Es hat keine zwei Wochen gedauert, bis Saad Chahrrour zu seinem Spieß gegangen ist und ein paar Dinge klargestellt hat: Er isst kein Schweinefleisch und er braucht in der Kaserne einen ruhigen Ort zum Beten. Der Kompaniefeldwebel habe zwar erstmal dumm geguckt, aber dann sei das klargegangen - zumindest das mit dem Raum fürs Beten. Das mit dem Essen hat länger gedauert.
Der einzige Muslim in der KaserneAls der junge Rekrut aus Hessen vor rund zwölf Jahren seine Grundausbildung in einer Kaserne in Bad Reichenhall begann, hat er den Laden ganz schön aufgemischt. Er war nicht nur der einzige Muslim in der Kaserne, sondern er hat im Vorbeigehen sämtliche Rekorde der Einheit der Gebirgsfernmelder gebrochen. Gleichzeitig wurde er die „gewählte Person des Vertrauens" der gesamten Kompanie. Im Zusammensetzen von allen drei Standardgewehren konnte ihm keiner etwas vormachen. Zwei Minuten fünfzig habe er dafür gebraucht. Als er bei Minus Zehn Grad mit klammen, zitternden Fingern den Hebel auf Anhieb perfekt in das Maschinengewehr schob, war für ihn klar: „Hier will ich länger bleiben."
Rund 1600 Soldaten muslimischen Glaubens leisten in Deutschland den Dienst an der Waffe. Da die Religionszugehörigkeit von Bundeswehrsoldaten nicht zwingend angegeben werden muss, könnten es auch noch mehr sein. Zu Hessen gibt es keine expliziten Zahlen, heißt es vom Landeskommando in Wiesbaden.
Jeden Tag beten muss seinNicht alle muslimischen Soldaten sind fromm, Saad schon. Er betet zwar nicht fünf Mal am Tag, aber doch morgens und abends. Das rituelle Waschen von Gesicht, Händen, Armen und Füßen kombiniert er mit seiner täglichen Körperpflege. Das Gebet, das auch einem formalen Ablauf folgt, kommt stets danach. „Ist ein bisschen wie Yoga", sagt er und meint damit die Sonnengrüße. Nur das mit dem Alkohol kann er nicht komplett vermeiden. Beim Fußball trinkt er dann doch mal ein, zwei Bier. Besäufnisse gibt's aber nicht. „Ich bin strikt und ganz Moslem."
Saad ist ein großer Typ mit Brille und einem dichten, voluminösen Bart. Wenn ihm was nicht passt, dann sagt er das. Das haben auch seine Kameraden schnell gemerkt. Zeitig haben die wenigen, die Witze über sein Aussehen oder seine Religion gemacht haben, damit aufgehört. Denn Saad wehrt sich konsequent auf eine ziemlich deutsche Art und Weise: Er schreibt Beschwerden. Einmal hatte er im Mannschaftsheim etwas Bier verschüttet. Daraufhin sei einer zu ihm rübergekommen und habe ihm befohlen, es aufzulecken. Saad hat natürlich Nein gesagt. Der Kamerad habe ihn daraufhin versucht, in die Pfütze zu drücken. Da hat der Rodgauer den Gemeinschaftsraum verlassen und hat „Papier schwarz gemacht", das heißt, er hat sich schriftlich beim Vorgesetzten beschwert. Die Geschichte ging bis vor das Truppendienstgericht.
Wegen Nötigung verurteiltDer andere Soldat wurde vorm Militärgericht wegen Nötigung verurteilt. Und da er davor schon des Öfteren negativ aufgefallen war, gab's für ihn eine Beförderungssperre und eine Ausgangssperre. „Das habe ich nicht aus ethischen Gründen gemacht, sondern weil der Typ ein Arschloch war", sagt er heute. Wie schon erwähnt, ein direkter Typ.
Das mit dem Essen war ein echtes Problem. Wenn nach einem langen anstrengenden Tag im Feld die Gulaschkanone angefahren kam, gab's Fleisch für die Kameraden und trockenen Reis für Saad. In den ersten Monaten habe er deswegen zehn Kilo abgenommen. Aber Saad kann schreiben, also hat er geschrieben. Immer wieder. Bis man ihm täglich eine gleichwertige Mahlzeit organisierte. Auf vegetarisches Essen umzusteigen, hat er nicht eingesehen. „Ich esse gerne Fleisch", sagt er. „Und das steht mir nach dem deutschen Gesetz zu."
Als frommer Moslem erzogenSaads Eltern kommen aus Syrien. Sein Vater kam bereits in den 60er Jahren nach Deutschland, seine Mutter in den 80er Jahren. Beide seien vollständig integriert, sagt er. Seine Mutter hat den Ausländerbeirat des Landes Hessen auf Bundesebene vertreten, sein Vater ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Vor allem nach dem 11. September 2001 war es seinem Vater und seiner Mutter ein großes Anliegen, deutlich zu machen, dass nicht jeder Moslem ein Terrorist ist. Gleichzeitig haben sie ihn als frommen Moslem erzogen. Und doch haben sie ihm alle Freiheiten gelassen.
„Viele muslimische Familien in Deutschland machen den Fehler, ihre Kinder zu zwingen", sagt er. Sie würden ihre Kinder dadurch in Kapseln gefangen halten. „Am Ende kommen kriminelle Minderjährige dabei raus, die alle denselben Kram im Kopf haben." Religion sei nicht das Problem der mangelnden Integration, sondern deren Interpretation. Dies gelte auch für Terroristen.
Sorgt für DeeskalationNach den erhebenden ersten Wochen bei der Bundeswehr hat er seinen Freiwilligen Wehrdienst von neun auf 17 Monate verlängert. Danach hat er sich für acht Jahre verpflichtet. 2008 war er dann in Prizren, im Kosovo, als Lagermaterialbeschaffer und im CRC-Trupp stationiert. Er hat damals Waffen, Reifen, Nägel oder Munition verteilt, geholt oder bestellt. Hätte es damals in dem kriegszerrütteten Land große Demonstrationen oder Aufstände gegeben, hätte er im CRC-Trupp (Crowd-and-Riot-Control), gemeinsam mit der örtlichen Polizei, mit Einsatz von Gummigeschossen, Reizgas und Rauchgranaten für eine Entschärfung der Lage gesorgt. Eine ähnliche Aufgabe wie sie die Bundespolizei bei bestimmten Fußballspielen hat. Auf Menschen schießen musste er nie. „Jeder Soldat überlegt zweimal, ob er schießt", sagt er. „Denn jede Kugel, die abgefeuert wird, ist gleichzeitig eine DIN-A4-Seite, die dafür geschrieben werden muss." Das findet er im Anbetracht der deutschen Geschichte sinnvoll. Trotzdem fragt er sich schon, wie das mit der Bürokratie im Ernstfall funktionieren soll.
Saad Chahrrour ist zur Bundeswehr gegangen, weil er Deutschland liebt. „Deutschland ist eine Macht. Von außen und von innen." Er hat jetzt seinen Bachelor in Wirtschaftspsychologie mit dem Schwerpunkt Personalpsychologie und Marketing gemacht. Jetzt will er zurück zum Militär, will Offizier werden. Dadurch, dass die Wehrpflicht abgeschafft wurde, sei es dringend notwendig, junge Menschen für die Bundeswehr zu begeistern. Er kann sich mit seiner Expertise gut vorstellen, seinen Beitrag dazu zu leisten. Denn Frieden will verteidigt werden.