Robert Schmidt

Freier Journalist, Straßburg

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Algerische Einwanderer in Frankreich: Fußballspiel verloren, Identität gewonnen

Die algerische Bar "Le Gambetta" im Lyoner Einwanderer-Stadtteil Guillotière platzt aus allen Nähten. Algerier und Franzosen allen Alters drängen sich gemeinsam an der offenen Veranda, um einen Blick auf die Übertragung des Algerien-Deutschland-Spiels zu erhaschen. Droht ein Tor, wird geschrien. Wird eines verhindert, schallt es laut "Oh là là".

Der Kellner lässt die Biere zwischenzeitlich durchreichen, so voll ist es. Als die Stimmung während der zweiten Halbzeit zu kippen droht, stimmt ein junger blonder Franzose einen Schlachtruf im Drei-Sprachen-Gemisch an: "Eins, zwei, drei, viva la Algérie". Nach dem dritten Mal stimmen alle ein.

Wer in dieser Bar steht und die Nachrichten der vergangenen Tage verfolgt hat, wundert sich. Nach Spielen der algerischen Nationalmannschaft war es in Frankreich, wo Hunderttausende Algerier leben, immer wieder am Rande von Freudenfeiern zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Aus Angst vor Krawallen rund um das Spiel Deutschland-Algerien hatte alleine die südfranzösische Stadt Lyon deshalb 500 Polizeibeamte mobilisiert - das größte Aufgebot seit den jüngsten Vorstadtkrawallen vor vier Jahren.

Auch in anderen Teilen des Landes war man auf Ausschreitungen vorbereitet, doch nach dem Spiel gegen Deutschland blieb es ruhig. Am Ende der Nacht ist in der Region um Lyon eine Mülltonne angezündet worden, vereinzelt flogen Gegenstände gegen Polizisten. Das wars.

Für die Aufregung um das algerische Fußballteam gibt es zwei Gründe: Noch nie ist das Land im Fußball so erfolgreich gewesen, noch nie war gleichzeitig die Mannschaft so französisch wie in diesem Jahr. 17 der 23 Spieler des algerischen Teams sind in Frankreich geboren. Viele von ihnen haben in Fußball-Clubs zwischen Marseille und Lille ihr "Fußwerk" gelernt. Doch genauso wie nicht alle in Frankreich geborenen Spieler in der équipe tricolore unterkamen, fühlen sich nicht alle der insgesamt 1,7 Millionen algerischen Einwanderer und ihre Nachkommen vollends in Frankreich angekommen. Einwandererkinder haben in Frankreich nur eine halb so große Chance auf einen Arbeitsplatz wie der Rest der Bevölkerung. So lautet das traurige Fazit einer im April veröffentlichten Meta-Studie des nationalen Statistikamtes Insee.

Während der Halbzeitpause des Algerien-Spiels in der algerischen Bar in Lyon. Ein junger Mann, der sich als "Hocine aus der Nähe von Lyon" vorstellt, hat zuvor schon das Spiel der französischen Mannschaft gesehen. "Ich bin für Frankreich und Algerien", sagt er, schließlich seien seine Eltern Algerier, auch verbringe er seinen Sommerurlaub in dem Land. Die Rebellion der Jugend gegen Benachteiligung verstehe er, Gewalt lehne er aber ab. Dennoch hält er die Reaktionen des Staates für überzogen.

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