Philipp Süßmann

Redakteur, Content-Manager, Berlin

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Seinfeld - Die Kunst ein Arschloch zu sein

(c)NBC

"A show about nothing" - das war das Konzept, aus dem zwei junge Komiker namens Jerry Seinfeld und Larry David die erfolgreichste Sitcom der Neunziger Jahre erschufen. Eine Serie über Nichts, bei der ich aus dem Lachen nicht mehr herauskam.


Worum geht es in Seinfeld? In dieser Frage ist schon fast die komplette Genialität der Serie begraben. Denn anders als alle konventionellen Sitcoms zur damaligen Zeit hatte Seinfeld kein richtiges Konzept und widersprach damit der TV-Konvention radikal. Eine Serie muss man in einem Satz beschreiben können, so war die Regel.


"Ein Junge aus dem Ghetto wird Teil einer reichen Familie." - Der Prinz von Bel-Air "Drei erwachsene Männer müssen sich um drei kleine Kinder kümmern." - Full House


Was ist also das Konzept von Seinfeld? Mir ist dabei immer ein Satz in Erinnerung geblieben, den ich heute leider nicht mehr zuordnen kann: "It's a show about four assholes." - Es ist eine Show über 4 Arschlöcher.

Als sich die beiden Comedians Jerry Seinfeld und Larry David Ende der Achtziger zusammentun, sind sie fest entschlossen, nicht noch eine weitere Standard-Sitcom zu entwerfen. Ein gemeinsames Setting, wie Familie oder Arbeitsplatz, eine große Portion Herzlichkeit, liebenswerte Figuren, die eine Entwicklung durchmachen. All diese Dinge wollte besonders Larry David in seiner Serie nicht haben. Seine Begründung: Das richtige Leben ist auch nicht so. Menschen treffen aufeinander, sind meistens nicht sonderlich nett zueinander, streiten sich über Kleinigkeiten und trennen sich wieder - das ist das wahre Leben. Dadurch wollten die Komiker ihren Humor ausleben.


Ein Wunder, dass sie mit dieser Idee und einem holprigen Start bei NBC überhaupt durchkamen: Als die Pilot-Episode einem Testpublikum gezeigt wurde, bekam sie die schlechteste Bewertung in der Geschichte des Fernsehsenders. Trotzdem durften Jerry Seinfeld und Larry David ran und bald war der Cast von Seinfeld als Quartett auf dem Bildschirm. Jerry Seinfeld spielte quasi sich selbst, einen New Yorker-Comedian, überzeugten Junggesellen, Fan von Trickfilmen und Superman, nur damit beschäftigt, ständig neue Frauen aufzureißen und sie anschließend wegen obskuren Kleinigkeiten wieder vor die Tür zu setzen. Larry David verwirklichte sich selbst in der Figur des George Costanza, gespielt von Jason Alexander. Ein übernervöser kleiner Loser, von so ziemlich jeder Neurose geplagt, die sich je ein Psychologe ausgedacht hat. Dazu stößt Kramer ( Michael Richards), Jerrys Nachbar und ein Kauz mit wirren Haaren, der trotz dauerhafter Arbeitslosigkeit nie Geldprobleme zu haben scheint. Und schließlich Elaine ( Julie Dreyfus), eine zickige Ex von Jerry.


Egoismus siegt!
Was passiert so in Seinfeld, wenn es doch um nichts geht? Die Macher kreierten gerade aus dem Nicht-Konzept überzogene Situationen, die im Kern jeder kennt: ungeduldig in einer Kinoschlange stehen, sich über unhöfliche Kellnerinnen im Restaurant aufregen, im Parkhaus auf einmal sein Auto nicht mehr finden - das waren die Inhalte ganzer Episoden. Aus banalen Situationen entwickelte Seinfeld seine Komik, auch wenn diese natürlich fernsehgerecht überzogen wurden. Ein Stil, den Larry David später mit seiner eigenen Serie Lass es, Larry! konsequent weiterführte. Aber während im wahren Leben solche Situationen meistens glimpflich ausgehen, läuft es in Seinfeld stets auf eine Konfrontation hinaus. Jerry und seine Kumpanen geben sich nicht damit zufrieden, die kleinen Tücken des Alltags seufzend zu übergehen, so wie du und ich. Sie streuen Salz in die Wunden des sozialen Zusammenlebens, was nur zur Katastrophe führen kann. Aber lernen die Seinfeld -Helden aus diesen Erlebnissen? Nein, schuld sind immer die anderen und man selbst erst, wenn man erwischt wird.

In vieler Hinsicht war Seinfeld auch deshalb ein Produkt und Bild der USA der 90er Jahre, als Bill Clinton regierte und Amerika plötzlich die einzige globale Supermacht war. Eine Phase, in der es auf einmal keine großen Probleme mehr zu geben schien. Also musste man sich Probleme in Kleinigkeiten suchen. Das Problem war auf einmal nicht mehr die drohende atomare Vernichtung, sondern die Frage, ob man beim Tragen eines Hemds den oberen Knopf auflassen muss. Die Figuren aus Seinfeld sind kapitale Egoisten, an nichts interessiert, was sie nicht selbst direkt betrifft und ständig nur auf ihren eigenen Vorteil aus.

Während Die Bill Cosby Show oder Unser lautes Heim künstlich ideal-glückliche Familien herumführten, spielten in Seinfeld genervte, unsympathische Großstädter die erste Geige. Die Figuren in Seinfeld hatten keine Familien - und wollten auch keine. Auch forcierte Momente der Rührseligkeit gab es keine. Seinfeld buhlte nie um die Zuneigung der Zuschauer - und wurde dafür umso mehr geliebt.


Von Amerika vergöttert, von Deutschland ignoriert 

Denn nach bescheidenen Anfängen ging es steil nach oben: Seinfeld wurde neben Friends die beliebteste Show Amerikas. Monsterquoten machten Jerry Seinfeld zum zeitweise bestbezahltesten Komiker der Welt. Doch nach neun Staffeln hatte Jerry Seinfeld keine Lust mehr, selbst ein Angebot für sagenhafte 5 Million Dollar Gage (pro Episode versteht sich) lehnte er ab. So ging Seinfeld 1998 zu Ende, die letzte Folge sahen laut Schätzungen des Fernsehsenders NBC 108 Millionen Amerikaner - eine unglaubliche Zahl.

In Deutschland konnte die Serie diese Art von Erfolg niemals erreichen, bei uns führte sie ein Nischendasein im Nachtprogramm des ZDF oder hatte ein kurzes Zwischenspiel im Vorabend bei ProSieben. Der neurotische Urbanhumor war nichts für den deutschen Fernsehzuschauer, der seine Sitcoms lieber bodenständig mag und den flachen Humor bevorzugt. Hierzulande wird lieber Hör mal, wer da hämmert gekuckt.

Was wirklich schade ist, denn Seinfeld war natürlich nicht nur wegen seines sozialen Kommentars ein Erfolg, sondern, weil es einfach saulustig ist. Die Episode, in der die Gang einen Wettkampf veranstaltet, wer es am längsten aushalten kann ohne zu masturbieren, oder George Costanzas Konfrontation mit einem rabiaten Suppenverkäufer gehören mittlerweile zu Klassikern der Fernsehgeschichte. Denn bei Seinfeld stimmten einfach die wichtigsten Zutaten: die zivilisationskritischen Comedy von Jerry Seinfeld, die beißend treffenden Drehbücher von Larry David und das komische Talent der Darsteller - es passte alles zusammen. Deswegen kehre ich auch gerne immer wieder zurück in das Universum dieser vier New Yorker Unsympathen, um ihnen dabei zuzuhören, wie sie sich um die wirklich wichtigen Dinge streiten: Sollte man jetzt beim Hemd den oberen Knopf auflassen oder nicht? Gar nicht so einfach....

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