Viele Rap-Songs sind sexistisch und rassistisch. Trotzdem sind sie bei Jugendlichen sehr beliebt. Genau aus diesem Grund sollten Pädagogen Rap in den Unterricht einbeziehen, findet der Lehrer Hannes Loh.
Als Kollegah und Farid Bang vor einigen Monaten in ihrem Song „0815" rappten, ihre Körper seien „definierter als die von Auschwitz-Insassen", präsentierte sich der breiten Öffentlichkeit nur die Spitze des Eisbergs von Menschenverachtung in Teilen der deutschen Rap-Szene. In ihren Lines artikulieren nicht wenige Rapper Hass und Herabsetzung - Frauen, Homosexuelle und Behinderte erfahren eine permanente Diskriminierung. Dass nicht alle Rapper solche Abwertungen in ihre Songs einbauen, sieht man an Künstlern wie Sookee oder der Düsseldorfer Antilopen Gang, die emanzipative Texte ohne Rassismus oder Sexismus schreiben, sich sogar kritisch mit diesen Extremen auseinandersetzen. Trotzdem erfreut sich die Musik von Kollegah und Co. anhaltend großer Beliebtheit. Eineinhalb Millionen Menschen folgen dem selbsternannten „Boss" auf Instagram und schauen sich auf Youtube seine Videos an.
Dass auch viele Jugendliche - allen voran pubertierende Jungen - zur Zielgruppe von Kollegah und Konsorten gehören, beschäftigt Hannes Loh seit Jahren. Er selbst war lange Zeit Teil der Szene, allerdings drehten sich die Texte der Hip-Hop-Gruppe Anarchist Academy vorwiegend um gesellschaftskritische Themen. Heute arbeitet der 47 Jahre alte Lehrer für Deutsch und Geschichte am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim bei Köln. Mit seinem Buch „ Rap@School. Grundlagen für die pädagogische Arbeit mit Hip Hop " hat er einen Leitfaden für Lehrkräfte veröffentlicht - und gibt Fortbildungen zum Thema. Aus seiner Sicht ein Problem: Viele Lehrer haben mit dieser Art von Musik keinerlei Berührungspunkte, finden sie gar abstoßend. Auf der anderen Seite ist Rap „ein unfassbar großes jugendkulturelles Phänomen, das schon längst Mainstream ist," so Loh.
Zwar ist das noch nicht Grund genug, Rap zum Unterrichtsgegenstand zu machen, in Verbindung mit der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit", die in vielen Rap-Texten zum Ausdruck kommt, werde die Beschäftigung mit ihnen allerdings „Teil einer Antidiskriminierungsarbeit", die Kerngeschäft von Pädagogen sei.
Die kritische Annäherung an Rap-Texte ist im Unterricht dabei nicht so einfach. Schüler betrachten Rap-Texte meist unkritisch. Die artikulierte Menschenverachtung sei nur gespielt, sagen sie, nur Kunst. Wenn Rapper in Battles unpassende Anspielungen auf die Shoa machen, werde dieser Logik zufolge nicht eine barbarische Realität verharmlost, sondern ein Machtverhältnis in der Fiktion definiert. Wie sollen Lehrer auf dieses Argument reagieren? Es helfe nicht, sagt Loh, moralische Triaden zu schwingen oder Fotoaufnahmen eines Vernichtungslagers zu zeigen, um den Lernenden die Pietätlosigkeit des Gerappten wirksam vor Augen zu führen. Eine unmittelbare Verurteilung durch demonstrierte moralische Überlegenheit würde die Schüler bloß überrumpeln, so hat es Loh in jahrelanger Schulpraxis erlebt. Wenn man das Nur-Kunst-Argument hingegen nicht von vornherein moralisch sanktioniere, sondern damit arbeite, hörten die Schüler einem plötzlich zu, sagt Loh. Wahrscheinlich seien sie nicht unmittelbar nach dem Pausengong von der Abgründigkeit der zuvor verharmlosten Texte überzeugt, aber die Langzeitwirkung dürfe man nicht unterschätzen.
Um im Schallraum menschenfeindlicher Lines für alle Fälle einen kühlen Kopf zu bewahren, rät Loh Lehrern dazu, "vorher unbedingt Reflexionsarbeit mit sich selbst" zu leisten, um „die eigenen Triggerpunkte kennenzulernen."
Gut könne das Thema „Rap" auch interdisziplinär behandelt werden. In seinen Oberstufenkursen nähert sich Loh über Rap-Texte zum Beispiel Elementen der nationalsozialistischen Ideologie, die als Topoi aufgegriffen werden. Und auch im Fach Deutsch setzt er Rap-Texte ein, lässt Schüler eigene Lines produzieren, nicht ohne genaue Grenzen zu definieren. Diskriminierende Beleidigungen dürfen die Heranwachsenden nämlich nicht in ihre Texte schreiben.
Rap-Texte ermöglichen auch anspruchsvolle Debatten, machen sie oft sogar nötig, wenn der Text alleine zur Entschlüsselung verborgener Botschaft nicht genügt. Rap-Songs sind oft multimodal angelegt. Um sie gänzlich zu verstehen, müssen Text und Bild im Zusammenhang betrachtet werden. Wie wichtig das ist, zeige etwa Kollegahs Song „ Apokalypse ", in dem mancherlei Anspielungen, darunter antisemitische Codes, nur durch genaues Hinschauen erkennbar werden. Hierbei werden dann oft auch die Grenzen von Kunst deutlich.
Als einfache und sehr wirksame Übung erweist sich meist auch, dass Loh seine Schüler überlegen lässt, wie die Welt nach den Maßstäben von Kollegah wohl aussehe. Die unvermeidbare Einsicht: „für junge Frauen vielleicht nicht ganz so rosig."
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