Nach dem Tod von George Floyd wurde das Thema Rassismus im vergangenen Jahr in der Mitte der Gesellschaft verhandelt. Doch Schwarze Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Menschen (FLINTA*), die in Deutschland leben, finden sich und ihre eigenen Geschichten in den Debatten oft nicht wieder. Die Essaysammlung „Schwarz wird großgeschrieben", in dem 20 Autor*innen zu Wort kommen, will das ändern. Herausgeberin Evein Obulor, die Autorinnen Emilene Wopana Mudimu und Daddypuss Rex erklären, worum es Ihnen dabei ging.
Was war der Anstoß, „Schwarz wird großgeschrieben" zu veröffentlichen? OBULOR: Während Black Lives Matter im letzten Jahr war es plötzlich trendy und woke antirassistisch zu sein. Gleichzeitig habe ich junge Menschen kennengelernt, die sich zum ersten Mal viel mit ihrem Schwarzsein beschäftigt haben. Daraus ist der Wunsch entstanden, etwas zu schreiben, mit dem sie sich identifizieren können. Etwas, das für und nicht über sie geschrieben ist.
MUDIMU: Wokeness sehe ich immer sehr kritisch. Wird nur darüber gesprochen, weil es hip ist, oder wird sich wirklich mit Schwarzen Lebensrealitäten auseinandergesetzt? Das wollten wir mit „Schwarz wird großgeschrieben ändern".
MUDIMU: Schwarze Bewegungen hatten FLINTA* an der Frontline, es ist wichtig, das zu highlighten. Es ist schmerzhaft zu sehen, wessen Arbeit geschätzt wird und wessen nicht. Ich hoffe, dass wir im deutschen Kontext mit dem Buch einen wichtigen Step machen: Wenn wir über Schwarzes Leben reden, dann müssen wir über alle reden.
OBULOR: Das RosaMag ist ein Magazin für Schwarze FLINTA*. Menschen, die nicht als cis Männer durch die Welt gehen sind noch weniger sichtbar. Deshalb wollten wir diesen Perspektiven einen geschützten Raum geben.
OBULOR: Nach dem Erscheinen des Buches „Farbe bekennen" dachten viele, dass Schwarze Männer nachziehen und etwas ähnliches hervorbringen. Schwarze cis Männer hätten ja auch einiges zu reflektieren, aber dafür sind sie selbst verantwortlich. Diese Aufgabe können wir ihnen nicht abnehmen.
„Farbe bekennen - Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte" erschien 1986. Die Autorinnen Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz haben damals den Begriff „afrodeutsch" geprägt. Sehen Sie sich in deren Tradition? OBULOR: Natürlich ist „Farbe bekennen" ein Werk, was uns alle geprägt hat. Wir stehen auf deren Schultern und können deshalb noch weiter blicken. Darum war es uns wichtig einer jungen Generation eine Stimme und Sichtbarkeit zu geben.
MUDIMU: „Farbe bekennen" war im deutschen Kontext ein sehr wichtiges Buch, weil es die Entstehung der afrodeutschen Bewegung abbildete. Was mir gefehlt hat, war der Aspekt, dass Schwarze Perspektiven in Deutschland nicht nur afrodeutsch sind, sondern auch Menschen mit Fluchterfahrung, Menschen, deren Eltern oder sie selbst auf dem afrikanischen Kontinent aufgewachsen sind, umfasst.
Was hat sich seit „Farbe bekennen", vor allem nach dem Mord an George Floyd und Black Lives Matter bewegt? DADDYPUSS REX: Es hat sich vieles geändert, aber vieles eben auch noch nicht. Zum Beispiel wird der Begriff „intersektionale Feministin" als Marke benutzt, als Zeichen für Progressivität. Aber wissen diese Leute wirklich, woher der Begriff kommt? Wer genau ist denn Kimberlé Crenshaw? Ich habe ein großes Problem mit Performativity.
OBULOR: Ich weiß gar nicht, ob Schwarze Menschen sich die Frage stellen: Was ist jetzt besser geworden? Denn Rassismus in Deutschland und Kämpfe dagegen gab es auch schon vor George Floyd. Für mich hat sich der Fokus geändert, wir schauen inzwischen auch nach Innen, in unsere eigenen Communities und thematisieren Ungleichheiten wie zum Beispiel Colorism. Wer waren denn die Schwarzen Menschen, die während Black Lives Matter in den Medien gesprochen haben? Überwiegend light-skinned Menschen. Wenn man intersektionalen Feminismus ernst meint, dann ist noch viel zu tun.
DADDYPUS REX: Kritik ohne Werkzeug ist nicht hilfreich für Schwarze Befreiung. Wenn ich kritisiere, muss ich auch eine Alternative mitbringen. Menschen machen nicht absichtlich Fehler, sondern weil sie keinen anderen Weg kennen. Das sieht man auf Social Media, wo Kritik gleich zu Canceln führt. Das bringt uns nicht weiter.
Daddypuss Rex, Sie berichten auch über negative Erfahrungen innerhalb der Schwarzen Community in Deutschland. Können Sie das ausführen? DADDYPUSS REX: Ich hasse den Begriff Community. Was bedeutet das? Bin ich in derselben Community wie ein cis heterosexueller Schwarzer Mann? I don't think so. Ich habe keinen Universitätsabschluss und sehe oft, dass sich viele auf die theoretische Ebene von Intersektionalität fokussieren. Die können dir Zitate und Theorien geben, aber im real life ist davon nichts zu sehen. Als ich nach Deutschland gekommen bin, haben mich vor allem light-skinned Afrodeutsche abwertend behandelt, da ich die Texte von Maya Angelou nicht gelesen habe. Die haben ihre Blackness darüber definiert. Ich muss das nicht, ich bin nicht light-skinned. Alle meine Erfahrungen sind Schwarz.
MUDIMU: Als ich mein Kapitel geschrieben habe, war ich schwanger. Deshalb habe ich mir Gedanken gemacht, was ich als Mutter von meinen aktivistischen Erfahrungen weitergeben möchte. Das Thema Elternschaft ist anders, wenn es darum geht, einen Schwarzen Menschen durch diese weiße Mehrheitsgesellschaft zu begleiten. Ich habe das Kind verloren und es war schmerzhaft, auf den Text zu schauen. Das Schreiben aber, war ein heilender Prozess und die Relevanz sich mit dem Aspekt Elternschaft auseinanderzusetzen, wird durch den Verlust nicht weniger.
OBULOR: Ich, als heterosexuelle, light-skinned cis Frau, möchte mir nicht anmaßen zu sagen, was andere Schwarze Menschen beschäftigt. Das Buch soll abbilden, wo wir stehen. Die Frage, die wir allen Autor*innen zu Beginn gestellt haben, war: Was würde dein jüngeres Ich brauchen?
DADYPUSS REX: Hier ein Gedankenexperiment: Nicht alle weißen Menschen sind sich im Thema Klimawandel einig, aber sie sind alle betroffen. Niemand erwartet, dass sich alle einig sind. Aber Schwarze sollen alle die gleiche Meinung dazu haben, wie es antirassistisch weitergehen soll.
Vom Klassenfeind zur „Cancel Culture" „Wokeness" gab es auch in der DDR - sie hieß nur anders
MUDIMU: Wir werden so viele Menschen aus Schwarzen Communities ansprechen, dass dieser Gedanke nicht zentral ist. Dieses Buch bildet einen Moment Geschichte von Schwarzen Menschen in Deutschland ab. Wir konzentrieren uns auf unsere Stories, was mit der weißen Mehrheitsgesellschaft passiert, ist nicht unser Problem. Ich diskutiere nicht mit weißen Menschen über das Buch, die unserem Werk und den darin abgebildeten Lebensrealitäten die Daseinsberechtigung absprechen möchten.
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