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Im Porträt: Tabea Cole leitet die Gemeinde der Heilsarmee in Bremen

Tabea Cole leitet gemeinsam mit ihrem Mann David die Bremer Gemeinde der Heilsarmee. Foto: Tom Wesse

Tabea Cole hat ein offenes Ohr für jeden. Wer eine Umarmung braucht, ist bei ihr genauso richtig wie Hungrige oder Frierende. Wie Prostituierte oder Eltern mit kleinen Kindern. Wie Christen oder Muslime. Wie Juden oder Atheisten. Tabea Cole sieht nur die Menschen und ihre Nöte. Sie ist Leutnantin der Bremer Heilsarmee und steht im Dienst Gottes. Sie bringt seine Liebe zu den Menschen. Berührungsängste hat sie keine, sagt sie.

Tabea Cole ist in der Gemeinde der Heilsarmee aufgewachsen. Ihre Eltern sind ebenfalls hauptberufliche Offiziere, genau wie ihr Mann David. Die Offiziere der Heilsarmee sind ordiniert, sind also auch Pastoren und dürfen Gottesdienste abhalten. Die Bremer Gemeinde leitet das Ehepaar gemeinsam - gleichberechtigt. Das klarzustellen, ist ihr wichtig. „Das ist das Besondere an der Heilsarmee: Seit der Gründung dürfen und sollen Frauen Führungspositionen übernehmen und predigen", sagt Cole.


Die Gleichberechtigung gilt nicht nur für ihre Arbeit in der Gemeinde, sondern auch für die Familie. „Wir haben drei Kinder. Unsere jüngste Tochter ist gerade sieben Monate alt", sagt Cole. Wie zwei Menschen, die ihr Leben jenen verschrieben haben, die Hilfe brauchen, Zeit für eine eigene Familie haben können? „Die Heilsarmee räumt uns viele Freiheiten ein. Familie ist wichtig und wir können uns die Zeit nehmen, die wir brauchen", sagt die 31-Jährige.

Tabea Cole wirkt wie ein Mensch, der durch  und durch gut ist. Entspannt und ausgeruht. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Glitzern in den Augen. Was sie tut, wenn auch sie einmal zweifelt? „Ich bete", sagt sie. Sie kenne das Gefühl, nicht ver­stehen zu können, warum so viel Schlimmes auf der Welt passiert. „Auch ich frage mich manchmal, wann wir genug ertragen haben. Dann erinnere ich mich aber daran, dass die Erlösung schon da ist. Christus ist am Kreuz für uns gestorben", sagt sie. Sie selbst habe schon oft die Liebe Gottes gesehen und gespürt.

Ihre Zuversicht ist gleichermaßen ansteckend wie befremdlich. Ansteckend, weil sie Hoffnung weckt. Oder zumindest den Wunsch aufkeimen lässt, dass die Welt, die viel zu vielen Menschen übel mitspielt, doch nicht so böse ist. Befremdlich, weil das Jahr 2020 bereits viel zu viele Todesopfer gefordert und Existenzen zerstört hat. „Ich bin ein Mensch, der das Leid der ganzen Welt auf sich lädt. Wenn ich es nicht mehr ertrage, bete ich. Ich gebe das Leid an Gott weiter und dadurch meiner Seele Frieden", erklärt sie.


„In dem Moment, in dem ich auf die Menschen treffe, ist es mir egal, wer sie sind. Es erfüllt mich mit Freude, helfen zu können", sagt Cole. So gebe es in Winnipeg in Kanada, wo sie zur Offizierin ausgebildet wurde, die „Snow Night": die einzige Nacht im Jahr, in der Prostituierte von ihren Zuhältern freigestellt werden und nicht arbeiten müssen, sondern stattdessen zur Heilsarmee kommen. Dort können sie schlafen, reden, essen oder sich die Haare schneiden lassen. Eine Nacht Pause. „Wenn ich mich auf Einsätze vorbereite, muss ich mir manchmal einen Ruck geben. Bin ich dann aber mittendrin, tragen mich die Nächstenliebe und die Liebe Gottes", sagt Cole. Diese Nacht ist ihr im Gedächtnis geblieben. Sie ist ihr einprägsamstes Erlebnis bei der Armee.

Obwohl Tabea Cole in der Heilsarmee groß geworden ist, hat sie sich andere Gemeinden und Kirchen angeschaut, bevor sie sich dazu entschlossen hat, Mitglied zu werden, die Uniform anzuziehen und ihre Ausbildung in Kanada anzutreten. „Mir war schnell klar, dass ich mich bei der Heilsarmee am besten aufgehoben fühle", sagt sie.

Was die Offizierin an anderen Gemeinden manchmal sogar nervt: Wenn sie sich dort für ihren Glauben rechtfertigen muss. „Menschen, die ihren Glauben offen ausleben, müssen sich oft genug erklären", sagt sie, „ich verstehe nicht, warum sich Gemeinden gegenseitig zerfleischen sollten."

Als Heilsoffizierin trägt sie ihr Glaubensbekenntnis, anders als andere Christen, immer offen nach außen: Die Uniform mit den roten Schulterklappen zeigt den Menschen auf der Straße, dass Cole eine Ansprechpartnerin ist. „Ich bin mir total bewusst, dass die Uniform befremdlich wirken kann. Gerade in Deutschland mit unserer Geschichte ist es manchmal schwierig. Allerdings hat die Uniform auch viele Vorteile", bekräftigt Cole. So sei sie immer passend angezogen, egal ob sie einen Gottesdienst halte oder einen Obdachlosen in den Arm nehme.


Die Heilsarmee arbeitet wie auch das Militär oder Einrichtungen wie das Goethe-Institut nach dem Sendungsprinzip: Als Offiziersfamilie kann es immer passieren, dass die Coles aus Bremen abgezogen werden und woanders leben und wirken müssen. Seit 2016 ist die junge Familie schon in der Hansestadt, seither konnte sie die Gemeinde immer weiter aufbauen. „Gerade bei Standorten, die noch im Aufbau sind, kann es oft sogar kontraproduktiv sein, die Leitung schon nach wenigen Jahren wieder abzuziehen", sagt Cole. Wann die Heilsarmee aber wieder rufen wird, das weiß sie nicht. „Ich selbst hatte das ungewöhnliche Glück, nie mit meinen Eltern umgezogen zu sein", berichtet sie. Das habe allerdings an der Position ihrer Eltern gelegen: Diese kümmern sich um administrative Aufgaben in Köln, weshalb die Familie in Siegen Fuß fassen konnte.

Ob ihre Kinder ebenfalls ihren Weg einschlagen und sich der Heilsarmee verschreiben, ist für sie nicht so wichtig. „Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich unsere Kinder später gegen die Heilsarmee entscheiden", sagt sie, „das Wichtigste ist mir, dass ich ihnen etwas mitgeben kann von meinem Glauben, Nächstenliebe und der Liebe zu Gott. Ob sie sich am Ende für die Heilsarmee oder eine andere Gemeinde entscheiden oder sie ihr Weg ganz woanders hinführt, das liegt in Gottes Hand. Da werde ich sie auf keinen Fall drängen." Auch ihre Eltern haben ihr die Chance gegeben, sich aktiv für die Heilsarmee zu entscheiden: Sie sollte nicht das Gefühl haben, beitreten zu müssen. Genauso möchte es Cole bei ihren eigenen Sprösslingen auch handhaben.

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