John Niven läuft aufgekratzt durch sein Hotelzimmer im Soho House in Berlin. "Was haben die denn hier so für Musik?", fragt er und zeigt auf eine Kiste, die vor einem Vintage-Plattenspieler steht. Ein paar alte Soulplatten sind drinnen, dazwischen ein paar moderne Klassiker, geschmackvoll ausgewählt: "Leftism" von Leftfield, das Debüt von Foxygen. Aber Niven wartet die Antwort nicht ab. "Wollen Sie Tee?", fragt er und läuft zum Temperaturregler. "Ist heiß hier drin, oder?"
Er scheint schwer zur Ruhe zu kommen. Das zeigt auch das Arbeitstempo des 49-jährigen Schotten: Sieben Romane hat er in den vergangenen zehn Jahren geschrieben, außerdem mehrere Drehbücher. Es gab viel nachzuholen. Bis 2002 arbeitete Niven als A&R in London. Er hat BritPop und Girl Power miterlebt, den Höhenflug der CD, das letzte hedonistische Aufbäumen der Musikindustrie. Das alles verarbeitete er 2008 in einem pechschwarzen, blutigen Debüt-Roman: "Kill Your Friends" erzählt die Geschichte des jungen A&R Steven Stelfox, der für seine Karriere über Leichen geht und sich dabei halb Kolumbien durch die Nase zieht. Das Buch wurde zum Bestseller, Niven als neuer Bad Boy der britischen Pop-Literatur gefeiert. Anfang 2016 läuft die Verfilmung von "Kill Your Friends" mit Nicholas Hoult ("About A Boy", "Mad Max: Fury Road") in den deutschen Kinos an. Außerdem hat Niven gerade seinen neuen Roman "Old School" veröffentlicht, in dem vier ältere Damen eine Bank ausrauben. Nun soll der Autor für beide Projekte Werbung machen. Lieber wäre er an seinem Schreibtisch, sagt er unverhohlen und grinst mit roten Backen. "Sicher keinen Tee? Nein? Gut, dann fangen wir an."
Die Welt:
Wie verwirrend ist es, gleichzeitig ein Buch und einen Film zu promoten?
John Niven:
Es ist schrecklich. Ein Albtraum. Ich will Schriftsteller sein, kein Verkäufer. Aber ich bin einfach nicht besonders gut darin, 'nein' zu sagen. Die Leute arbeiten hart für mich. Also musst ich mich auch anstrengen. Dabei bin ich von Natur aus ein sehr fauler Mensch.
Das glaube ich Ihnen nicht!
(Lacht.) Ich glaube, viele Schriftsteller halten sich für faul. Man kann ja auch nur behaupten, man sei Schriftsteller, wenn man auch tatsächlich schreibt. All diese Interviews, alles was sich Leute unter Erfolg vorstellen - ich würde es sofort aufgeben. Ich würde Sie bezahlen, wenn ich nie wieder zu einer Filmpremiere gehen müsste. Dort interessiert sich ja niemand für mich. Ich bin nicht der Hauptdarsteller oder der Regisseur. Als ich in Toronto bei der Premiere von "Kill Your Friends" vorfuhr, warteten Leute auf dem Roten Teppich. Sie dachten, dass sie gleich einen Star sehen würden. Als ich ausstieg, konnte man die Enttäuschung in den Gesichtern lesen: "Das ist ja nur irgendein Idiot." (Lacht.) Ich hasse Promo-Arbeit. Ich will so viel Zeit wie möglich dazu nutzen, zu schreiben.
Vor kurzem hat sich Stephen King in der "New York Times" dafür gerechtfertigt, dass er so viele Bücher schreibt. Er meint, aus Talent ergäbe sich die Verpflichtung, es zu nutzen. Stimmen Sie zu?
Ich glaube schon. Viele Schriftsteller brauchen drei, fünf oder zehn Jahre, um ein Buch fertigzustellen. Ich frage mich, was sie den Rest der Zeit machen. Mein Freund Irvine Welsh schreibt alle 18 Monate einen Roman. Er könnte es sich leisten, weniger zu arbeiten. Aber zwischen Mitte 40 und Mitte 50 erreichst du als Schriftsteller den Höhepunkt deiner Kreativität. Deswegen solltest du zusehen, dass du in dieser Zeit so produktiv wie möglich bist.
Denken Sie viel übers Älterwerden nach?
Ja. John Updike sagte, wenn man in seinen 20ern ist, existiert der Tod nicht wirklich, also setzt man sich nicht damit auseinander. In den 30ern hat man schon flüchtige Begegnungen mit ihm, wenn Verwandte sterben. Ab 40 ist es ein Full-Time-Job, so zu tun, als hätte das Thema Sterblichkeit nichts mit einem zu tun.
Ihre Bücher hatten bislang oft autobiografische Bezüge. Diesmal geht es um vier ältere Damen, die eine Bank ausrauben.
Ich bin natürlich selbst keine 60-jährige Frau. Aber das Verlangen, auszubrechen, kann ich sehr gut verstehen. Viele Figuren in meinen Büchern sind nicht da, wo sie eigentlich hinwollen. Sie pressen ihre Nasen von außen ans Schaufenster und sehen anderen dabei zu, wie sie ein besseres Leben führen. Ich kenne das Gefühl. Denn mir ging es vor etwa zehn Jahren genauso, bevor ich anfing, Romane zu schreiben. Ich habe lange Zeit gar nicht bemerkt, dass sich das als roter Faden durch meine Geschichten zieht.
Ihre Zeit als A&R haben Sie in "Kill Your Friends" verarbeitet. Das Buch war sehr erfolgreich. Warum ist es nicht früher verfilmt worden?
Es wollte lange niemand etwas mit dem Projekt zu tun haben. Wir hörten immer wieder, die Hauptfigur sei zu unsympathisch. Und das stimmt ja auch. Steven Stelfox ist ein Rassist, ein Sexist, ein Mörder. Und das Schlimmste ist: Wir sind irgendwie auf seiner Seite. Man wünscht sich fast, dass er am Ende davonkommt. Das ergab für die Produzenten keinen Sinn. Aber da konnte ich keine Kompromisse eingehen, denn darum ging es bei dem Buch: Die Bösen werden nicht bestraft, die Guten schon. Die Guten enden bei den winzig kleinen Indie-Labels. Die Bösen werden die Chefs von Warner Bros. und Sony. Sie triumphieren und regieren die Welt.
Aus dem Haifischbecken der Musikindustrie sind Sie entkommen - nur um im Filmbusiness zu landen. Vom Regen in die Traufe, könnte man sagen, oder?
Schlimmer. Die Musikindustrie wirkt im Vergleich zur Filmindustrie geradezu fokussiert. Als ob bei Labels nur anständige, konzentrierte Menschen arbeiten würden. Beim Film ist vieles noch dunkler, noch verrückter. Weil das Risiko viel höher ist: Eine Band unter Vertrag zu nehmen - das bedeutet schlimmstenfalls ein paar Hunderttausend Pfund zu verlieren. Aber der kleinste Independent-Film kostet gleich zehn, wenn nicht Hunderte Millionen Dollar. Da funken dir dauernd Leute dazwischen - und alle sind komplett wahnsinnig.
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