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Serie Wasserspiele: Beim Kanupolo kommt es auf Geschick und Konzentration an

Die Schwierigkeit beim Kanupolo liegt darin, dass die Spieler gleichzeitig auf ganz viele Dinge achten müssen. Foto: Fabian Wilking

Nieselregen, nasse Wiesen, knappe 18 Grad, die sich bei der Witterung allerdings eher wie zwölf Grad anfühlen - der sonst so volle Werdersee ist an diesem Julitag wie leer gefegt. Badegäste, die an heißen Tagen wie die Ölsardinen am Ufer liegen und an ihrer Bräune arbeiten, sind zu Hause auf der Couch geblieben. Eine Ausnahme bilden acht Menschen in Kajaks: Sie tragen Helme mit Gittern vorm Gesicht und nummerierte Schutzwesten in Blau und in Rot und sie rangeln zwischen zwei Toren um einen Ball, direkt neben dem Schwimmerbereich bei der DLRG-Rettungswache.

Die warmblütigen Kanuten sind Spieler von Kanupolo Bremen. Von Ende März bis November trainieren sie auf dem See, egal bei welchem Wetter, nur im richtigen Winter weichen sie auf das Unibad aus. „Wir sagen die Sommer-Trainings nur ab, wenn es direkt am See gewittert", sagt Jonas Deitschun. Er ist einer der Spieler der Kanupolomannschaft, die sich in der dritten Liga mit anderen Teams misst. Bei den Trainings auf dem See spielen allerdings nicht nur Team-Mitglieder, sondern auch Spieler anderer Mannschaften mit. So unter anderem Priscill Oh, eine Masterstudentin aus Singapur. „Ich habe auch zu Hause Kanupolo gespielt. Als ich im Herbst hier in Bremen angefangen habe zu studieren, habe ich direkt Kontakt mit dem Verein aufgenommen", sagt sie. Eine eigene Damenmannschaft gibt es in Bremen allerdings nicht, zwei Mal die Woche mit den Männern trainieren kann Oh trotzdem.

Gespielt wird Kanupolo in Sportkajaks, die schmalen Boote sind sehr empfindlich: Einmal auf dem See, beginnen sie auf jede Bewegung zu reagieren. Kentern können sie sehr einfach, doch zum einen haben die Kanuten ihre Boote unter Kontrolle und zum anderen drehen sie sich mit der Eskimorolle mir nichts dir nichts wieder um. „Eine Minute hat man eigentlich immer, um wieder an die Oberfläche zu kommen", sagt Deitschun. Er trainiert nicht nur selbst mit, sondern kümmert sich auch um die Übungseinheiten der Studierenden. „Wir bieten dem Unisport die Möglichkeit, bei uns mitzumachen", erklärt er. So könne sich der Verein präsentieren und eventuell sogar neue Mitglieder abfangen. Er selbst kam vor fünf Jahren ebenfalls über den Unisport zum Verein und blieb.

Kanupolo ist laut Deitschun eine Mischung aus Handball und Rugby, kombiniert mit Paddeln. „Man braucht gleichzeitig Schnelligkeit und Kraftausdauer", erklärt er. Bei Betrachtung des Trainings und der Spielzüge wird schnell klar: Er hat nicht untertrieben. Die Boote rasen von einer Seite des Spielfelds zur anderen. Um schnell zu wenden, drücken die Spieler das Heck ihrer Boote unter Wasser und drehen auf der Stelle. Die Torwarte wechseln fliegend. Wird vermutet, dass einem Spieler zeitnah der Ball zugepasst werden könnte, beginnt die Deckung mit der Arbeit: Da wird auf den Booten gerangelt und geschubst. „Eigentlich ist alles erlaubt, außer einander wehzutun", sagt Deitschun.

Jonas Deitschun spielt seit fünf Jahren Kanupolo.

Der Charme des Sports

Auch das Wegschieben des Torwartes wird im Spiel als Foul gewertet und zieht eine Zeitstrafe nach sich. Die große Schwierigkeit sei es, auf alles gleichzeitig zu achten. Nicht mit dem Boot kentern, den Ball fangen und werfen, von einer Seite auf die andere sprinten und Tore werfen: Diese Kombination mache allerdings auch den Charme des Sports aus. „Man hat eigentlich alles, was man braucht. Wasser, frische Luft, eine Teamsportart, Boote und einen Ball", sagt Deitschun.

Auf dem 25 Meter mal 35 Meter großen Spielfeld schwimmen zwei Tore, sie hängen in etwa so hoch wie ein Basketballkorb in der Halle. Das Ziel des Spiels ist es, wie bei den meisten Ballsportarten, den Ball in das Tor der gegnerischen Mannschaft zu werfen. „Ecke", ertönt es vom See. Der Ball ist außerhalb des Feldes gelandet und muss nun von einem der roten Spieler eingeworfen werden. Er lässt den Ball nach hinten fallen, Lachen erklingt. Diese Leichtigkeit des Momentes ist allerdings vergangen, sobald er tatsächlich den Ball in Richtung eines anderen Spielers seiner Mannschaft passt: Alle sprinten los, mit vollem Tempo auf die Spielhälfte des blauen Teams. Die Boote hinterlassen Wellen auf dem See, die Paddel spritzen beim Eintauchen, sodass die Kajaks aussehen wie kleine Raddampfer.


Insgesamt zwei Stunden dauert das Training. Wurde zu Beginn beim Aufwärmen noch viel gelacht, sind die Spieler zum Ende hinaus merklich erschöpft. Der Spielfluss erinnert ans Bolzen beim Fußballtraining. Einer der Spieler fällt im Gerangel mit seinem Boot um, gerade als er sich wieder über die Wasseroberfläche gekämpft hat, wird er von seinem Gegner erneut umgestoßen, da dieser den Ball bekommen möchte. Bis fünf Tore pro Satz spielen die Kanuten in diesem Training. Erzielt eine der Mannschaften das fünfte Tor, werden die Spielfeldseiten getauscht, und der nächste Satz beginnt. Das blaue Team gewinnt an diesem Dienstagabend mit zwei Sätzen zu einem Satz. „Wir achten im Training darauf, dass die Teams einigermaßen ausgewogen sind. Wenn wir merken, dass etwas nicht passt, wechseln wir noch einmal durch", erklärt Deitschun.

Kajaks und Schutzkleidung trocknen gemeinsam in einem eigens dafür hergestellten Regal.

Es riecht wie in einem Skikeller

Nach dem Spiel wird eines der Tore eingeklappt, die Trinkflaschen, die an dem Tor befestigt waren, von den Karabinern gelöst, und die Kanuten paddeln zurück zu ihrem Bootshaus. Das Gebäude hat seine besten Jahre schon hinter sich, und trotzdem erfüllt es seinen Zweck. Es gibt eine Herren- und eine Damenumkleide, in einem Nebenraum stehen Pokale von verschiedenen Turnieren, bei denen die Mannschaft mitgespielt hat. Die Kajaks, Helme und Westen werden einzeln in einem Regal an der Wand verstaut. Gegenüber hängen die Neoprenspritzschutze, die den Kanuten davor bewahren, dass sein Boot beim Umkippen voll Wasser läuft. Es riecht wie in einem Skikeller: Ein bisschen feucht, ein bisschen verschwitzt.

Die Stimmung ist prächtig. Wie bei so vielen Teamsportarten, ist zu bemerken, dass sich die Kanuten gegenseitig schätzen und respektieren. Gleichzeitig fällt aber auch auf, dass die Spieler von den Strapazen des Trainings erledigt sind. Die Boote werden mit weniger Elan vom See zurückgetragen, als dies auf dem Hinweg passierte. Die Arme wirken schwerer, die Beine müde. „Ich werde morgen merken, dass ich was gemacht habe. Aber so einen richtigen Muskelkater werde ich nicht haben", sagt Deitschun. Das nächste Training ist drei Tage später, egal, ob das Wetter gut sein wird oder nicht, bis dahin wird auch das kleinste Muskelzwacken verschwunden sein.


Zur Sache

Eine Kombination aus Ballsportart und Kanufahren

Bereits 1926 hat der Deutsche Kanu-Verband eine Spielidee britischer Kanuten aufgegriffen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, eine Ballsportart mit Mannschaften und Kanufahren zu kombinieren. Dieses Spiel wurde Kanupolo getauft. „Ich denke, das rührt daher, dass im Englischen beispielsweise auch Wasserball Water Polo heißt", erklärt Jonas Deitschun vom Verein Kanupolo Bremen. Denn mit dem Pferdesport, an den der Name erinnert, hat Kanupolo nichts zu tun.

1928 gab es die ersten Kanupolo-Meisterschaften auf deutschem Boden, mit dem zweiten Weltkrieg allerdings verabschiedete sich die junge Disziplin aus dem Sportgeschehen. Erst 1965 wurde der Sport wiederentdeckt: Wie durch Zufall, durch eine kleine Notiz in einer Kanu-Zeitschrift des Verbandes, in der nach Vereinen gesucht wurde, die Interesse an der Sportart haben. Vor allem Vereine aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen meldeten sich. Kanupolo Bremen existiert seit 1992. Zwei Jahre später wurden die erste Kanupolo-WM in England ausgetragen, bei der sich die deutschen Herren den zweiten Platz erkämpften.

1995 wurde in Deutschland die Kanupolo-Bundesliga eingeführt. Die Ligen werden, anders als bei anderen Sportarten, in Form von Turnieren ausgetragen. „Wir fahren nicht durchs ganze Land, sondern immer mal wieder ein langes Wochenende in unterschiedliche Städte", sagt Jonas Deischun. Bei diesen Turnieren werden dann verschiedene Ligen durchgespielt. Bei den Turnieren im Norden kenne man sich mittlerweile untereinander. Bei den deutschen Meisterschaften hingegen seien es rund 4000 Kanuten, da könne man nicht alle kennen. Der Verein Kanupolo Bremen freut sich über neue Mitglieder und Interessierte. Nähere Informationen zu Trainingszeiten finden sich auf der Homepage www.kanupolo-bremen.de.

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