Rainer Dr. Werning

Sozial- und Politikwissenschaftler & freier Publizist, Frechen-Königsdorf

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Wir leben wahrlich in vermaledeiten Zeiten

Lang ist's her! Als sich Deutschland noch als ein „Land der Denker und Dichter"wähnte und u.a. einen Mann wie Johann Wolfgang von Goethe wie eine Monstranz vor sich hertrug und ihn allzu gern als Leuchtboje in sämtlichen Weltmeeren verankert gesehen hätte, schien in Teutonia die Welt noch in Ordnung zu sein. Von diesem einst verehrten Säulenheiligen stammt u.a. der Satz: „Daß Glück ihm günstig sei, was hilft's dem Stöffel, denn regnet's Brei, fehlt ihm der Löffel." Und heute, da in diesem Land kaum noch gedichtet wird, sich Denker immer rarer machen oder von über Nacht zu steißtrommelnden Bellizisten mutierten Zeitgenossen als „Lumpenpazifisten" geschmäht werden, gilt es, das wehleidige Klagelied anzustimmen: „Daß Glück ihr günstig sei, was nützt's Frau Baerbock, denn regnet's Blei, ist sie dabei."

Am 12. Mai 1996 strahlte CBS News im Rahmen der von Leslie Stahl moderierten Sendung 60 Minutes ein Interview mit Madeleine Albright aus, die zu dieser Zeit Clintons UN-Botschafterin in Washington war. Die Interviewerin verwies in diesem Zusammenhang auf das bis dato verheerendste Sanktionsregime der Geschichte, das nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zu einer Million Iraker das Leben kostete, die überwiegende Mehrheit von ihnen Kinder. Dann fragte Frau Stahl die Botschafterin: „Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kinder gestorben sind. Ich meine, das sind mehr Kinder, als in Hiroshima starben. Und - und, wissen Sie, ist der Preis es wert?" Madeleine Albright antwortete wörtlich: „Ich denke, das ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber der Preis - wir denken, der Preis ist es wert."

Als kürzlich „Madame Secretary" starb, hatte ihre aktuelle deutsche „Amtskollegin" nichts Eiligeres im Sinn, als Frau Albrights Tode als großen Verlust zu beklagen und als vorlaut-patziges Vermächtnis zu formulieren, auch sie stehe „auf ihren Schultern". Nun, aus der Sicht imperialer Hochsitze kann mensch tiefer nicht fallen. Da halte ich es lieber mit dem koreanischen Sprichwort: „Wer auf der Matte schläft, der fällt nicht tief."

geboren 1949 in Münster/Westfalen, Politik- und Sozialwissenschaftler sowie Publizist mit den Schwerpunkten Südostasien & Ostasien.

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