Rebecca Ciesielski

Journalistin, Berlin | München

1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Singularity: Erst Mensch gegen Mensch, dann Mensch gegen Maschine

Immer mehr Wissenschaftler, Unternehmer und Investoren behaupten, Maschinen seien bald klüger als Menschen. Dahinter stecken meist nicht nur Science-Fiction-Bilder, sondern sehr rationale Gründe. Ein Besuch bei Gläubigen.


Anish Mohammed steht im Kreuzberger Betahaus vor 150 Zuschauern auf der Bühne. Hinter dem Bioinformatiker prangt ein Zitat des Science-Fiction-Autors William Gibson: „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt." Den Satz könnte man als das Mantra der Technikbegeisterten bezeichnen, die sich an einem Donnerstagabend in der vierten Etage des bekannten Berliner Coworking Space versammelt haben.

Mit einem Diagramm zeigt Mohammed, von welcher Zukunft er spricht. Die Zuschauer blicken auf eine steile Kurve, im oberen Abschnitt der Mensch, darüber das Bild einer metallisch-glänzenden Maschine: Eine künstliche Intelligenz (KI). „Viele behaupten, unsere Gedanken und Ideen machen uns menschlich. Das hinterfrage ich", sagt der indische Wissenschaftler, der früher Arzt war und sich deshalb besonders für das Spannungsverhältnis zwischen menschlichem Gehirn und smarter Software interessiert.

„Schon heute besitzen wir Smartphones, die eine Erweiterung unseres Gehirns darstellen", sagt er. Außerdem nutzen wir Software, die automatisch Nachrichten schreibt und verschickt, Produkte empfiehlt und Fahrzeuge steuert. Aber das sei erst der Anfang, die ersten Symptome einer neuen Zeit, einer neuen Evolutionsstufe, die über jede menschliche Entwicklung weit hinausreiche.

In der Zukunft werden intelligente Maschinen über die Menschen herrschen, wird die Technik fähig sein, sich selbst immer weiter zu optimieren - bis hin zu einer Superintelligenz. Das zumindest behaupten jene, die wie Mohammed der Theorie der technologischen Singularität anhängen: Die extreme Beschleunigung des Fortschritts durch Maschinen, die sich selbst verbessern, Roboter und Software also, die irgendwann intelligenter werden als ihre Erfinder. Man könnte solche Ideen für die Fantasien von Science-Fiction-Fans halten, würden nicht weltweit immer mehr Unternehmen in Innovationen investieren, die genau in diese Richtung zielen. Künstliche Intelligenz boomt. Seit 2011 hat sich die Investitionshäufigkeit in KI-Startups laut CB Insights versechsfacht. Alleine 2016 haben Venture-Capital-Geber bereits in mehr als 200 Unternehmen investiert, die sich mit Künstlicher Intelligenz befassen.

Derzeit arbeiten die meisten solcher Firmen an Software für spezielle, stark eingegrenzte Probleme. Sie versuchen zum Beispiel durch selbstlernende Programme Krankheiten zu diagnostizieren und Kreditkartenbetrug zu erkennen. Doch die Visionen mancher Unternehmer reichen deutlich weiter. [...]

Zum Original