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Sozialarbeiter an die Macht!

Collagen: der Freitag; Material: Colourbox, Fotolia, iStock, Getty Images

Zukunft Raubt die Digitalisierung uns bald Millionen Jobs? Selbst wenn, Arbeit gibt es genug, in Kitas, in der Pflege, in Integrationskursen. Aber: Die Bedingungen sind prekär



Roboter können keine Rosen schenken. Pia Möller kann es. Und sie tut es, am Vormittag des Weltfrauentags in ihrem Integrationskurs. Ein kahler Raum mit acht zusammengeschobenen Tischen in einem Stadtteilzentrum irgendwo in Nordrhein-Westfalen, neun Teilnehmer sitzen auf abgewetzten Polsterstühlen. Von den drei Frauen, denen Pia Möller die Rosen schenkt, tragen zwei Kopftuch. Die Männer bekommen auch etwas: ausgedruckte Wikipediatexte über den Weltfrauentag. Auf Arabisch, Französisch, Türkisch, Italienisch.

Möller steht jetzt vor zwei syrischen Männern, sie hält ihre Handflächen auf selber Höhe vor der Brust: „Männer können intelligent sein, Frauen können intelligent sein. Wir sind gleich. Wir haben die gleichen Rechte." Die beiden blicken etwas verlegen zu Boden, Möller lächelt sanft. Sie teilt dann das Übungsblatt für das kleine p aus, „Lampe", „Ampel" und „Puppe" schreiben die neun nun konzentriert in die Zeilen neben den Symbolen.

430.000 Teilnehmende an den Integrationskursen prognostiziert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für dieses Jahr, mehr als doppelt so viele wie 2015. Pia Möller und etwa 20.000 anderer Integrationskursleiterinnen in Deutschland - 80 Prozent sind Frauen - machen jeden Tag das, worüber es in der öffentlichen Debatte oft heißt, Deutschland könne es gar nicht schaffen. Sie integrieren. 600 Stunden Sprach- und 60 Stunden Gesellschaftsunterricht pro Teilnehmer; 900 Stunden sind es in den Alphabetisierungskursen für die, die kaum schreiben und lesen können. Möllers Kurs ist so einer.


Schwanger? Hartz IV!

Es gibt die Kurse in dieser Form seit 2005, sie kamen mit dem rot-grünen Einwanderungsgesetz. Ihre Geburtsstunde ist gleichzusetzen mit der offiziell gewordenen Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Pia Möller setzt diese Erkenntnis Tag für Tag um.


Nur ein Problem gibt es: Integrationskursleiterinnen arbeiten freiberuflich, bei 25 Unterrichtsstunden in der Woche gehen sie nach Einkommenssteuer, Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Sozialabgaben mit 1.200 Euro nach Hause. Sie erhalten keine Honorarfortzahlung im Krankheitsfall - aber Arbeitslosengeld, meistens Hartz IV, in den Ferien, wenn die Kurse pausieren. Oder mit Beginn des Mutterschutzes während einer Schwangerschaft. Viele sparen sich gesetzeswidrig die Rentenbeiträge, um über die Runden zu kommen - oder zahlen Schuldenberge ab, weil die Behörden sie dabei erwischt haben. Auf Altersarmut nach Ende ihres Erwerbslebens stellen sich alle ein, die zu Hause keinen Hauptverdiener haben.


Pia Möller heißt eigentlich anders und die Stadt, in der sie unterrichtet, soll nicht in der Zeitung stehen - die Kursträger fürchten die Reaktion des BAMF, wenn sie allzu offen über das Prekariat sprechen. In Möllers Kurs reichen die Teilnehmer jetzt einen Stoffsack mit Holzbuchstaben he-rum. Sie sollen die Buchstaben erfühlen: großes A oder kleines p? 70 Euro hat das Lernspielzeug gekostet, Möller hat diese Investition aus eigener Tasche bezahlt.

„Heimliche Heldinnen des Wandels in Arbeit und Wirtschaft" nennt die Sozialwissenschaftlerin Michaela Evans Frauen wie Pia Möller, deren Arbeit im Erbringen „personennaher Dienstleistungen besteht": Leistungen „für, an und mit Menschen". Bildung und Erziehung, Sozial- und Gesundheitswesen, Pflege - „Branchen im Stress", sagt Evans, die am Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen über die Arbeitswelt forscht. „Der Bedarf wächst, die Herausforderungen werden größer, die Ressourcen aber bleiben höchstens gleich, nicht zuletzt wegen der staatlich exerzierten Sparpolitik der vergangenen Jahre."

Es gibt in Deutschland immer mehr alte und damit immer mehr pflegebedürftige Menschen. So wie in immer mehr Familien beide Eltern berufstätig sind und es darum immer mehr Kita-Plätze für ihre Kinder braucht. Und so wie es immer mehr Einwanderer gibt, die einen Integrationskurs brauchen. Dass diese Herausforderungen sich bislang noch einigermaßen bewältigen ließen, habe vor allem mit dem großen Engagement der Beschäftigten zu tun, sagt Evans. Doch die bezahlen das mit prekären Existenzen und oftmals mit ihrer Gesundheit: Sozialpädagogen und -arbeiter, Lehrer, Pflegerinnen und Erzieher gehören zu den Berufsgruppen mit den meisten Fehltagen aufgrund von Burn-out.


Dieser Zustand ist meist kein Thema, wenn sich Politik und Wissenschaft in Deutschland heute mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen. Es geht dann meist um die Digitalisierung, „Industrie 4.0" ist das große Stichwort, viel Technikeuphorie gibt es da in der Debatte - und Angst: Die Studie der US-Ökonomen Carl Frey und Michael Osborne hat Furore gemacht, 47 Prozent der Beschäftigen in den Vereinigten Staaten üben demnach heute Tätigkeiten aus, die in 10 bis 20 Jahren von Computern übernommen werden können. Die Roboter kommen.

Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim haben die Studie auf Deutschland übertragen und kommen auf 42 Prozent. Und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit hat die „Substituierungspotenziale" 14 verschiedener Berufssegmente analysiert: beim Spitzenreiter, den Fertigungsberufen, könnten Computer heute schon mehr als 70 Prozent aller Tätigkeiten übernehmen, es geht da um Arbeiter, die Rohstoffe abbauen oder Produkte aus Glas und Papier herstellen. In beiden Studien warnen die Autoren vor Fehldeutungen ihrer Ergebnisse. Die Automatisierung einer Tätigkeit ziehe nicht gleich das Verschwinden eines ganzen Berufes nach sich; oft veränderten sich Berufe einfach. Vor allem die IAB-Analyse ist trotzdem vielsagend: In der Abbildung, in der die Fertigungsberufe mit über 70 Prozent Substituierungspotenzial ganz oben rangieren, stehen ganz unten, mit weniger als zehn Prozent: soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe.


Es sind Berufe, die Roboter nicht übernehmen können. Wie der von Pia Möller, die Einwanderern das kleine p beibringt und Rosen schenkt. Oder Berufe wie der von Agnieszka Tarnowska, die in Hamburg ein älteres Ehepaar mit Demenz pflegt - rund um die Uhr, ohne Feierabend.


An ihrem einzigen freien Tag der Woche geht die Polin Ende 20 immer mit einer Freundin in der Stadt spazieren, so auch an diesem Tag. „Anfangs war es nicht einfach, die Entscheidung zu treffen. Aber ich war arbeitslos und dachte mir, ich kann jederzeit nach Hause kommen, wenn es nicht gut läuft", sagt sie.


Feierabend gibt es nicht

Alle drei Monate fährt sie für vier Wochen zu ihrer Familie nach Polen. Während der drei Monate in Deutschland arbeitet sie offiziell acht Stunden am Tag, sechs Tage pro Woche. Tatsächlich beginnt nach den acht Stunden der Bereitschaftsdienst, sie ist also 24 Stunden lang im Einsatz. „Ich kann nach Feierabend nicht ausgehen und die alten Leute zu Hause alleine lassen. Und wenn es nötig ist, stehe ich nachts natürlich auf." Tarnowska, die als Soziologin ausgebildet wurde, macht den Job seit mehr als drei Jahren. Auch sie bekommt 1.200 Euro im Monat, plus Kost und Logis, ein durchschnittliches Gehalt für den Beruf. Nach gewerkschaftlichen Schätzungen gibt es in Deutschland etwa 300.000 Hausangestellte, die in Familien Pflegedienste übernehmen. Die Zahl ist ungenau, denn die Mehrheit arbeitet schwarz. „Sie werden mit anderen Angeboten gelockt und dann von den Agenturen in Schwarzarbeit gesteckt", sagt Sylwia Timm. Sie arbeitet in der Beratungsstelle „ Faire Mobilität ", die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eingerichtet hat. „Die Privathaushalte sind eine Schattenzone", sagt Timm. „Da herrschen ganz andere Gesetze als auf dem Arbeitsmarkt. In den vier Wänden machen die Leute ihre eigenen Regeln." Illegale Arbeitszeiten. Kinder von Pflegebedürftigen, die nicht mehr auftauchen, wenn sie eine Betreuerin besorgt haben. Der Schlafplatz der Hausangestellten auf einer Matratze neben dem Bett der Pflegebedürftigen.


Agnieszka Tarnowska hat in Hamburg bei den beiden Alten, die sie derzeit pflegt, ein eigenes Zimmer und versteht sich gut mit deren Angehörigen. „Aber ich kenne Geschichten, wo Frauen nicht genug zu essen haben und nur einmal in der Woche duschen dürfen, weil die Familien so sparsam sind", sagt sie.


Wie Tarnowska kommen viele Frauen, die in der häuslichen Pflege arbeiten, aus Polen. Oder aus Bulgarien, vereinzelt aus Rumänien oder der Slowakei. Sie sind meist die Ernährerinnen ihrer Familien zu Hause. Manchmal ist es aber auch hier ein Schuldenberg, der die Frauen hindert, sich aus illegalen Arbeitsverhältnissen zu lösen. Durch die Medien gegangen sind zuletzt die Fälle von Spanierinnen, die mit Knebelverträgen in deutsche Altersheime gelockt wurden: Stellten sie etwa fest, dass sie viel schlechter bezahlt wurden als deutsche Kollegen, konnten sie den Arbeitgeber trotzdem nicht wechseln oder nach Hause zurück - wegen Kündigungsgebühren von bis zu 10.000 Euro, die sie dann bezahlen müssten. Mehr Zuwanderung ist für diese Branche das erklärte Ziel: In Bosnien-Herzegowina, Vietnam, Tunesien und den Philippinen versucht derzeit die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag der Bundesregierung, Pflegefachkräfte anzuwerben.


Noch ein Fachkräftemangel

Mindestens 350.000 zusätzliche Arbeitskräfte bis 2030 seien nötig, prognostiziert der Pflege-Report 2016 der AOK. Bei ihr ist die Hälfte der heute 2,7 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland versichert. Wie schnell ihre Zahl anwachsen wird, darüber gibt es verschiedene Szenarien - die Bundesregierung kalkuliert mit 4,2 Millionen im Jahr 2050. Kein Wunder, dass es Mitte März beim jährlichen Treffen der Branche, dem Deutschen Pflegetag, vor allem darum ging, wie sich Flüchtlinge zu Arbeitskräften für die Altenpflege machen lassen.

Der Diskurs über Flüchtlinge und Fachkräftemangel hat aber noch eine andere Dimension: Wer dieser Tage etwa mit Sozialarbeitern spricht, die gerade rund 70.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland unterzubringen, mit Trauma-Therapie, Bildung und einem gesetzlichen Vormund zu versorgen versuchen, der hört eines immer wieder: Wie schwierig die Personalsuche ist. Überall werden händeringend akademisch ausgebildete Sozialarbeiter gesucht, Bewerber können sich die Stellen aussuchen. Teils übernehmen Leute, die frisch von der Hochschule kommen, direkt die Leitung von Einrichtungen, bei deren Träger sie gerade noch ein studentisches Praktikum absolviert haben.

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat gerade Zahlen der Bundesagentur für Arbeit analysiert: Kamen 2011 auf 100 Arbeitslose noch 33 offene Stellen für Akademiker in Berufen wie Sozialarbeiter, Streetworker oder Heimleiter, so waren es Ende 2014 schon 45. Im vergangenen Jahr dann überstieg die Zahl freier Stellen explosionsartig die der Arbeitslosen: Auf 100 von ihnen kamen 114 unbesetzte Stellen. Und in der Regel wird nur ein Viertel der freien Jobs überhaupt bei der Bundesagentur gemeldet. Nichts beschleunigt den Fachkräftebedarf in sozialen Berufen so sehr wie die schnelle Zuwanderung vieler Menschen in jüngster Vergangenheit.


Was wäre wohl los gewesen, wenn im vergangenen Oktober Erzieher und Sozialarbeiterinnen ihren Streik fortgesetzt hätten? „Aufwerten" war der Slogan des Arbeitskampfes, durchschnittlich zehn Prozent mehr Lohn hatten Verdi, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Beamtenbund ausgerufen. Die Entschlossenheit war groß - einen ersten Schlichterspruch ließen die Beschäftigten in Urabstimmungen im Juni noch scheitern. Nach der Sommerpause legten die Gewerkschaftsspitzen einen nur marginal verbesserten Kompromiss mit den kommunalen Arbeitgebern vor, mit Entgeltsteigerungen von weniger als vier Prozent. Die Beschäftigten stimmten zu - auch wenn die nur 57 Prozent Ja-Stimmen bei Verdi nicht gerade von großer Zufriedenheit mit dem Ergebnis zeugen.


Und Unzufriedenheit ist berechtigt, macht man die riesigen Abstände zwischen den Löhnen verschiedener Berufsgruppen zum Gradmesser für deren gesellschaftliche Anerkennung: Ingenieure verdienen im Durchschnitt 29 Euro brutto pro Stunde, Sozialarbeiterinnen 16 - beide haben zuvor 15 Jahre mit ihrer Ausbildung in Schule und Hochschule verbracht. Zwölf Jahre beträgt diese Bildungszeit für Techniker und Altenpflegerinnen; Letztere bekommen 12 Euro pro Stunde, die Techniker 18. Ermittelt hat die Zahlen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach gibt es in Berufen, in denen Frauen mindestens 70 Prozent der Beschäftigten stellen, durchschnittlich acht Euro weniger Lohn pro Stunde als in solchen, in denen die Männer dominieren. Für die DIW-Forschungsdirektorin für Gender Studies, Elke Holst, ist dieses Muster mit der immer noch weit verbreiteten Ansicht verbunden, „dass Care-Arbeit keine spezifische Qualifikation erfordert, da sie in der Vergangenheit vor allem in den Bereichen Kinderbetreuung und Altenpflege unbezahlt von Frauen in Familien geleistet wurde".


Bremen hat ein Problem

Dass die schlechte Bezahlung sozialer Berufe ein gerade in Deutschland gravierendes Problem ist, haben gerade die Sozialwissenschaftlerinnen Lena Hipp und Nadiya Kelle vom Wissenschaftszentrum Berlin per 23-Länder-Vergleich gezeigt: Fast nirgendwo ist der Abstand zwischen dem Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten und dem in Gesundheits- und Pflegeberufen so groß wie in Deutschland. Ob in den USA, Portugal oder Rumänien - überall dort kommen ausgebildete Pfleger sehr viel näher an das durchschnittliche Lohnniveau. Das liegt auch an der schwachen gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft in diesem Bereich: Für knapp 60 Prozent der Betriebe in der Altenhilfe gilt kein Tarifvertrag und auch keine abgeschwächte Version dessen, eine Arbeitsvertragsrichtlinie.

Nicht ganz so schlimm sieht es mit den Verdiensten im Erziehungs- und Bildungsbereich aus, was vor allem an den Lehrern in Primar- und Sekundarstufe der Schulen liegt: 3.600 Euro brutto verdienen sie im Schnitt pro Monat, mehr als der Durchschnitt aller Berufe in Deutschland: 3.449 Euro. Erzieher liegen bei 2.700 Euro.


Warum wehren sich die, auf deren Arbeit die Gesellschaft existenziell angewiesen ist, nicht viel stärker gegen ihr Prekariat? Hipp und Kelle verweisen auf die in Fachkreisen so genannte „Zuneigungsgefangenschaft". Wer Zweijährige in Kitas oder Demente im Pflegeheim zu versorgen hat, den kostet die Entscheidung für einen Streik viel mehr Überwindung. „Pflichtbewusstsein und Solidarität", schreiben die Forscherinnen, „und die langfristigen Beziehungen erschweren es, zur Not die Reißleine zu ziehen und die Arbeit niederzulegen oder sich einen neuen Job zu suchen."


Letzteres wird zwar für einige Lehrkräfte in Integrationskursen gerade durchaus zur Option: Manch eine wechselt in Flüchtlingsklassen von Schulen und lässt sich dort, wenn auch oft befristet, anstellen. In Bremen bestätigt die Volkshochschule, ein Drittel ihrer Dozierenden so verloren zu haben. Da der Personalbedarf für die Kurse aber rapide steigt, verschärft sich der Druck auf den Staat, konkret: auf das Bundesinnenministerium, unter dessen Dach das BAMF und die Kurse angesiedelt sind. Es hat zuletzt die maximal erlaubte Zahl an Kursteilnehmern erhöht und die Zulassungsvoraussetzungen für Lehrkräfte gesenkt: Im Grunde kann nun unterrichten, wer einen beliebigen Hochschulabschluss hat und sich verpflichtet, irgendwann später eine Zusatzqualifikation zu absolvieren. Es ist eine ähnliche Entwicklung wie in der Pflege, wo in der Vergangenheit mit dem gestiegenen Bedarf zwar mehr Personal eingestellt wurde - zumeist aber schlecht qualifizierte Leute in Helfertätigkeiten, die dann vermehrt Aufgaben übernehmen, für die es eigentlich Profis braucht.


Das Innenministerium hat zuletzt sogar die Mindesthonorare von 20 auf 23 Euro brutto pro Stunde angehoben - allerdings nur als Voraussetzung, wenn sich die etwa 1.400 Träger - Sprach- und Volkshochschulen, Vereine, Wohlfahrtsträger - eine Anerkennung sichern wollen, die länger als ein Jahr gültig ist. 3,10 Euro pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde statt 2,94 gibt es nun vom BAMF. 4,40 Euro fordert die GEW - und eigentlich die Festanstellung der Dozierenden. Integrationskurse anzubieten, das sei eine Daueraufgabe, die Dauerstellen erfordere - „und keine befristeten Honorarverhältnisse zu Hungerlöhnen". Sogar die Träger haben sich den Forderungen angeschlossen, allen voran der Bundesverband der Volkshochschulen.


Organisiert euch!

Doch der Protest ist schwer zu organisieren: Unter fünf Prozent der Lehrkräfte sind laut GEW gewerkschaftlich organisiert. An einem Mittwochnachmittag im März stehen trotzdem 60 Dozentinnen auf einer Verkehrsinsel vor dem Bundesinnenministerium in Berlin-Moabit. „Für bessere Integrations- und Lernbedingungen in Integrationskursen" steht auf einem Transparent. „Wir sind keine Lehrkräfte zweiter Klasse" und „Wir integrieren auf allen vieren" auf anderen. In Redebeiträgen fordern sie ihre Festanstellung oder mindestens die Verdopplung der Honorare. Unter Trillerpfeiffenlärm kommen dann drei Anzugträger aus dem Ministerium herüber, sie nehmen einen offenen Brief entgegen. Sagen dürfen sie nichts.

„Gegen höhere Löhne und Professionalisierung in diesen Branchen hat ja niemand etwas", sagt die Forscherin Michaela Evans aus Gelsenkirchen. „Aber dafür braucht es mehr Geld, gerade für die Kommunen." Laufe die Diskussion über die Zukunft sozialer Berufe entkoppelt von der Fiskalpolitik, dann werde sie fehlschlagen.


Ein Hindernis dafür sei die derzeit stark zersplitterte Arbeitgeber-Landschaft, gerade in der Pflege: Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz, Diakonie und viele private Anbieter, darunter nicht selten Frauen, die sich mit zwei, drei Mitarbeiterinnen selbstständig gemacht haben. Es gibt so viele unterschiedliche Träger, dass es der Branche schwerfalle, mit einer Stimme zu sprechen - geschweige denn gemeinsam mit den Gewerkschaften Forderungen an die Politik zu stellen, sagt Evans.


Zugleich müssten die Beschäftigten ihre Stimme erheben - und sich organisieren. „In der Pflege beobachten wir, wie sich Frauen bisher für andere Strategien entscheiden, wenn die Arbeitsbedingungen unerträglich werden." Die einen gingen in Teilzeit und bereiteten damit oft schon den Weg in die Frührente vor. „Die anderen versuchen per berufsbegleitendem Studium den Aufstieg zu schaffen."


Dass der Kita-Streik im Herbst 2015 keine Fortsetzung fand, das findet Evans nicht so schlimm. Denn unter dem engen finanziellen Korsett der Kommunen wäre zu befürchten gewesen, dass diese die zehn Prozent mehr Lohn für Erzieher und Sozialarbeiterinnen auf dem Rücken anderer Branchen gestemmt hätten, etwa der Pflege. „Wir dürfen die Leute nicht gegeneinander ausspielen." Erst mal könnten Pflegerinnen vom Selbstbewusstsein der Erzieher lernen. „Die haben in der Öffentlichkeit ja ganz klar gesagt: Wir sitzen nicht auf dem Teppich und spielen mit Kindern. Sondern wir bilden die Bürger und Fachkräfte von morgen. Und ohne uns würden hier die Volkswirtschaft und der Arbeitsmarkt gar nicht mehr funktionieren."

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