohner in ihre Uniformierten setzen - man patrouilliert, den typischen Bobby-Helm auf dem Kopf, wie Archetypen des englischen Polizisten -, führt Colin Taylor aber just auf seine Facebook-Aktivitäten zurück. Und dieses Vertrauen könne im Ernstfall Gold wert sein. "Passiert etwas Schwerwiegendes auf dem Festland, kann innert kurzer Zeit Verstärkung herangefahren werden. Wir müssen unter Umständen längere Zeit mit den Ressourcen auskommen, die wir hier haben", sagt Taylor. Diese begrenzten, insularen Ressourcen lassen sich in der Bevölkerung ebenfalls über Facebook mobilisieren, wie zuletzt im September, als die Suche nach einem Vermissten alle auf Trab hielt.

Die menschliche Seite der Polizisten und ihrer Arbeit zu zeigen, sei sein wichtigstes Anliegen, betont Taylor. Mit der Explosion der Fangemeinde ist diese Mission gleichsam global geworden. Er poste deshalb stellvertretend für alle Beamten, die ihre Sache gut machten. Und wenn man die Menschen berühre, gingen sie auch anders auf einen selbst zu - weniger aggressiv zum Beispiel.

Anforderungsprofil eines Insel-Polizisten

Im Umgang mit sozialen Netzwerken war Colin Taylor blutiger Novize, als er die Facebook-Seite der Scilly-Polizei übernahm. Ein Reglement oder eine Art Kommunikationsstrategie gab es nicht, und seine Vorgesetzten in England liessen ihn einfach machen. Taylor verliess sich auf sein Talent und die Regeln, die er sich selber setzte: "Ich schreibe nur über einen Bruchteil dessen, womit wir konfrontiert werden." In seinen Einträgen liest man deshalb nichts über häusliche Gewalt, über sexuelle Übergriffe, nichts Intimes, nichts Privates. Dafür wird der Tod der Revierkatze vermeldet und das Publikum über die Ermittlung im Fall einer eingetretenen Toilettentür informiert.

Im Juli oder August dieses Jahres wird Colin Taylor die Isles of Scilly verlassen, um in England andere Aufgaben zu übernehmen. "Ich bin eigentlich Detektiv und möchte wieder als solcher arbeiten", erklärt Taylor, und man kann ihn aller Inselidylle zum Trotz irgendwie verstehen. Wie es mit seiner Facebook-Seite dann weitergeht, ist ungewiss. Ganz aus den sozialen Netzwerken wird sich Sergeant Colin Taylor allerdings nicht verabschieden; seinen Twitter-Account verspricht er weiterzuführen. Der Hashtag lautet weiterhin "ScillySergeant".

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